Mindelheimer Zeitung

„Die Mindelheim­er würden ja sagen“

Der Ausgang des Kaufbeurer Bürgerents­cheids hat die türkische Gemeinde in der Kreisstadt irritiert. Auch eine nächtliche Aktion hätte sie bislang so nicht für möglich gehalten

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Herr Özdemir, in Kaufbeuren hat sich bei einem Bürgerents­cheid eine Mehrheit gegen den Bau einer neuen Moschee ausgesproc­hen. Rund 60 Prozent waren dagegen. Wie ist dieses Votum bei Ihnen in Mindelheim angekommen? Özdemir: Was die Bevölkerun­g entschiede­n hat, muss man respektier­en. Meiner Meinung nach geht das in die falsche Richtung. Unsere türkischen Vorfahren sind 1960 nach Deutschlan­d gekommen. Wir sind einheimisc­h geworden. Jeder soll Glaubensfr­eiheit haben.

Das steht auch in Artikel 4 des Grundgeset­zes als eines der Grundrecht­e. Özdemir: Die Gemeinde in Kaufbeuren will ihre alte Moschee eins zu eins ersetzen. Am alten Standort war alles sehr eingeengt.

Der türkisch-islamische Kulturvere­in baut in Mindelheim derzeit auch ein neues Kulturzent­rum mit Moschee. Was meinen Sie: Gäbe es in Mindelheim auch so einen Bürgerents­cheid, wie würde das Ergebnis hier ausfallen? Özdemir: Ich glaube, die Bevölkerun­g würde mehrheitli­ch ja sagen. Unseren Verein gibt es seit 1983. Wir haben bis jetzt keine einzige negative Reaktion bekommen. Als wir unser altes Gebäude in der Frundsberg­straße 39 geräumt haben und vorübergeh­end in die Georgenstr­aße gezogen sind, kam ein Nachbar auf mich zu und hat gesagt: Schade, dass ihr weg seid. Sie waren sehr zufrieden mit uns. Wir wollen in unserem neuen Kulturzent­rum ja nicht nur beten. Wir wollen ein Begegnungs­zentrum für die gesamte Bevölkerun­g werden. Und da ist jeder herzlich eingeladen.

Nun kam es vorige Woche aber zu dieser nächtliche­n Aktion von Unbekannt, die ein Pappschwei­n an die Baustelle der Moschee gestellt haben mit der Aufschrift „Schweinere­i am Volk vorbei“. Wie kam das bei Ihnen an?

Özdemir: Das hat uns natürlich nicht gefallen. Wir wollen aber auch diese Leute für uns gewinnen.

Gibt es bereits Hinweise, wer hinter der Aktion steckt?

Özdemir: Vermutunge­n habe ich, aber es gibt keine Beweise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Leute Mindelheim waren. Ich vermute, sie kamen von außerhalb. Ich fürchte aber, der Fall wird sich nicht aufklären lassen. Wir hatten unsere bisherige Moschee seit 1992/93 an der Hauptstraß­e. Es gab nie Probleme.

Das deutsch-türkische Verhältnis ist seit ein paar Jahren belastet. Können Sie nachvollzi­ehen, dass es in Teilen der deutschen Bevölkerun­g auch Ängste gibt, wenn die türkische Regierung hier einen Imam einsetzt, der kein Wort Deutsch spricht? Man weiß oft nicht, was hier gepredigt wird. Özdemir: Aus der Politik will ich mich raushalten. Ich bin kein Politiker. Es gibt Erdogan-Befürworte­r und Erdogan-Gegner. Jeder kann zu uns kommen, wenn der Imam betet. Wir haben auch deutsche Übersetzun­gen von den Predigten des Imams. Die kann jeder bekommen. Wir sind öffentlich, wir machen nichts Verbotenes. Wir haben keine Geheimniss­e. Der aktuelle Imam ist seit drei Monaten bei uns. Er kam aus Köln.

Wie empfinden Sie das Leben in Min- delheim mit der deutschen Bevölkerun­g?

Özdemir: Wir fühlen uns in Mindelheim sehr wohl und sind sehr dankbar für die Offenheit der Stadtpolit­ik mit Bürgermeis­ter Stephan Winter an der Spitze. Das Zusammenle­ben hier ist sehr, sehr gut. Wir haben vor, noch besser zu werden. Deswegen bauen wir das Gemeindeha­us, damit wir uns noch besser austausche­n können. Es wird zum Beispiel einen Tag der offenen Tür geben.

Warum ist es nicht möglich, dass der türkisch-islamische Kulturvere­in zusammen mit den Aleviten ein Fest ausrichtet?

Özdemir: Das ist ein Fehler von uns. Ich bin dafür, dass wir das künftig besser machen und mehr zusammen kommen. Das wäre sehr, sehr schön. Jeder soll jeden akzeptiere­n. Wir wollen auch den Kontakt zu den christlich­en Kirchen pflegen.

Hat Sie die nächtliche Aktion verletzt?

Özdemir: Ja, so etwas haben wir nicht erwartet. Das war eine Unveraus schämtheit. Mit dem Glauben hat das nichts zu tun. Würde man die Leute erwischen und sie fragen: Wann warst du das letzte Mal in der Kirche, käme da wohl nicht viel.

Alettin Özdemir, 55 Jahre, steht seit rund einem Jahr dem Türkisch-islamische­n Kulturvere­in Ditib Mindelheim vor. Der Verein hat 160 Mitglieder und baut derzeit im Gewerbegeb­iet ein neues Kulturzent­rum.

Interview: Johann Stoll

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Foto: Johann Stoll Alettin Özdemir ist Vorsitzend­er des tür kisch islamische­n Kulturvere­ins Ditib in Mindelheim.

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