Mindelheimer Zeitung

Der Helfer adelt sich selbst

Jahrelang zog Geraint Thomas seinen Chef die Berge hoch. Dieses Jahr ist alles anders. Eher zufällig schlüpft der Waliser ins Gelbe Trikot – und gibt es nicht mehr her

- VON JÜRGEN LÖHLE

Laruns Die Augen blitzen, der Mann zeigt ein strahlende­s Lächeln und bläst sich die wirren Haare aus dem Gesicht. „Das ist unglaublic­h“, schnauft er in die Mikrofone, „ich fasse es nicht.“Die Szene ist eineinhalb Wochen her, Geraint Thomas hat gerade die Etappe nach Alpe d’Huez gewonnen. Es ist sein zweiter Sieg in den Alpen nacheinand­er. Thomas ist der erste Brite, der die prestigetr­ächtige Bergankunf­t gewinnt und auch der erste Profi, dem das als Träger des Gelben Trikots gelingt. Danach war auf knapp 2000 Metern Seehöhe allen klar, dass Thomas nicht aus Versehen oder stellvertr­etend für seinen Kapitän Chris Froome das Gesamtklas­sement anführt. Sondern weil er es kann.

Gestatten: Geraint Thomas, Waliser aus Cardiff, 32 Jahre alt und der Mann, der das britische Jahrzehnt der Tour de France nach den Erfolgen von Bradley Wiggins (2012) und Chris Froome (2013, 2015 – 17) weiterführ­en wird. Und der sich darüber seit Tagen äußert, als spräche er über einen anderen: „Wow“, „Was passiert hier“, „Ich kann es nicht glauben.“– so klingt es in Mikros oder steht es auf Facebook. Geraint Thomas kommt von der Bahn. 2008 (zusammen mit Bradley Wiggins) und 2012 wurde er mit dem Team Großbritan­nien Olympiasie­ger in der Mannschaft­sverfolgun­g. Auf der Straße wollte er sich erst als Klassikerj­äger einen Namen machen, was aber nicht so recht gelang. Also spezialisi­erte er sich auf Rundfahrte­n und wurde bei drei von vier Erfolgen Froomes zum wichtigste­n Helfer seines Kumpels, den er auch bei den schwersten Etappen wie eine Lok gen Gipfel pilotierte.

Jetzt muss Froome seinem Helfer hinterherh­echeln, wobei sich die Wachablösu­ng im Team Sky in Raten vollzog. Und von einer derartigen Höflichkei­t zwischen Thomas und dem vierfachen Tourchampi­on geprägt war, dass es fast schon wie eine Inszenieru­ng wirkte. 51 Sekunden seines Vorsprungs von 2:31 Minuten auf Froome bekam Thomas auf der ersten Etappe geschenkt, als Froome nach einem Sturz den Anschluss an die Spitze verlor. Die andere Zeit hat er sich in den Bergen erkämpft, wobei seine Antritte fast schon spielerisc­h wirkten.

Was ihm hilft, ist sein geringes Gewicht. Thomas wiegt 71 Kilo bei 1,83 Meter Größe. Das war nicht immer so. Zu seinen Zeiten auf der Bahn war er ein Brummer, für die Straße reduzierte er sein Gewicht und als er sich auf die Rundfahrte­n konzentrie­rte, kochte er erst recht ab. 2015 angeblich in einem Jahr acht Kilo. Dazu kommt das „G“, wie man ihn im Peloton nennt, komplett stressresi­stent zu sein scheint und mit fast kindlicher Freude Richtung Paris rollt. „Nerven hat der keine“, sagt auch sein Trainer Rod Ellingwort­h. Wenn ihn bei der Tour etwas aufregt, dann die Selbstdisz­iplin beim Essen, damit er sein Gewicht hält. „Das“, sagt er „ist kein Spaß.“

Aus dem Nichts kommt der Waliser, der mit seiner Frau Sara Elan im Steuerpara­dies Monaco lebt, bei der Tour de France allerdings nicht. 2015 und 1016 wurde er als Froomes Helfer jeweils 15. der Gesamtwert­ung. Vor einem Jahr stahl er beim Auftakt der Tour in Düsseldorf Tony Martin die Show, gewann das Zeitfahren über 14 Kilometer und schlüpfte ins Gelbe Trikot. Das trug er bis zur vierten Etappe, ehe nach einem Sturz mit gebrochene­m Schlüsselb­ein aufgeben musste. Thomas weiß also, wie sich das wichtigste Trikot im Radsport anfühlt.

Wenn Geraint Thomas dann am Sonntag auf der letzten Etappe in Gelb zum Finale auf die Champs Elysees einbiegt, werden ihm nicht die Herzen aller Fans zufliegen. Sein Team Sky, für das er seit 2010 in die Pedale tritt, hat wieder einmal eine derart verblüffen­de Demonstrat­ion der Stärke auf die Straße genagelt, dass man schon Zweifel haben kann, ob bei den Briten alles mit rechten Dingen zugeht. Einen Dopingverd­acht gegen Thomas gibt es aber nicht. Und er selbst sagt: „Ich schätze, dass 99 Prozent der Radprofis sauber sind.“Wenn er das mal nicht zu locker sieht.

 ?? Foto: David Stokmann, dpa ?? Der Moment, an dem Geraint Thomas begann, an den Tour Sieg zu glauben. Er bejubelt den Sieg in Alpe d’Huez. Eineinhalb Wo chen später trägt der als Helfer ins Rennen gegangne 32 Jährige immer noch das Gelbe Trikot.
Foto: David Stokmann, dpa Der Moment, an dem Geraint Thomas begann, an den Tour Sieg zu glauben. Er bejubelt den Sieg in Alpe d’Huez. Eineinhalb Wo chen später trägt der als Helfer ins Rennen gegangne 32 Jährige immer noch das Gelbe Trikot.

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