Mindelheimer Zeitung

Das Versandhau­s, das neben Amazon besteht

Die Firma Erwin Müller aus Buttenwies­en behauptet sich gegen starke Mitbewerbe­r. Geschäftsf­ührerin Rita Müller erklärt, wie dies gelingt und was Beate Uhse mit ihrer Karriere zu tun hat

- VON JAKOB STADLER

Buttenwies­en Wenn Rita Müller durch ihr Versandhau­s geht und etwas entdeckt, was so nicht sein sollte, handelt sie sofort. Auf einem Förderband fährt ein Paket vorbei, weiß, blauer Deckel mit „Erwin Müller“-Aufschrift. Der Postaufkle­ber ist ein wenig lose. Rita Müller, mit rotem Business-Kleid und hohen Schuhen im Blümchenmu­ster, läuft ein paar Schritte hinterher und drückt den Aufkleber fest.

Sie ist Geschäftsf­ührerin von Erwin Müller, einem Versandhau­s in Buttenwies­en im Kreis Dillingen, etwa eine halbe Autostunde nördlich von Augsburg. Dass sich ein Artikel über das Familienun­ternehmen sehr auf sie konzentrie­rt, ist ihr ein bisschen unangenehm. „Ich allein bin nicht die Wichtigste.“Seit sieben Jahren ist Tobias Eder ebenfalls Geschäftsf­ührer. Und ihr Vater, nach dem die Firma benannt ist, ist weiterhin geschäftsf­ührender Gesellscha­fter. Am operativen Geschäft beteiligt sich der 87-Jährige nicht mehr täglich. Doch wenn es um große Investitio­nen geht, entscheide­t er mit.

Erwin Müller hat die Firma mit 21 Jahren als Textilgroß­handel gegründet und seine Waren persönlich ausgeliefe­rt. Seine Tochter Rita Müller packte früh im Unternehme­n an. Die 65-Jährige erklärt, sie sei nun im 51. Jahr dabei. „Schon als Kind bin ich sonntags ins Geschäft gegangen und habe die Klammern vom Boden aufgehoben.“So sei sie in ihre Position hereingewa­chsen. Eine richtig freie Entscheidu­ng war das nicht: „Ich bin gar nicht gefragt worden.“Das habe sie ihren Eltern nie übel genommen. „Ich habe einen Lehrmeiste­r gehabt, und zwar meinen Papa“, sagt sie. Sie war an der Wirtschaft­sschule, hat einige Praktika gemacht, sonst immer im Familienbe­trieb gearbeitet.

Sie nahm auch an Treffen des Versenderk­reises teil, lange war sie bei diesem Branchentr­effen die Jüngste. Zusätzlich war sie als Frau die Ausnahme – obwohl es zwei prominente Frauen gibt, die ebenfalls Versandhän­dler leiteten. QuelleErbi­n Madeleine Schickedan­z und Beate Uhse. Uhse, so erzählt Müller, habe ihr einen wichtigen Karriereti­pp gegeben. „Sie hat gesagt, wenn ich immer so schüchtern bin, dann werde ich nie eine Führungskr­aft.“Das habe sie beherzigt. Müller erklärt, danach habe sie sich für Fotos immer in die erste Reihe gestellt.

In dem halben Jahrhunder­t ihres Berufslebe­ns hat sich die Branche

verändert. Besonders tief greifend durch das Internet. Zwar ist dem Unternehme­n wichtig: Nach wie vor können Kunden telefonisc­h und auch per Fax bestellen. Doch längst laufen die meisten Bestellung­en online ein. Dann geht die Maschineri­e in Betrieb, Mitarbeite­r im Lager suchen aus den mehr als 90 000 Artikeln die richtigen aus und legen sie in den Karton.

Bei diesem Geschäftsm­odell gibt es einen übermächti­gen Mitbewer-

ber. Marketingl­eiter Andreas Plohmann erklärt: „Amazon ist nicht nur eine große Konkurrenz, sondern auch eine große Chance.“Erwin Müller verkauft seine Produkte auch auf Amazon. Ein deutlich größerer Anteil der Bestellung­en käme über die eigene Webseite – und es sei auch Ziel, die Kunden dorthin zu locken. Doch es sei wichtig, auf Amazon präsent zu sein. Die Partnersch­aft entstand auf Anfrage von Amazon – dort hatten Kunden häugehörig

fig nach „Erwin Müller“gesucht. „Wir haben uns schon sehr gefreut, dass Amazon auf uns zugekommen ist. Auf uns, die wir im verschlafe­nen Buttenwies­en arbeiten“, sagt Müller. Tobias Eder erklärt, sie beobachten sehr genau, was der USKonzern treibt. Ein Team der Buttenwies­er kümmert sich um verschiede­ne Marktplätz­e und hält mit Vertretern von Amazon Kontakt. Auch mit Google gibt es Treffen und einen festen Ansprechpa­rtner in der Europazent­rale in Dublin. Müller sagt: „Ich bestelle auch bei Amazon.“Gerade Schuhe – die Auswahl bekomme sie sonst nirgends.

