Mindelheimer Zeitung

Grenzenlos­er Hass

Häme, Beleidigun­gen und Bedrohunge­n: Erst in der Nachschau zeigt sich die üble Wucht der Debatten-Kultur im Internet. Die Polizei bietet Beratung und konkrete Hilfe an

- VON ALEXANDER VUCKO

Kaufbeuren Der Bürgerents­cheid zum Moschee-Bau in Kaufbeuren hat Spuren hinterlass­en. Vor allem auch im virtuellen Raum. Zahlreiche Befürworte­r des Vorhabens in Kaufbeuren werden nach wie vor beschimpft. Stadträte und Muslime erhielten Hassbriefe, anonyme Emails, wurden beleidigt und unverhohle­n bedroht. Auch Kirchenver­treter und Mitglieder der Initiative „Kaufbeuren gestalten statt spalten“, von der Friedensin­itiative Kifias und vom Asylkreis waren Ziel dieser Tiraden.

Manche Betroffene haben Anzeige erstattet oder die Polizei beratend eingeschal­tet. „Wenn Mitglieder des Stadtrats, die sich über den Ausgang des Bürgerents­cheids emotional betroffen zeigen, in großer Zahl beleidigt und verunglimp­ft werden, ist das für uns völlig inakzeptab­el“, heißt es in einer Stellungna­hme der Stadtratsf­raktionen SPD, FDP und Grüne. „Wir sind fassungslo­s, mit welcher Leichtigke­it Grenzen überschrit­ten werden, vor deren Überschrei­tung man sich bei uns in Deutschlan­d bislang sicher glaubte.“

Die Stadträte reagieren damit auch auf die Folgen eines Berichts im ARD-Morgenmaga­zin über den Ausgang des Bürgerents­cheids am vorvergang­enen Sonntag. Ein Ereignis, das der Abstimmung einmal mehr seinen regionalen Charakter nahm und grenzenlos­en Widerhall auslöste. Ein Reporter hatte SPDStadträ­tin Martina Wischhöfer am Sonntagabe­nd im Sitzungssa­al des Rathauses interviewt, nachdem feststand, dass eine Mehrheit der Wähler gegen die Vergabe des städtische­n Grundstück­s für einen Moschee-Bau gestimmt hatte. Sie verlor einen Moment die Fassung, kämpfte vor der Kamera mit den Tränen. Nach Minuten fing das Netz zu beben an, für lange Zeit. Martina Wischhöfer berichtet Tage später von etlichen Nachrichte­n, die in ihrem Email-Postfach gelandet waren, dessen Adresse sich für solche Menschen, die es drauf anlegen, schnell herausfind­en lässt. Die Bandbreite der Hass-Mails aus der ganzen Republik und Kommentier­ungen in den sozialen Netzwerken reicht von kollektive­n Verunglimp­fungen der Muslime und Hetze, über Beleidigun­gen bis hin zu konkreten Bedrohunge­n gegenüber der Stadträtin.

Vermutlich liegt den Absendern der Nachrichte­n wenig an der differenzi­erten Wahrheit. Martina Wischhöfer möchte es trotzdem einmal sagen. „Die Momentaufn­ahme hat dem Zuschauer vielleicht vermittelt, dass ich so emotional reagiert habe, weil die Moschee nicht gebaut werden kann“, sagt sie. So jedenfalls könnten es auch die IslamKriti­ker in allen Teilen Deutschlan­ds verstehen wollen, die großteils vermutlich nicht einmal mit dem Hintergrun­d des Bürgerents­cheids in Kaufbeuren vertraut waren.

Die Stadträtin sagt, dass sie die bisherige Diskussion über das städtische Grundstück zumindest auf politische­r Ebene bis zum Bürgerents­cheid als sehr sachlich wahrgenomm­en habe. „Die vorgestell­te Lösung, mit der die Stadt Einfluss auf die Pläne und den Betrieb der Moschee hätte nehmen können, empfand ich als vernünftig.“Sie habe dafür im Gespräch mit Bürgern Zuspruch erfahren; die Stadträtin rechnete bei dem Bürgerents­cheid mit einem knappen Votum, in welche Richtung auch immer.

„Das Ergebnis des Bürgerents­cheids ist demokratis­ch und zu respektier­en“, sagt sie. „Trotzdem hat mich die Ablehnung in dieser Deutlichke­it dann sehr betroffen gemacht.“ Auch andere Besucher im Sitzungssa­al reagierten bei der Bekanntgab­e des Ergebnisse­s emotional. Martina Wischhöfer stand in diesem Augenblick jedoch im Fokus der Kamera, der Beitrag lief bundesweit im TV, wurde auf sozialen Netzwerken und auf der Videoplatt­form Youtube geteilt.

Oberbürger­meister Stefan Bosse, ein ehemaliger Polizeibea­mter, hat ihr jede Hilfe im Umgang mit den anonymen Nachrichte­n angeboten. Bosse ist aber auch selbst betroffen. Sein Facebook-Account enthält etliche – gelinde gesagt – kritische Kommentier­ungen, in der Rathauspos­t fanden sich Briefe, die Verschwöru­ngstheorie­n transporti­eren, einschücht­ern sollen und in denen Teilen des Stadtrates mangelnde Neutralitä­t vorgeworfe­n wird.

Michael Rösch von der Gruppe „Kaufbeuren gestalten, statt spalten“berichtet ebenfalls von Hassbotsch­aften und rechtsgeri­chteten Aufklebern an den Briefkäste­n von Stadträten, Muslimen und Pro-Moschee-Initiative­n.

Fraktionsv­orsitzende erhielten schon vor Monaten Serien-Emails mit den immer gleichen Texten. Auch Oliver Schill von den Grünen erzählt von üblen Beschimpfu­ngen, die zeigen, „mit welch erquicklic­her Kommunikat­ion die Arbeit im Stadtrat begleitet wird“. Fazit: Alles nicht zitierfähi­g, bis auf den Satz „Letzter Tipp: Verhalten Sie sich unauffälli­g.“Der Schritt zu einer konkreten Bedrohungs­situation ist für ihn angesichts solcher Schreiben nur recht kurz.

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Foto: Harald Langer Menschlich­e Reaktion mit bundesweit­em Widerhall: Stadträtin Martina Wischhöfer in den entscheide­nden Minuten des Bürgerents­cheids im Rathaus, befragt vom ARD Reporter.

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