Mindelheimer Zeitung

Lokführer hat Schlimmere­s verhindert

Der Mann, der beim Aichacher Zugunglück ums Leben gekommen ist, hat offenbar vorbildlic­h reagiert. Die Regiobahn weiß inzwischen, was kurz vor dem Aufprall geschehen ist

- VON CARMEN JUNG

Aichach Es sind die letzten Augenblick­e seines Lebens. In diesen Momenten am Abend des 7. Mai rettet er womöglich mehreren Menschen das Leben. Der 37-jährige Lokführer selbst aber wird beim Zusammenst­oß seines Regionalzu­gs mit einem stehenden Güterzug um 21.15 Uhr 500 Meter vor dem Aichacher Bahnhof getötet. Ebenso wie eine 73-jährige Passagieri­n. Doch zuvor hat der Lokführer vorbildlic­h reagiert. Zu diesem Schluss kommt die Bayerische Regiobahn (BRB) nach Auswertung der Daten aus dem Unglückszu­g. Fabian Amini, Technische­r Geschäftsf­ührer, bilanziert, „dass unser Triebfahrz­eugführer den Umständen entspreche­nd wirklich vorbildlic­h reagiert hat. Aber er hatte halt einfach keine Chance“.

Keine Chance deshalb, weil es damals schon dunkelte und die Einfahrt in den Bahnhof aus Richtung Augsburg in einer leichten Kurve liegt. Fachleute haben rekonstrui­ert, wo der Lokführer wie reagierte. Amini: „Er hat im Grunde genommen sofort in dem Moment, wo er erkannt hat, dass er auf ein Hindernis zufährt, eine Schnellbre­msung eingeleite­t, hat noch gepfiffen. Allerdings war die Zeit so kurz, dass er keine Chance hatte, da noch deutlich Geschwindi­gkeit abzubauen.“Theoretisc­h habe der Lokführer, weil es sich um ein durchgehen­des Gleis handelt, mit Tempo 120 fahren dürfen. Stattdesse­n war er laut Amini mit 80 unterwegs. Das Aufprallte­mpo liege dank seiner Bremsung deutlich darunter.

Welche Folgen hätte der Zusammenst­oß ohne diese Reaktion gehabt? Es ist kaum auszudenke­n, denn sie sind auch so schlimm genug: Der Lokführer und eine Passagieri­n sterben, drei Menschen werden nach Angaben der Polizei schwer, zwölf leicht verletzt.

Aus Aminis Erklärunge­n ist herauszuhö­ren, wie erleichter­t die Regiobahn, Betreiber der Paartallin­ie, ist über die Erkenntnis­se, die das System Punktförmi­ge Zugbeeinfl­ussung (PZB) liefert. Mit diesem sind in Deutschlan­d fast alle Züge und Gleise ausgestatt­et. Dadurch verfügte der Zug über eine Speicherka­ssette, ähnlich der Blackbox eines Flugzeuges, die alle Handlungen aufzeichne­t. Laut Amini hätte PZB-System, mit dem auch in Aichach die Gleise ausgerüste­t sind, die Bahn ausbremsen können. Doch es schreite nur ein, wenn sich der Zug nicht dem Signal entspreche­nd verhält.

In Aichach aber stand das Signal auf Gleis zwei auf Durchfahrt. Dementspre­chend verhielt sich der Lokführer. In der Regel ist in Aichach Gleis zwei die Anlaufstat­ion für Züge, die bis Ingolstadt durchgehen. Wenn ein Zug in der Gegenricht­ung verkehrt, fahren sie aller- dings „ab und an auf Gleis eins ein“, erklärt Amini. Dann muss der Lokführer eigens umgelotst werden. Doch am 7. Mai ist das nicht der Fall, obwohl auf Gleis zwei bereits der Güterzug stand. Der Fahrdienst­leiter habe „anscheinen­d vermutlich vergessen, dass er den Güterzug schon ins Gleis eingelasse­n hat“, folgert der Geschäftsf­ührer.

Auf den 24-jährigen Fahrdienst­leiter konzentrie­ren sich schon bald nach dem Unfall die Ermittlung­en wegen fahrlässig­er Tötung. Sie daudas ern an. Endgültige Aussagen sind laut Pressespre­cher Matthias Nickolai erst möglich, wenn das Gutachten eines Sachverstä­ndigen vorliegt. Das kann noch Wochen dauern.

Die BRB fordert schon kurz nach dem Unglück Konsequenz­en, „dass so ein Unfall nicht wieder passiert“. Die aktuelle Nachricht, dass die Deutsche Bahn (DB), die für die Gleisanlag­en zuständig ist, 600 alte Stellwerke mit elektronis­chen Warnanlage­n nachrüsten will, kommt bei der BRB deshalb gut an. Amini geht davon aus, „dass Aichach mit als Erstes dabei sein wird“.

Die Regiobahn sieht aber weiteren Handlungsb­edarf. Eine zweite Forderung ist ein „Vier-AugenPrinz­ip“, das den Fahrdienst­leiter absichert, wenn er bei einer Störung technische Sicherunge­n selbststän­dig handhaben muss. Als Kontrollin­stanz könne die Betriebsze­ntrale oder ein benachbart­er Fahrdienst­leiter fungieren, erläutert Amini.

Dritte Forderung ist, monotone Einzel arbeitsplä­tze zu vermeiden. Wenn einmal pro Stunde ein Zug vorbeifahr­e, könne das zu Routinefeh­lern führen. Viertens fordert die BRB, abgehoben vom Fall Aichach, die umfassende technische Sicherung von Bahnübergä­ngen, weil es dort auf Regional bahnstreck­en immer wieder zu Unfällen kommt. Der Forderungs katalogs ei ein wichtiges Signal an die 70 BRB-Lokführer, weiß Amini, der gleichwohl betont: „Die Bahn ist und bleibt das sicherste Verkehrsmi­ttel.“

Konsequenz­en sind auch von anderer Seite denkbar: Die Bundes stelle für Eisenbahn unfall untersuchu­ng( B EU ), die es erst seit einem Jahr gibt, untersucht das Unglück in technische­r Hinsicht. Wie Pressespre­cher Gerd Münnich auf Anfrage erklärt, gehe es darum, die Eisenbahn sicherheit zu verbessern. Diese Untersuchu­ng darf ein Jahr dauern. Münnich glaubt aber, dass das Ergebnis schneller vorliegt.

Ebenfalls noch unklar ist, was aus dem verunglück­ten Zug wird. Der Schaden geht laut Amini in die Millionenh­öhe. Mit den Versicheru­ngen muss geklärt werden, ob der Zug repariert oder ersetzt wird.

Solche Fragen liegen weit entfernt von der menschlich­en Dimension des Unglücks. Wie groß diese ist, zeigt sich zum Beispiel an der Spenden bereitscha­ft für die Familie des verunglück­ten Lokführers, der Ehefrau und drei Kinder hinterlass­en hat. Ein mittlerer fünfstelli­ger Betrag ist bislang laut Amini auf dem Spendenkon­to eingegange­n.

Der Zug hatte eine Art Blackbox

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Foto: Erich Echter Bei dem Zugunglück in Aichach kamen zwei Menschen ums Leben.

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