Dreister Diebstahl oder gutes Geldgeschäft?
Ein Mann soll in der Therme Bad Wörishofen geklaut haben. Vor Gericht erzählt er aber eine ganz andere, wesentlich ungewöhnlichere Geschichte
Bad Wörishofen Noch bevor Staatsanwältin Saskia Roßkopf die Anklage vorlesen kann, kommt es zum Disput: „Ohne meinen Bruder werde ich kein Wort sagen“, schimpft der Angeklagte. Vor dem Amtsgericht Memmingen muss sich der 55-Jährige aus Hessen wegen Diebstahls in der Bad Wörishofer Therme verantworten. „Wenn mein Bruder, mein Entlastungszeuge, nicht geladen ist, bitte ich um Verschiebung des Verfahrens, weil das mein Recht ist.“Weder die Staatsanwältin noch Richterin Kathrin Krempl sehen allerdings einen Grund zur Aussetzung des Verfahrens – und plötzlich zeigt sich der Angeklagte, der vorher noch androhte, zu schweigen, sehr gesprächig.
Das, was man ihm vorwirft, habe sich nämlich gar nicht so zugetragen, betont der 55-Jährige und liest aus einem Schreiben seines Anwalts vor: „Mein Mandant streitet die Taten ab.“Was ihm vorgeworfen wird: Der Angeklagte soll an zwei Tagen in der Therme Geld gestohlen haben – jeweils nachdem er die Spindschlüssel anderer Badegäste aus deren Taschen nahm. Am ersten Tag wurden einem Badegast Euro, Schweizer Franken, US-Dollar und britische Pfund im Wert von insgesamt 1800 Euro gestohlen. Ein hoher Betrag mit ungewöhnlicher Stückelung: „Jeder Schein hat seine Geschichte und Spuren und ich trage sie so immer mit herum“, so begründet der Geschädigte vor Gericht die Vielfalt. Daher, dass er die Scheine immer um seine Scheckkarten falte, erkenne er sie auch wieder. Die Kombination aus Euro, Dollar, Franken und Pfund fand die Polizei zwei Tage später bei einer Kontrolle im Auto des Angeklagten. Lediglich von der Eurosumme fehlte ein gewisser Betrag. Für die Polizisten war klar: Das ist der Dieb.
Der 55-Jährige erzählt vor Gericht eine andere Geschichte. Er sei überhaupt nur nach Wörishofen gekommen, weil er sich verfahren habe: „Ich habe dann in ein Hotel eingecheckt und war wie jeden Abend meinen Alk trinken“, erzählt er vor Gericht. „Ich war also wie immer besoffen und wollte am nächsten Tag in die Therme zum Ausnüchtern.“Dort sei er – ein langjähriger Alkoholiker – auf eine Gruppe von vier „Asylanten“aus Syrien getroffen, die ihn auch gleich zu einem weiteren Getränk einluden.
Als die Staatsanwältin nach den Namen der Männer fragt, sagt der Angeklagte: „Na ja, das sind doch alle Mehmets oder Alis, das macht denen auch nichts, wenn man sie falsch anspricht.“Den Kommentar der Staatsanwältin, dass Mehmet eigentlich kein typisch syrischer Name sei, ignoriert der 55-Jährige und erzählt, wie die vier Männer ihm folgendes Angebot gemacht hätten: „Sie zeigten mir Geldscheine und sagten mir, dass ich die Devisen für 500 Euro erwerben könne.“Es handelte sich um den Eurobetrag und die unterschiedlichen Währungen in Höhe von 1800 Euro, die dem anderen Besucher fehlten.
