Nicht alle Landwirte brauchen Staatshilfe wegen der Hitze
Weshalb Großbetriebe im Norden und Osten das Risiko tragen müssen
Eines muss man Joachim Rukwied lassen – der oberste Bauer der Nation versteht sein Handwerk, sich und seinen Berufsstand medienwirksam in Szene und die Politik unter Druck zu setzen. Pünktlich vor dem Dürre-Gipfel im Agrarministerium am gestrigen Dienstag sprach der Präsident des Bauernverbandes von der „schlechtesten Ernte des Jahrhunderts“, forderte die Ausrufung des Notstands und staatliche Hilfen im Umfang von einer Milliarde Euro für die von den Ernteausfällen betroffenen Landwirte. Die monatelange Trockenheit und die extreme Hitze vor allem im Norden und Osten Deutschlands seien für viele Betriebe existenzbedrohend.
Der Aufschrei des Bauernverbandes hat seine Wirkung nicht verfehlt. In der Politik wie in der Öffentlichkeit gibt es viel Verständnis für die Forderungen der Bauern, nicht nur Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) zeigt sich besorgt über die Auswirkungen der Dürre, sondern auch der Koalitionspartner SPD, die oppositionellen Grünen und Liberalen befürworten im Grundsatz Nothilfen für die betroffenen Bauern.
Dabei wissen alle Beteiligten, dass so schnell kein Geld fließt. Beim Dürre-Gipfel am Dienstag tauschten Vertreter des Bundes und der Länder auf der Fachebene ihre Erkenntnisse aus, am heutigen Mittwoch will Klöckner ihre Kabinettskollegen über die Lage informieren. Erst Ende August, wenn mit dem Erntebericht eine verlässliche Datengrundlage vorliegt, soll über konkrete Hilfen entschieden werden.
Und auch da gibt es klare Regeln. Nach dem EU-Beihilferecht sind Staatshilfen erst ab Ertragsausfällen von 30 Prozent gegenüber dem Drei-Jahres-Mittel erlaubt. Dann können die einzelnen Bundesländer festlegen, nach welchen Kriterien diese Hilfen vergeben werden. Der Bund kann erst Finanzhilfen leisten, wenn Schäden von „nationalem Ausmaß“festgestellt werden. Zuletzt war dies 2003 wegen einer ebenfalls lang anhaltenden Hitzeperiode und 2013 wegen Hochwasserschäden der Fall.
Auf einem anderen Blatt steht, wie sinnvoll derartige staatliche Maßnahmen sind. Im Einzelfall mögen sie helfen, einen Hof zu retten. Doch entgegen dem auch vom Bauernverband gerne geprägten Bild von den bäuerlichen Familienbetrieben, die es zu schützen und zu bewahren gelte, gibt es diese gerade in Norddeutschland und auf dem Gebiet der ehemaligen DDR praktisch nicht mehr. Dort findet die Landwirtschaft in kommerziellen Großbetrieben, geradezu in Agrarfabriken statt – mit Massentierhaltung und großflächigem Ackerbau. Diese Betriebe finanzieren sich zwischen 30 und 45 Prozent durch EU-Subventionen, die unabhängig von den Erntemengen fließen, zudem haben sie sich vielerorts durch die Produktion von hoch subventioniertem Ökostrom aus Sonne, Windkraft und Biogas ein zweites lukratives Standbein aufgebaut. Wenn die moderne Landwirtschaft gerne unternehmerisch tätig sein will, muss sie auch die entsprechenden Risiken tragen – das Wetter gehört dazu.