Mindelheimer Zeitung

„Kleinkrieg auf der Autobahn“

Ein Unterallgä­uer nötigt einen anderen Autofahrer auf der A96. Der Geschädigt­e erstattet keine Anzeige. Wieso der Fall trotzdem vor Gericht landet

- VON LEONIE KÜTHMANN

Memmingen Es ist eine Situation, wie man sie so oder ähnlich oft auf deutschen Autobahnen sieht – auch im Unterallgä­u: Ein Porschefah­rer fährt von Bad Wörishofen Richtung Memmingen und überholt einen Lastwagen – mit 190 Stundenkil­ometern. Einem Unterallgä­uer, der auf der linken Spur von hinten kommt, ist das aber immer noch nicht schnell genug. Er drängelt und fährt dem Porsche mit dem Schweizer Kennzeiche­n auf. So nah, dass der Porsche-Fahrer nicht einmal mehr den Kühlergril­l im Rückspiege­l sieht.

Das ist es, was eine Zeugin vor dem Memminger Amtsgerich­t als Auslöser für das angibt, was sie eine „Amokfahrt“nennt. Als der Schweizer vor dem LKW auf die rechte Spur fährt, zieht der Unterallgä­uer vor ihm ebenfalls nach rechts. Der 51-Jährige bremst vor dem Porsche plötzlich runter, von 190 Stundenki- lometern auf 100. Vor Gericht begründet der Angeklagte dieses Verhalten damit, dass er zu dem Zeitpunkt kurz vor der Ausfahrt Stetten war: „Da sind andere Fahrzeuge vor mir reingefahr­en und wollten die Ausfahrt nehmen, also musste ich bremsen.“

Die Zeugin vor Gericht sieht das anders: „Die anderen Fahrzeuge waren gar nicht so nah. Das war reine Provokatio­n, dass er so in die Eisen gestiegen ist.“Die 29-Jährige schildert, wie der Angeklagte außerdem rechts auf dem Standstrei­fen überholt habe, in Richtung des Porsche gestikulie­rt habe, Lichthupe gab und den Schweizer wiederholt ausbremste – obwohl die Fahrbahn frei war.

„Ich kann ja verstehen, dass es einen ärgert, wenn ein anderer knapp hinter dem Lastwagen rauszieht, aber man hätte es gut sein lassen können.“Schließlic­h sei der Porschefah­rer ja auch mit einer gewissen Geschwindi­gkeit unterwegs gewesen. „Die Notwendigk­eit, dann so stark aufzufahre­n, war einfach nicht gegeben“, betont die 29-jährige Unterallgä­uerin. „Auch ich musste wegen der Situation mehrfach bremsen, sodass einmal sogar das ABS ansprang.“

Sie war Zeugin des „Scharmütze­ls“, bis sie die Ausfahrt Erkheim genommen hat, um nach Hause zu fahren. „Aber ich wusste ja nicht, wie lange das noch weitergeht.“Daher habe sie den Vorfall dann zur Anzeige gebracht.

Der Angeklagte zeigt sich vor Gericht zunächst eher uneinsicht­ig und sagt aus, dass der andere Fahrer ihm den Mittelfing­er gezeigt habe und seine Fahrweise dann gefilmt habe. „Ja, vielleicht bin ich einmal bisschen zu dicht aufgefahre­n, kann sein.“Auf die etwas trotzige Aussage hin fragt Richterin Barbara Roßdeutsch­er: „Wie dicht?“„Fünf Meter, schätz’ ich“, antwortet der 51-Jährige. „Das ist verdammt wenig!“Die Richterin zeigt während der Verhandlun­g deutlich, wie gefährlich sie das Verhalten des Angeklagte­n einschätzt.

Der Polizist hingegen, der den Unterallgä­uer vernommen hat, beschreibt das Gespräch mit diesem als „sehr nett“. „Er hat dann am Ende der Vernehmung den netten Satz gesagt: ,Ich will doch nur meine bayerische Ruhe haben’.“„Hört sich ja bisschen an wie beim Kaffeekrän­zchen“, entgegnet Barbara Roßdeutsch­er kurz.

Dass es der Unterallgä­uer und nicht der Porschefah­rer war, der die „bayerische Ruhe“gestört hat, ist spätestens nach der Aussage der Zeugin klar, die die Anzeige gemacht hat. Und nachdem die Aussage des Porschefah­rers vorgelesen wurde, der aufgrund einer Operation nicht zur Verhandlun­g gekommen ist, knickt auch der Angeklagte irgendwann ein: „Es tut mir Leid, was ich gemacht hab’, ich hab’ Scheiße gebaut“, sagt der 51-Jährige und wischt sich Tränen aus dem Gesicht. „Ja – das wird teuer“, sagt Richterin Barbara Roßdeutsch­er, ehe sie ihn zu einer Geldstrafe in Höhe von 4 500 Euro verurteilt.

Außerdem darf er sieben Monate lang nicht selbst Auto fahren. „Ich sehe das so, dass Sie charakterl­ich erheblich ungeeignet sind, ein Kraftfahrz­eug zu führen“, begründet die Richterin ihre Entscheidu­ng. Für den Beruf des Angeklagte­n hat das ernsthafte Konsequenz­en.

Einer Freiheitss­trafe entgeht der Angeklagte nur, weil er keine Vorstrafen hat und Reue zeigt. „Ansonsten muss man aber auch sehen, dass die ganze Situation einfach saugefährl­ich war. Es handelt sich ja um einen Kleinkrieg auf der Autobahn“, betont Staatsanwa­lt Michael Winkler in seinem Plädoyer. „Es ist nur den guten Reaktionen der anderen Fahrer zu verdanken, dass nichts passiert ist“, stimmt die Richterin zu.

 ?? Foto: Marcus Führer ?? Das hier gezeigte Auto ist bereits viel zu nah aufgefahre­n – bei dem Fall, der vor dem Memminger Amtsgerich­t verhandelt wurde, war es aber noch schlimmer: Der Geschädigt­e sah nicht einmal mehr den Kühlergril­l des anderen Fahrers im Rückspiege­l.
Foto: Marcus Führer Das hier gezeigte Auto ist bereits viel zu nah aufgefahre­n – bei dem Fall, der vor dem Memminger Amtsgerich­t verhandelt wurde, war es aber noch schlimmer: Der Geschädigt­e sah nicht einmal mehr den Kühlergril­l des anderen Fahrers im Rückspiege­l.

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