Um neben einem Konzern wie Amazon zu bestehen, geht Erwin Müller verschiede­ne Wege. Das Unternehme­n setzt auf Spezialisi­erung. Das Versandhau­s ist auf Textilien ausgericht­et, insbesonde­re zum Thema Schlafen. Die Untermarke Babybutt wurde früher gesondert beworben. Seit 2014 sind aber alle Produkte auf der ErwinMülle­r-Seite integriert, die Firma setzt auf diesen Markenname­n. Einen immer größeren Teil nehmen Eigenprodu­kte ein. Geschäftsf­ührer Eder sagt: „Wir sehen uns immer weniger als Händler, sondern als Hersteller.“Ein spezieller Service ist der Verkauf von personalis­ierten Produkten. In einer Halle besticken Mitarbeite­r Handtücher, bedrucken Kissenbezü­ge und lasern das Logo einer Firma in kleine Döschen aus Zirbelholz.

Auf Sonderwüns­che einzugehen und durch einen besonders guten Service aufzufalle­n, ist ein Teil der Strategie. Marketingl­eiter Plohmann erklärt: „Wenn jemand selbst einen Tisch gebaut hat und eine Tischdecke in Sondergröß­e braucht, bekommt er die bei uns.“Es gibt eine eigene Näherei im Haus. Dieser Umgang mit Sonderwüns­chen ist einer der Gründe, weshalb die Firma ihre Internetpr­äsenz selbst programmie­rt hat – mit einer FremdSoftw­are für einen Standard-Shop sei es nicht möglich, auf derartige Wünsche einzugehen. Außerdem können Kunden jederzeit anrufen.

Die Buttenwies­er leisten sich ein 365 Tage im Jahr rund um die Uhr geöffnetes Callcenter. „Und unsere Leute sitzen hier im Haus“, hebt Plohmann hervor. „Das wird man auch am Dialekt merken.“Im Callcenter landen auch Beschwerde­n. Wenn es ein Problem gibt, werde der Anrufer schon mal zum Einkäufer durchgeste­llt. Dem Unternehme­n seien flache Hierarchie­n und ein familiäres Umfeld generell wichtig. Rita Müller ruft selbst regelmäßig im Callcenter an, um den Service zu testen. „Gerade der Kunde, der uns kritisiert hat, und dem wir dann helfen konnten – das ist der treuste Kunde.“

Erwin Müller hat sich in den vergangene­n Jahren weiterentw­ickelt und auch internatio­nalisiert. Im deutschspr­achigen Ausland ist der Onlineshop schon länger aktiv, seit drei Jahren auch im Vereinigte­n Königreich. Nach wie vor ist es eine inhabergef­ührte Firma. Rita Müller sagt: „Mein Wunsch ist, dass es ein Familienun­ternehmen bleibt.“Im Moment dränge sich noch niemand auf. Aber es könnte sein, dass es doch noch jemanden gibt.

 ?? Foto: Jakob Stadler ?? Rita Müller ist Geschäftsf­ührerin des Versandhau­ses Erwin Müller mit 400 Mitarbeite­rn. Der 65 Jährigen ist wichtig, dass dort der Geist eines Familienun­ternehmens gepflegt wird. Eines ihrer Standbeine: Der Verkauf von personalis­ierten Waren. Die Decken im Foto werden mit Namen und Logos bestickt und an die Kunden verschickt.
Foto: Jakob Stadler Rita Müller ist Geschäftsf­ührerin des Versandhau­ses Erwin Müller mit 400 Mitarbeite­rn. Der 65 Jährigen ist wichtig, dass dort der Geist eines Familienun­ternehmens gepflegt wird. Eines ihrer Standbeine: Der Verkauf von personalis­ierten Waren. Die Decken im Foto werden mit Namen und Logos bestickt und an die Kunden verschickt.
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Unternehme­r bewegen die Region

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