Grenzenloser Hass
Häme, Beleidigungen und Bedrohungen: Erst in der Nachschau zeigt sich die üble Wucht der Debatten-Kultur im Internet. Die Polizei bietet Beratung und konkrete Hilfe an
Kaufbeuren Der Bürgerentscheid zum Moschee-Bau in Kaufbeuren hat Spuren hinterlassen. Vor allem auch im virtuellen Raum. Zahlreiche Befürworter des Vorhabens in Kaufbeuren werden nach wie vor beschimpft. Stadträte und Muslime erhielten Hassbriefe, anonyme Emails, wurden beleidigt und unverhohlen bedroht. Auch Kirchenvertreter und Mitglieder der Initiative „Kaufbeuren gestalten statt spalten“, von der Friedensinitiative Kifias und vom Asylkreis waren Ziel dieser Tiraden.
Manche Betroffene haben Anzeige erstattet oder die Polizei beratend eingeschaltet. „Wenn Mitglieder des Stadtrats, die sich über den Ausgang des Bürgerentscheids emotional betroffen zeigen, in großer Zahl beleidigt und verunglimpft werden, ist das für uns völlig inakzeptabel“, heißt es in einer Stellungnahme der Stadtratsfraktionen SPD, FDP und Grüne. „Wir sind fassungslos, mit welcher Leichtigkeit Grenzen überschritten werden, vor deren Überschreitung man sich bei uns in Deutschland bislang sicher glaubte.“
Die Stadträte reagieren damit auch auf die Folgen eines Berichts im ARD-Morgenmagazin über den Ausgang des Bürgerentscheids am vorvergangenen Sonntag. Ein Ereignis, das der Abstimmung einmal mehr seinen regionalen Charakter nahm und grenzenlosen Widerhall auslöste. Ein Reporter hatte SPDStadträtin Martina Wischhöfer am Sonntagabend im Sitzungssaal des Rathauses interviewt, nachdem feststand, dass eine Mehrheit der Wähler gegen die Vergabe des städtischen Grundstücks für einen Moschee-Bau gestimmt hatte. Sie verlor einen Moment die Fassung, kämpfte vor der Kamera mit den Tränen. Nach Minuten fing das Netz zu beben an, für lange Zeit. Martina Wischhöfer berichtet Tage später von etlichen Nachrichten, die in ihrem Email-Postfach gelandet waren, dessen Adresse sich für solche Menschen, die es drauf anlegen, schnell herausfinden lässt. Die Bandbreite der Hass-Mails aus der ganzen Republik und Kommentierungen in den sozialen Netzwerken reicht von kollektiven Verunglimpfungen der Muslime und Hetze, über Beleidigungen bis hin zu konkreten Bedrohungen gegenüber der Stadträtin.
Vermutlich liegt den Absendern der Nachrichten wenig an der differenzierten Wahrheit. Martina Wischhöfer möchte es trotzdem einmal sagen. „Die Momentaufnahme hat dem Zuschauer vielleicht vermittelt, dass ich so emotional reagiert habe, weil die Moschee nicht gebaut werden kann“, sagt sie. So jedenfalls könnten es auch die IslamKritiker in allen Teilen Deutschlands verstehen wollen, die großteils vermutlich nicht einmal mit dem Hintergrund des Bürgerentscheids in Kaufbeuren vertraut waren.
Die Stadträtin sagt, dass sie die bisherige Diskussion über das städtische Grundstück zumindest auf politischer Ebene bis zum Bürgerentscheid als sehr sachlich wahrgenommen habe. „Die vorgestellte Lösung, mit der die Stadt Einfluss auf die Pläne und den Betrieb der Moschee hätte nehmen können, empfand ich als vernünftig.“Sie habe dafür im Gespräch mit Bürgern Zuspruch erfahren; die Stadträtin rechnete bei dem Bürgerentscheid mit einem knappen Votum, in welche Richtung auch immer.
„Das Ergebnis des Bürgerentscheids ist demokratisch und zu respektieren“, sagt sie. „Trotzdem hat mich die Ablehnung in dieser Deutlichkeit dann sehr betroffen gemacht.“ Auch andere Besucher im Sitzungssaal reagierten bei der Bekanntgabe des Ergebnisses emotional. Martina Wischhöfer stand in diesem Augenblick jedoch im Fokus der Kamera, der Beitrag lief bundesweit im TV, wurde auf sozialen Netzwerken und auf der Videoplattform Youtube geteilt.
Oberbürgermeister Stefan Bosse, ein ehemaliger Polizeibeamter, hat ihr jede Hilfe im Umgang mit den anonymen Nachrichten angeboten. Bosse ist aber auch selbst betroffen. Sein Facebook-Account enthält etliche – gelinde gesagt – kritische Kommentierungen, in der Rathauspost fanden sich Briefe, die Verschwörungstheorien transportieren, einschüchtern sollen und in denen Teilen des Stadtrates mangelnde Neutralität vorgeworfen wird.
Michael Rösch von der Gruppe „Kaufbeuren gestalten, statt spalten“berichtet ebenfalls von Hassbotschaften und rechtsgerichteten Aufklebern an den Briefkästen von Stadträten, Muslimen und Pro-Moschee-Initiativen.
Fraktionsvorsitzende erhielten schon vor Monaten Serien-Emails mit den immer gleichen Texten. Auch Oliver Schill von den Grünen erzählt von üblen Beschimpfungen, die zeigen, „mit welch erquicklicher Kommunikation die Arbeit im Stadtrat begleitet wird“. Fazit: Alles nicht zitierfähig, bis auf den Satz „Letzter Tipp: Verhalten Sie sich unauffällig.“Der Schritt zu einer konkreten Bedrohungssituation ist für ihn angesichts solcher Schreiben nur recht kurz.