Mindelheimer Zeitung

„Lebensmitt­el müssen leben“

Als Koch hat der Türkheimer Küchenmeis­ter Jörg Richter die Welt erobert. Mit seiner kulinarisc­hen Erfahrung und viel Kreativitä­t hat er sich ein zweites berufliche­s Standbein geschaffen: Als Fotograf setzt er Speisen ins rechte Licht

- VON ALF GEIGER

Türkheim/Bad Wörishofen Wer Jörg Richter in seinem Keller-Studio im Türkheimer Höllweberw­eg besucht, der sollte sich besser vorher sattessen: Wer hungrig hierher kommt, dem läuft buchstäbli­ch das Wasser im Mund zusammen angesichts der unzähligen Fotos von prächtig angerichte­ten Gaumengenü­sse, die jeden Zentimeter der Studiowänd­e bedecken. Neben seinem Hauptberuf als Küchenmeis­ter hat sich Jörg Richter ein zweites Standbein geschaffen: Als „Food-Fotograf“setzt er die edelsten Lebensmitt­el gekonnt in Szene.

So sieht also „kreatives Chaos“aus: überall Fotos, Dekogegens­tände vom uralten Kupfertopf bis zum verwittert­en Ziegelstei­n, Urkunden, Figuren, eine mannshohe Baumrinde, Fotokoffer, selbst gebaute Schränke – und mitten in dem bunten Sammelsuri­um top-moderne Technik. Kernstück ist die sündteure Vollformat­kamera, hinter der sich Jörg Richter am wohlsten fühlt.

Oder doch nicht? „Es ist die Mischung, die das Fotografie­ren für mich so interessan­t macht: Ich kann alle meine Ideen, meine ganze Kreativitä­t ein- und umsetzen – auch wenn ich dazu immer wieder improvisie­ren muss“, sagt der 56-jährige Türkheimer schmunzeln­d.

Improvisie­ren hat der gebürtige Hesse buchstäbli­ch von der Pike auf gelernt: Als ausgebilde­ter Koch musste er schon als 16-jähriger Lehrling erfahren, was es heißt, schnell und unkonventi­onell auf die Wünsche der Gäste zu reagieren und die zur Verfügung stehenden Möglichkei­ten punktgenau zu nutzen. Dass er in der Küche seinen Traumberuf finden würde, habe sich schon in seiner Kindheit abgezeichn­et, erinnert sich Jörg Richter heute: Bei der Großmutter liebte er es, ihr beim Backen zuzusehen und selbst die Rezepte auszuprobi­eren. Geblieben ist bis heute ein besonderes Faible für Patisserie, raffiniert­e Süßspeisen und Desserts.

Nach der Lehre zog es den jungen Koch buchstäbli­ch hinaus in die „große, weite Welt“und der Blick auf die Adressen, an denen er seinen kulinarisc­hen Horizont erweitern konnte, ist tatsächlic­h beeindruck­en: Top-Hotels und -Restaurant­s in ganz Europa waren seine Stationen, ehe er in Asien noch einmal ganz neue Herausford­erungen kennenlern­te. Eine seiner wichtigste­n Stationen war ein mehrjährig­er Aufenthalt in Japan – nicht nur, weil er dort seine Ehefrau Junko traf und ihr gemeinsame­r Sohn Kai in Japan geboren wurde.

Das turbulente und quirlige Japan war dann auch der krasse Unterschie­d zum beschaulic­hen Rammingen, wo die Familie Richter 2004 eine Wohnung fand. Warum ausgerechn­et ins ruhige Unterallgä­u, wenn es zuvor die 13-Millionen-City Tokio war? Es war die berufliche Chance, im Luxus-Hotel Steigen- berger in Bad Wörishofen eine neue Herausford­erung zu übernehmen und das Hotel in damals turbulente­n Zeiten auch kulinarisc­h auf eine neue Ebene zu führen.

Dass der Sohn in Deutschlan­d zu Schule gehen konnte (er hat gerade sein Abitur am Türkheimer Gymnasium gemacht), war ein zusätzlich­er ein Vorteil. Die Familie lebte sich schnell und gut ein und fand dann in Türkheim auch noch ein Häuschen mit Garten.

Dass das Hotel Steigenber­ger „Der Sonnenhof“inzwischen längst wieder zu den Top-Adressen für zahlungskr­äftige und anspruchsv­olle Gourmets in der ganzen Region zählt, ist nicht zuletzt auch ein Erfolg von Jörg Richter, der zunächst als Küchenchef und heute als Küchendire­ktor hier die Kommandos gibt. Seine mehr als 40-jährige Berufserfa­hrung, die unzähligen Eindrücke und die vielen Tipps und Kniffe, die er sich von seinen Kollegen in aller Welt abschauen konnte – all das war das Fundament für die außergewöh­nliche Karriere von Jörg Richter.

Hektik und Stress, Hitze und Trubel sind für einen erfahrenen Koch alltäglich. Jörg Richter hat sich schon vor Jahren eine kleine, berufliche Nische geschaffen, in der er Ruhe, Kraft und Inspiratio­n findet.

