Abtreibung ist noch immer ein Tabu
Im Allgäu gibt es keinen Arzt mehr, der Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregel macht. Der letzte Gynäkologe, der den Eingriff durchführte, erzählt, warum das so ist
Allgäu Eine Schwangerschaft ist nicht immer eine gute Nachricht. Oft fühlen sich Frauen überfordert, können vom Erzeuger keine Hilfe erwarten oder haben finanzielle Schwierigkeiten. Solche Gründe sind es, die Patientinnen angeben, wenn sie bei Dr. Benedikt-Johannes Hostenkamp einen Schwangerschaftsabbruch machen lassen. Er war bis vor Kurzem der einzige Arzt im Allgäu, der Abtreibungen nach der Beratungsregel machte (siehe
Infokasten). Vor einigen Jahren gab er seine Praxis in Lindau jedoch auf und praktiziert in Bregenz.
Unter seinen Patientinnen sind aber noch immer viele Frauen aus der Region. Sie werden von Ärzten aus dem Allgäu, aber auch aus Vorarlberg und darüber hinaus, an Hostenkamp verwiesen, berichtet dessen Frau Monika, die sich in der Praxis um die Verwaltung kümmert: „Viele Mediziner sind froh, dass es uns gibt und dass sie es nicht machen müssen.“Denn Abtreibungen seien immer noch ein Tabu. Da habe sich in den 25 Jahren, in denen Hostenkamp praktiziert, nicht viel geändert. In Deutschland habe er außerdem viel Misstrauen erfahren unter anderem vonseiten der Krankenkassen. Nach dem Motto: „Wer Schwangerschaftsabbrüche macht, kann kein anständiger Mensch Unter anderem deshalb betreibt Hostenkamp nun nur noch eine Privatpraxis.
Aber auch in Bregenz wurde ihm seine Arbeit nicht immer leicht gemacht. Nach dem Auftreten sogenannter Bordsteinberaterinnen, die Schwangere vor der Praxis abfangen und mit Anti-Abtreibungs-Schildern patrouillieren, habe ihm zum Beispiel der Vermieter gekündigt, erzählt Hostenkamp. Neue Räume zu finden, sei fast aussichtslos gewesen. Seine heutige Praxis kauften der Mediziner und seine Frau. Diese Schwierigkeiten seien der Grund, warum nur wenig Ärzte Schwangerschaftsabbrüche machen, sagt Hostenkamp.
Aufgeben kam für ihn aber nie in Frage. Er findet, dass die Abwägung zwischen dem Recht eines Kindes auf Leben und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau nur eine Schwangere selbst treffen kann. Druck auf sie auszuüben oder einseitig zu beraten, sei inakzeptabel. Er informiere seine Patientinnen unvoreingenommen und habe dadurch auch schon etliche Abtreibungen verhindert, berichtet er.
Möchte eine Frau, die im Allgäu lebt, einen Schwangerschaftsabbruch machen lassen und dafür nicht das Land verlassen, muss sie nach München oder Ulm fahren, erklärt Anne-Doris Roos von der Beratungsstelle Pro Familia in Kemp- ten. Eine wohnortnahe Versorgung sei das nicht. Zudem seien die Frauen durch die Entfernung auch in der Wahl der Behandlungsmethode eingeschränkt, sagt Roos. Ein medikamentöser Abbruch zum Beispiel, der bis zur siebten Schwangerschaftswoche gemacht werden könne, sei nur möglich, wenn die Patientin nicht mehr als eine Stunde Fahrt entfernt wohne. Manchmal sei eine Nachbehandlung nötig. Diese Methode sei allerdings psysein.“ chisch oft viel besser zu verkraften als ein operativer Eingriff, sagt Roos. Denn eines sei klar: Leicht mache sich diese Entscheidung keine Frau. Unter den Frauen, die Roos berät, sind auch Asylbewerberinnen, deren Status ungewiss ist oder die in ihr Heimatland abgeschoben werden sollen. In dieser Situation ein Kind zu bekommen, trauen sich viele nicht zu und wollen einen Abbruch. Doch wer kein Deutsch kann, braucht für die medizinische Aufklärung und Beratung eine Dolmetscherin. Die müssten die Frauen dann in Ulm oder München organisieren. „Das ist eine zusätzliche Hürde“, sagt sie.
Trotzdem finden die Frauen, die eine Schwangerschaft beenden wollen, immer eine Möglichkeit, ist sich Maria Schmölzing, Vorsitzende des Regionalverbandes „Aktion Lebensrecht für alle“Memmingen/ Unterallgäu sicher. Sie spricht nicht von Schwangerschaftsabbruch, sondern von „vorgeburtlicher Kindstötung“und findet nicht, dass es dafür ein flächendeckendes Angebot geben müsse. „Ich kann nicht verstehen, warum ein ungeborenes Kind weniger Rechte haben soll als ein geborenes Kind“, sagt Maria Schmölzing.
Für Dr. Ricardo Felberbaum, Chefarzt in der Frauenklinik Kempten, ist „Abtreibung kein Mord“, sagt er. Trotzdem hält er es für zumutbar, dass die Frauen für diesen Eingriff die entsprechenden Praxen aufsuchen. In der Kemptener Frauenklinik werden Abbrüche nur gemacht, wenn ein kriminologischer oder ein medizinischer Grund vorliegt – so ist das auch in den meisten anderen Kliniken der Region.
„Wir sind ein Kinderwunschzentrum, da empfinden wir es als Widerspruch gesunde Schwangerschaften zu beendet“, erläutert Felberbaum.