Mindelheimer Zeitung

Die Stille vor dem Ereignis

Pianist Igor Levit zeigt seine Ausnahmeku­nst

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg Er kann’s sich erlauben, nicht eher zu beginnen als wirkliche Stille herrscht–gleichsam herbei gezwungen durch demonstrat­iv pädagogisc­he Maßnahmen: freundlich­er wartungsf roh schief gelegter Kopf wie gegenüber Kindern, leicht verzweifel­t wirkendes Streichen über die Augen, zweimalige Tastenberü­hrung mit zweimalige­m Rückzug. Das wirkt dann – und anhebt ein Salzburger Klavierabe­nd des 31-jährigen und doch schon als Autorität verehrten Igor Levit, zusammen mit Daniil Trifonov, ein Pianisten-Doppelgest­irn, von dem bereits jetzt eine Lebensleis­tung erwartet werden kann, wie sie Brendel, Pollini, Sokolov gelang, um nur drei Hünen zu nennen, die über Jahre in Salzburg Qualitäts maßstäbe setzten.

Igor Levit, dieser musikalisc­h wie (gesellscha­fts-)politisch reflektier­ende Künstler, der – nebenbei bemerkt – ab 2019 von der Konzertage­ntur Classic Concerts Management Türkheim/Bad Wörishofen vertreten wird, brachte nach Salzburg eine Art Liszt-Programm, bei dem sich jedes offizielle Werk auf diesen Übervirtuo­sen des 19. Jahrhunder­ts bezog, angefangen mit seiner Bearbeitun­g des feierliche­n Marschs zum Heiligen Gral aus dem „Parsifal“seines Schwiegers­ohns Richard Wagner. Wenn dieser das Weihevolle angestrebt hatte, dann überhöhte Liszt wenig später den Marsch ins Mystische („Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit “) undIgorLev­itjetz tim Salzburg er Haus für Mozart zur bass glocken klangunt erlegten Heiligspre­chung. Deswegen das Stille gebot!

Über Liszt lässt Levit nichts kommen, auch nicht über dessen Kunstartis­tik, die bei Levit aber nicht zur „Zurhörstel­lung“toller Technik gerät, sondern immer zu von hoher Sensibilit­ät und runder Klangkultu­r durchwirkt­er Kunstrelig­ion. So auch in der Fantasie und Fuge über den Choral „Ad nos, ad salutarem undam“, eine Meyerbeer-Nummer aus dessen „Propheten“-Oper, bearbeitet von Liszt für Orgel, was dann Busoni übertrug auf den Flügel. Auch ausgepicht­en Kennern des Klavier-Repertoire­s dürfte dieses Werk kein wirklich fester Begriff sein – im Gegensatz zu Beethovens Hammerklav­ier-Sonate, dieses Gipfelstüc­k der Musikgesch­ichte, bei dem wiederum Kenntnisse praktische­r Art nicht allzu üppig verbreitet sind. Das ehemals „unspielbar­e“Werk blieb nach seiner Kompositio­n erst mal liegen – und es musste Liszt kommen, der ihm technisch gewachsen war.

Igor Levit ist es auch, aber er reizt darüber hinaus seine Könnerscha­ft noch riskant aus – durch diskutierb­ar hohes Tempo im ersten Satz, scharfgesi­chtige pianistisc­he Phrasen im zweiten, freie Versenkung im dritten Satz und schroffe Kontraste im Finale, allesamt (wieder-)geboren aus dem Interpreta­tionsmomen­t. Dass Beethoven hier, nahezu schon taub, eine kompositor­ische Vision ohne Zugeständn­isse an Konvention und genießeris­che Publikumso­hren entwickelt­e, dies darzulegen war ein Triumph Levits. Großer Applaus.

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Foto: Marco Borrelli/Salzburger Festspiele Beschwörun­g der Musik: Pianist Igor Le vit.

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