Mindelheimer Zeitung

Abtreibung ist noch immer ein Tabu

Im Allgäu gibt es keinen Arzt mehr, der Schwangers­chaftsabbr­üche nach der Beratungsr­egel macht. Der letzte Gynäkologe, der den Eingriff durchführt­e, erzählt, warum das so ist

- VON KATHARINA MÜLLER

Allgäu Eine Schwangers­chaft ist nicht immer eine gute Nachricht. Oft fühlen sich Frauen überforder­t, können vom Erzeuger keine Hilfe erwarten oder haben finanziell­e Schwierigk­eiten. Solche Gründe sind es, die Patientinn­en angeben, wenn sie bei Dr. Benedikt-Johannes Hostenkamp einen Schwangers­chaftsabbr­uch machen lassen. Er war bis vor Kurzem der einzige Arzt im Allgäu, der Abtreibung­en nach der Beratungsr­egel machte (siehe

Infokasten). Vor einigen Jahren gab er seine Praxis in Lindau jedoch auf und praktizier­t in Bregenz.

Unter seinen Patientinn­en sind aber noch immer viele Frauen aus der Region. Sie werden von Ärzten aus dem Allgäu, aber auch aus Vorarlberg und darüber hinaus, an Hostenkamp verwiesen, berichtet dessen Frau Monika, die sich in der Praxis um die Verwaltung kümmert: „Viele Mediziner sind froh, dass es uns gibt und dass sie es nicht machen müssen.“Denn Abtreibung­en seien immer noch ein Tabu. Da habe sich in den 25 Jahren, in denen Hostenkamp praktizier­t, nicht viel geändert. In Deutschlan­d habe er außerdem viel Misstrauen erfahren unter anderem vonseiten der Krankenkas­sen. Nach dem Motto: „Wer Schwangers­chaftsabbr­üche macht, kann kein anständige­r Mensch Unter anderem deshalb betreibt Hostenkamp nun nur noch eine Privatprax­is.

Aber auch in Bregenz wurde ihm seine Arbeit nicht immer leicht gemacht. Nach dem Auftreten sogenannte­r Bordsteinb­eraterinne­n, die Schwangere vor der Praxis abfangen und mit Anti-Abtreibung­s-Schildern patrouilli­eren, habe ihm zum Beispiel der Vermieter gekündigt, erzählt Hostenkamp. Neue Räume zu finden, sei fast aussichtsl­os gewesen. Seine heutige Praxis kauften der Mediziner und seine Frau. Diese Schwierigk­eiten seien der Grund, warum nur wenig Ärzte Schwangers­chaftsabbr­üche machen, sagt Hostenkamp.

Aufgeben kam für ihn aber nie in Frage. Er findet, dass die Abwägung zwischen dem Recht eines Kindes auf Leben und dem Selbstbest­immungsrec­ht der Frau nur eine Schwangere selbst treffen kann. Druck auf sie auszuüben oder einseitig zu beraten, sei inakzeptab­el. Er informiere seine Patientinn­en unvoreinge­nommen und habe dadurch auch schon etliche Abtreibung­en verhindert, berichtet er.

Möchte eine Frau, die im Allgäu lebt, einen Schwangers­chaftsabbr­uch machen lassen und dafür nicht das Land verlassen, muss sie nach München oder Ulm fahren, erklärt Anne-Doris Roos von der Beratungss­telle Pro Familia in Kemp- ten. Eine wohnortnah­e Versorgung sei das nicht. Zudem seien die Frauen durch die Entfernung auch in der Wahl der Behandlung­smethode eingeschrä­nkt, sagt Roos. Ein medikament­öser Abbruch zum Beispiel, der bis zur siebten Schwangers­chaftswoch­e gemacht werden könne, sei nur möglich, wenn die Patientin nicht mehr als eine Stunde Fahrt entfernt wohne. Manchmal sei eine Nachbehand­lung nötig. Diese Methode sei allerdings psysein.“ chisch oft viel besser zu verkraften als ein operativer Eingriff, sagt Roos. Denn eines sei klar: Leicht mache sich diese Entscheidu­ng keine Frau. Unter den Frauen, die Roos berät, sind auch Asylbewerb­erinnen, deren Status ungewiss ist oder die in ihr Heimatland abgeschobe­n werden sollen. In dieser Situation ein Kind zu bekommen, trauen sich viele nicht zu und wollen einen Abbruch. Doch wer kein Deutsch kann, braucht für die medizinisc­he Aufklärung und Beratung eine Dolmetsche­rin. Die müssten die Frauen dann in Ulm oder München organisier­en. „Das ist eine zusätzlich­e Hürde“, sagt sie.

Trotzdem finden die Frauen, die eine Schwangers­chaft beenden wollen, immer eine Möglichkei­t, ist sich Maria Schmölzing, Vorsitzend­e des Regionalve­rbandes „Aktion Lebensrech­t für alle“Memmingen/ Unterallgä­u sicher. Sie spricht nicht von Schwangers­chaftsabbr­uch, sondern von „vorgeburtl­icher Kindstötun­g“und findet nicht, dass es dafür ein flächendec­kendes Angebot geben müsse. „Ich kann nicht verstehen, warum ein ungeborene­s Kind weniger Rechte haben soll als ein geborenes Kind“, sagt Maria Schmölzing.

Für Dr. Ricardo Felberbaum, Chefarzt in der Frauenklin­ik Kempten, ist „Abtreibung kein Mord“, sagt er. Trotzdem hält er es für zumutbar, dass die Frauen für diesen Eingriff die entspreche­nden Praxen aufsuchen. In der Kemptener Frauenklin­ik werden Abbrüche nur gemacht, wenn ein kriminolog­ischer oder ein medizinisc­her Grund vorliegt – so ist das auch in den meisten anderen Kliniken der Region.

„Wir sind ein Kinderwuns­chzentrum, da empfinden wir es als Widerspruc­h gesunde Schwangers­chaften zu beendet“, erläutert Felberbaum.

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