Das habe er zunächst jedoch nicht getan, sondern den vier Männern´– darunter ein „Irokesentyp“– angeboten, man könne sich abends in einer Bad Wörishofer Gaststätte treffen. „Da habe ich dann mit dem Wirt die Devisen überprüft – ich wusste ja nicht, dass das Geld aus der Therme gestohlen war.“
Die Polizisten allerdings sagen aus, dass sie auf dem Überwachungsvideo von diesem Tag einen Mann in grüner Badehose gesehen haben, der sich an einer Tasche zu schaffen machte. „Dann ist er im Laufschritt Richtung Umkleiden gerannt“, erzählen die Polizisten.
Diesen Mann hätten Sie dann anhand eines Kamerabildes am Drehkreuz identifizieren können: „Wir haben dem Thermenpersonal gesagt, dass sie uns verständigen sollen, wenn der Mann noch einmal auftaucht.“
Als das zwei Tage später der Fall war, hätten sie eine Observation gestartet. Und beobachtet, wie der Angeklagte im Saunabereich etwas aus einer orangefarbenen Tasche nahm. „Wir hatten unseren Spindschlüssel in so einer Art doppelten Boden in unserer orangefarbenen Korbtasche gelagert“, sagt der 25-jährige Geschädigte vor Gericht. Erst nach dem Saunagang stellte er fest, dass in seinem Geldbeutel, der im Spind lag, circa 245 Euro fehlten. Warum sie ihre Schlüssel alle in unbeobachteten Taschen ließen, dafür haben beide Geschädigten plausible Erklärungen.
Die Polizisten beobachteten den 55-Jährigen im Bad weiterhin: „Er verhielt sich sehr auffällig, lief kreuz und quer und winkte Leuten, die gar nicht da waren“, erzählen sie vor Gericht. Auf frischer Tat ertappen konnten sie den Mann aber nicht. „Ich bin dann irgendwann raus, weil ich dachte, dass ich aufgeflogen bin“, erklärt der Sachbearbeiter des Falls. Erst draußen am Auto durchsuchten sie den 55-Jährigen und fanden das ausländische Geld im PKW.
„Ja, Ihr seid alle aufgeflogen“, ruft der Angeklagte laut dazwischen. Er habe ja von vornherein bemerkt, dass er beobachtet wurde.
Zwischenrufe dieser Art macht der Angeklagte vor Gericht häufig, Fragen beantwortet er ungenau. Richterin Kathrin Krempl droht dem 55-Jährigen irgendwann mit Ordnungsgeld, „wenn Sie weiterhin die Zeugen unterbrechen“und als der Angeklagte einem Zeugen vorschlägt, ein Spiel zu spielen, wird selbst die Protokollantin ungehalten: „Wir unterbrechen jetzt!“Danach soll das Video gezeigt werden – jedoch gibt es im Sitzungssaal technische Schwierigkeiten. „Jaja, das soll so sein“, sagt der 55-Jährige. Er ist bereits vorbestraft, sieht die Schuld jedoch nicht bei sich, sondern bei den Gerichten. Immer wieder wirft er Sätze ein wie „Ist der Videobeweis überhaupt legitim?“oder „Ah, Sie haben eine Zeugin nicht geladen, das muss ich mir notieren“.
Als das Video dann funktioniert, sagt allerdings auch Kathrin Krempl: „Ich muss dem Angeklagten zustimmen – ich kann hier nichts sehen, außer einem Mann in grüner Badehose, der durch das Bild rennt.“Dass er das war, gibt der 55-Jährige zu. Die Polizisten sind jedoch überzeugt, in einer Ecke des Bildes denselben Mann zu sehen, der etwas aus einer Tasche nimmt. Der Richterin reicht das jedoch nicht: Sie möchte außerdem mit dem Wirt der Gaststätte in Bad Wörishofen sprechen, der bisher nicht als Zeuge geladen war. Das Verfahren wird unterbrochen, es gibt einen Fortsetzungstermin. Ob der Angeklagte kommt, ist allerdings noch nicht sicher: Er hat bereits vorherige Verhandlungstermine versäumt und außerdem: „Da will ich an die Ostsee fahren.“