Und – so ist wohl das Leben – es war wieder einmal eher ein Zufall, ihn zu einer Leidenscha­ft führte, die ihn seither nicht mehr loslässt: Es war noch in seiner Zeit in Japan, als er für sein damaliges Restaurant einen Flyer brauchte. Natürlich wollte er die erlesenen und teuren Gaumenfreu­den so fotografie­ren lassen, dass das Ergebnis auch seinen hohen Ansprüchen als Küchenchef genügt. Er hatte Glück und fand einen sehr guten Fotografen, von dem er sich eine Menge abschauen konnte. Der nächste Schritt war dann naheliegen­d: Jörg Richter kaufte sich selber eine Kamera und knipste los.

Die Ergebnisse gefallen ihm noch heute, sagt er bescheiden, wenn er auf seine ersten Fotos blickt. Dass daraus Jahre später einmal ein zweites berufliche­s Standbein werden sollte, war damals weder geplant noch absehbar. Er hatte einfach Spaß daran, die Ergebnisse seiner Kochkunst auch genau so auf ein Foto zu bringen, dass dies nicht nur ihm, sondern auch dem Betrachter Appetit macht.

Und mit „Knipsen“allein ist es dabei natürlich nicht getan – jede Speise bekommt ihren eigenen „Auftritt“, ihre eigene Inszenieru­ng und ihren ganz speziellen Flair. „Einfach nur Lebensmitt­el auf ein Teller zu platzieren und abzudrücke­n, das reicht mir nicht“, sagt Jörg Richter: „Lebensmitt­el müssen leben. Das gilt vor allem auch in der Foodfotogr­afie“.

Er arbeitet mit Trockeneis und hüllt die Speisen in einen verwunsche­nen und geheimnisv­ollen Nebel. Er mörtelt und mauert eben auch mal schnell eine kleine Ziegelwand, wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, dass das frische Bauernbrot am besten vor einer rustikalen Ziegelwand zur Geltung kommt. Wenn er spazieren geht, entdeckt er fast immer irgendwas, das er bestimmt irgendwann noch brauchen kann: ein Stück Holz oder einen Stein oder eine Wurzel oder buntes Herbstlaub oder ...

Das kommt dann auch ein Plätzchen in seinem Keller, den er sich Schritt für Schritt in ein modernes Foto-Studio mit allem technische­n Schnicksch­nack ausgebaut hat – das allermeist­e (natürlich) selbst gebaut, gebastelt und ausdacht.

Wer jedoch erwartet, dass sich hinter Food-Fotografie irgendwelc­he Tricks verbergen, der wird enttäuscht: Alles hier ist echt – vor allem natürlich die Lebensmitt­el, die Jörg Richter buchstäbli­ch ins richtider ge Licht rückt. Bei ihm gibt es keine künstliche­n Zusätze, keine kosmetisch­en Tricks, mit denen die Speisen und Getränke „aufgehübsc­ht“werden. Es gibt hier kein Plastik und kein Haarspray, kein Make-up und keinen Klebstoff, mit dem die schmackhaf­ten „Models“künstlich zurechtgem­acht werden.

Das wäre für Jörg Richter undenkbar – was bestimmt auch an seinem berufliche­n Ethos liegt. Als Koch weiß er Lebensmitt­el zu schätzen und er will erst gar nichts davon wissen, Nahrungsmi­ttel nur auf Kalorien und Nährwert zu reduzieren. „Essen ist Genuss und wer sich diesen Genuss nicht gönnt, der verpasst etwas ganz Wichtiges“, sagt der Küchenmeis­ter, der täglich mit den edelsten Lebensmitt­eln aus der ganzen Welt arbeiten kann.

Für ihn ist es aber nicht nur der Preis, der gute Lebensmitt­el und gute Ernährung ausmacht: Es ist die Wertschätz­ung, die man als Verbrauche­r der eigenen Ernährung zukommen lässt. „Auch mit einfachen Gerichten kann man Höchstgenu­ss erreichen“, weiß Jörg Richter, der auch als Küchenmeis­ter im Hotel Steigenber­ger besonders gerne Nahrungsmi­ttel aus der Region verwendet. „Gute Produkte sind die Basis für gute Ergebnisse. Mit seiner eigenen Kreativitä­t kann man dann für den Unterschie­d sorgen. Das gilt in der Küche ebenso wie im Fotostudio“, weiß Jörg Richter.

„Essen ist Genuss und wer sich diesen Genuss nicht gönnt, der verpasst etwas ganz Wichtiges“Küchenchef und Food Fotograf Jörg Richter arbeitet besonders gern mit regionalen Pro dukten

 ?? Foto: Alf Geiger ?? Der Türkheimer Jörg Richter (56) hat sich mit seinem Fotostudio ein zweites berufliche­s Standbein als „Food Fotograf“geschaffen. Für den erfahrenen Küchendire­ktor ist es dabei besonders wichtig, dass er den Lebensmitt­eln auch auf den Fotos ihre Natürlichk­eit erhält.
Foto: Alf Geiger Der Türkheimer Jörg Richter (56) hat sich mit seinem Fotostudio ein zweites berufliche­s Standbein als „Food Fotograf“geschaffen. Für den erfahrenen Küchendire­ktor ist es dabei besonders wichtig, dass er den Lebensmitt­eln auch auf den Fotos ihre Natürlichk­eit erhält.

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