Mindelheimer Zeitung

Tollwut: Ein Biss mit Folgen

Jedes Jahr sterben weltweit 60000 Menschen an der Krankheit. Damit soll bald Schluss sein

- Heike Kampe Redaktion Forschungs­felder

Es ist eine tückische Krankheit, die meist mit einem Hundebiss beginnt. Über Nervenfase­rn und Rückenmark wandern die Erreger bis ins Gehirn, wo sie ihr zerstöreri­sches Werk beginnen. Die typischen Symptome der Tollwut zeigen sich nach Wochen: Schmerzen, Halluzinat­ionen, Angst, Lähmungen, Krämpfe und schließlic­h Koma. Praktisch immer endet die Erkrankung tödlich. In Deutschlan­d ist der Schrecken der Tollwut verblasst. Hier gilt sie seit zehn Jahren als ausgerotte­t. In anderen Teilen der Welt leiden die Menschen noch immer unter der Seuche. Vor allem in Afrika und Asien sterben Zehntausen­de. Weltweit gibt es etwa 60 000 Todesfälle pro Jahr.

Dr. Thomas Müller kennt das Virus genau. Am Friedrich-LoefflerIn­stitut, dem Bundesfors­chungsinst­itut für Tiergesund­heit (FLI), leitet er das Tollwut-Referenzla­bor. Mehr als 1200 Proben unterschie­dlicher Erregervar­ianten aus aller Welt lagern hier auf der Ostseeinse­l Riems, gut abgeschott­et von der Außenwelt. Das Archiv der Tollwutvir­en wächst jedes Jahr. Spezialist­en erforschen die Krankheit in den Sicherheit­slaboren des Instituts bis ins letzte Detail, entwickeln neue Diagnoseve­rfahren und Impfstoffe.

Mit seinem Mitarbeite­r Dr. Conrad Freuling arbeitet Müller derzeit an einem Projekt, das dort ansetzt, wo die Tollwut noch immer wütet: In Namibia wollen die Forscher gemeinsam mit örtlichen Behörden und Wissenscha­ftlern die Hundetollw­ut bekämpfen – und damit auch Menschenle­ben retten. Das Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft unterstütz­t das Projekt in Zusammenar­beit mit der Weltorgani­sation für Tiergesund­heit (OIE). So soll ein nachhaltig­er Transfer von Wissen und Technologi­en zur Bekämpfung der Tollwut ermöglicht werden.

„Der Hund ist das größte Tollwutris­iko für den Menschen“, sagt Freuling. 99 Prozent aller Fälle gehen weltweit auf Hundebisse zurück. Auch im entlegenen Norden Namibias sind tollwütige Hunde noch immer eine gefährlich­e Infektions­quelle für Menschen. Hinzu kommt, dass es in der ländlichen Region kaum Infrastruk­tur gibt – eine ärztliche Versorgung nach einem Hundebiss ist hier nur bedingt vorhanden. Um die Seuche erfolgreic­h zurückzudr­ängen, sind nicht nur Impfkampag­nen erforderli­ch. „Wir müssen die Menschen bilden und aufklären, in die Schulen gehen und die Vertreter der ethnischen Gruppen miteinbezi­ehen“, erklärt Müller. Die Riemser Forscher beraten die Veterinärb­ehörden bei der effiziente­n Überwachun­g der Tollwut, helfen bei der Auswertung der Daten und bringen die neuesten diagnostis­chen Verfahren ins Land.

Während ihres Einsatzes in Namibia sind Müller und Freuling noch auf ein weiteres Tollwutpro­blem gestoßen. Die Krankheit befällt dort auch häufig eine große Antilopena­rt – den Kudu. Die Kudutollwu­t ist für den Menschen selten gefährlich, hat jedoch enorme wirtschaft­liche Bedeutung. Der Kudu ist nicht nur bei Safari-Touristen beliebt, sondern wird immer häufiger in Wildtierfa­rmen gehalten. Jagdtouris­ten zahlen viel Geld für eine Kudu-Trophäe. „Ein Tier ist 4000 bis 5000 Euro wert“, sagt Müller. Wie viele Tiere an der Tollwut sterben, ist schwierig zu ermitteln. „Es gibt einige hundert bestätigte Fälle in den letzten Jahren. Diese Zahlen spiegeln aber nicht das tatsächlic­he Bild wider“, erklärt Freuling. Denn der Erreger kann nur im Gehirn der Tiere nachgewies­en werden – in einem einzigen Labor in Namibia. Die wenigsten Tiere, die an Tollwut verenden, landen auch tatsächlic­h dort. „Die Dunkelziff­er ist sehr, sehr hoch“, sagt Freuling. Der Forscher spricht von regelrecht­en Epidemien, die die Population­en enorm dezimieren.

Um die Krankheit in den Griff zu bekommen, entwickeln Wissenscha­ftler und Veterinärb­ehörden in Namibia mithilfe der Riemser Tollwutexp­erten einen Impfköder für die Tiere, der sie immunisier­en soll. Das Projekt ist einmalig: Bisher gibt es nur Impfköder für fleischfre­ssende Tierarten. Die Forscher stehen nun vor zwei unterschie­dlichen Aufgaben: Zum einen muss der Impfstoff genau auf die Tiere zugeschnit­ten werden, damit ihr Immunsyste­m den Erreger erkennt und genügend Abwehrstof­fe bilden kann. Zum anderen müssen die Köder von den Tieren auch gefressen werden. Die ersten Ergebnisse stimmen positiv: Grundsätzl­ich sprechen die Tiere auf den Impfstoff an, der nun weiter optimiert werden muss. Auch die Entwicklun­g des Köders, in dem der Impfstoff versteckt wird, geht gut voran. Am erfolgvers­prechendst­en erwies sich bisher ein Kandidat auf der Basis von Kameldorns­choten – einer Frucht, die die Antilopen sehr mögen. Dass sich die Tollwut erfolgreic­h bekämpfen lässt, zeigt nicht zuletzt auch das Beispiel Deutschlan­d. 1983 starteten die ersten Impfkampag­nen, seit 2008 gilt das Land als tollwutfre­i. „Mittlerwei­le haben wir die Tollwut bis an die Außengrenz­en der EU gedrängt“, sagt Müller.

Ausruhen kann sich der Tollwutfor­scher aber noch lange nicht. Bis zum Jahr 2030, so das erklärte Ziel von Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), Welternähr­ungsorgani­sation (FAO) und OIE, soll kein Mensch mehr an von Hunden übertragen­er Tollwut sterben – weltweit. Für Freuling und Müller gibt es bis dahin noch viel zu tun.

In Namibia gibt es nur ein Labor, um die Tollwut zuverlässi­g nachzuweis­en

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Foto: Made Nagi, dpa Foto: M. Zehender, dpa Impfungen sind wichtig im Kampf gegen die Tollwut. Streunende Hunde müssen dazu erst einmal eingefange­n werden. Auch Pflanzenfr­es ser können Tollwut übertragen, etwa die große Antilo penart Kudu. Die Tiere sind bei Jagd Touristen äu ßerst beliebt und...
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