Die Natur gegen die Gier verteidigen
Was die Ortsgruppen bewegen, erklärt der Kreisvorsitzende Helmut Scharpf
Herr Scharpf, kurz nachdem der Bund Naturschutz gegründet wurde, brach in Verdun ein unvorstellbares Höllenfeuer aus, in dem nicht nur deutsche und französische Soldaten reihenweise ihr Leben gelassen haben, sondern auch die Natur regelrecht niedergewalzt wurde. Ist der Mensch überhaupt in der Lage und willens zur Vernunft?
Scharpf: Letztlich hat sich seit 1913, dem Gründungsjahr des Bund Naturschutz, nichts verändert. Im Juni hat Anton Prestele aus Türkheim in einem Leserbrief so schön geschrieben: „Die Welt wird nicht von Flüchtlingen und Armen ruiniert, sondern von den Gierigen.“Man hat schon damals versucht, Gebiete unter Schutz zu stellen. Wir versuchen leider auch heute noch, aus unserer Umwelt überall das Letzte herauszuholen zu Lasten der Natur und letztlich auch zu Lasten des Menschen.
Im Unterallgäu werden weiter Flächen versiegelt, der Memminger Flughafen wird ausgebaut. Wir fahren alle viel und gerne Auto und fliegen um die halbe Welt. Sind wir Menschen gar nicht in der Lage, uns ernsthaft mit den großen Herausforderungen der Erde zu beschäftigen?
Scharpf: Wir beschäftigen uns durchaus mit Umweltthemen. Allerdings entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass es doch sehr einseitig nur noch um Flüchtlinge geht. Im Leitartikel in der
hat Jürgen Marks erst geschrieben: „Wollen wir weiter unsere Umwelt in Bayern genießen, ist es Zeit, unsere Lebensweise zu ändern.“
Im Unterallgäu gibt es zehn Ortsgruppen des Bund Naturschutz. Was leisten diese konkret vor Ort?
Scharpf: Die Ortsgruppe Türkheim zum Beispiel ist Teil der Allianz der Wertachfreunde. Das kann ein Einzelner gar nicht leisten, dass man sich fachlich fortbildet, dass man Referenten herholt, dass man Verbündete sucht. Der Versuch der Renaturierung der Wertach ist ein über viele Jahre gehendes Projekt.
Die Kreisgruppe ist 1973 gegründet worden. Wir haben es zum Beispiel geschafft, den Bioring Allgäu zu gründen. Das war eine Initiative des Bund Naturschutz und der Allgäuer Kreisgruppen. Oder wenn ich aktuell unser Projekt mit Recyclingpapier denke. Zusammen mit der Klimaschutzstelle des Landratsamts haben wir bei den Kommunen dafür geworben. Das hat einen sehr schönen Erfolg gebracht. Viele Verwaltungsgemeinschaften und Gemeinden haben umgestellt.
Tolle Projekte sind auch die, die wir in der Kreisgruppe laufen haben. Ich erinnere an den Naturlehrgarten der Ortsgruppe Mindelheim. Oder an die Biodiversitätsprojekte zum bayerischen Löffelkraut und aktuell zu Bachmuscheln und Libellenbäche. Da sind dann auch hauptamtliche Kräfte da. Dann geht unglaublich was voran. Wir haben ein Betreuernetzwerk aufgebaut. Jetzt im Hitzesommer sind etliche Gewässer ausgetrocknet. Über diese Betreuer wurden jetzt Hunderte und Tausende Bachmuscheln evakuiert. Es braucht Kümmerer.
Es gibt natürlich auch Themen, die wir vor Ort gar nicht steuern können. Wenn ich nur an das Glyphosat-Thema denke oder an gentechnikfreies Bayern. Das Thema Flächenfraß berührt uns hier. Sie haben den Airport vorhin erwähnt. Im Herbst geht es munter los mit der Umfahrung von Holzgünz, wo wir versucht haben, wie beim Airport gerichtlich dagegen vorzugehen. Das ist ein völlig unsinniges, überzogenes Projekt, wo hektarweise Land verbraucht wird, ohne dass ein großer Nutzen entstehen würde.
Fühlen Sie sich von der Politik ernst genommen?
Scharpf: Wir sehen, dass viele Dinge, auch wenn es lange dauert, umgesetzt werden. Die Gründung eines Landschaftspflegeverbandes LPV ist so ein gutes Beispiel. Das war auch eine große Initiative des Bund Naturschutz zusammen mit anderen Verbänden. Der LPV leisan tet Vorbildliches im Naturschutz zusammen mit den Landwirten, die dadurch auch ein wirtschaftliches Standbein bekommen haben. Am Anfang gab es Widerstände, weil die Landwirte skeptisch waren, was die Naturschützer da vorhaben. Heute zeigt sich, dass der Landschaftspflegeverband zum Vorteil aller ist. Oder nehmen Sie das Projekt Energiewende Unterallgäu Nord-West. Da kann man sehen, dass über das Landratsamt und die Energieteams Gutes geleistet wird. Die Ortsgruppen des Bund Naturschutz hatten früher schon ihre Energiearbeitskreise. Heue sind dieses Themen auch in der Politik angekommen.
Muss man nicht manchmal verzweifeln, dass es angesichts der Dramatik der Klimaveränderung nur in Minischritten vorangeht?
Scharpf: Da sind wir wieder bei den Gierigen. Die Energiewende in Bürgerhand wird massiv ausgebremst. Die Hürden von der Politik wurde so hoch gelegt, dass es heute nicht mehr möglich ist, vernünftig Energiegenossenschaften zu gründen. Dann haben wir eine 10-H-Regelung in Bayern, die den Bau von Windkraftanlagen stark einschränkt. Die Energiewende kam ins Stocken, obwohl es zum Beispiel unzählige geeignete Dachflächen für Solarstrom gibt. Die Wirtschaft hat halt doch ihren Einfluss geltend gemacht. Das frustriert. Die Probleme werden ja nicht geringer. Wenn wir jetzt ein Baugebiet nach dem anderen ausweisen, auch wenn der Druck groß ist, ist die Folge davon, dass dadurch auch mehr Verkehr erzeugt wird.
Wie entwickeln sich Ihre Mitgliederzahlen?
Scharpf: Sie sind unglaublich im Steigen begriffen. Derzeit haben wir 3000 im Kreisverband MemmingenUnterallgäu. Die Leute vertrauen uns, weil wir uns um die Themen kümmern. Je größer die Probleme, desto mehr Mitglieder kriegen wir.
Sie rühren derzeit aber auch die Werbetrommel.
Scharpf: Zur Zeit läuft eine landkreisweite Werbeaktion für neue Mitglieder. Das Ehrenamt in Ehren, aber Vieles kann nicht mehr ehrenamtlich geleistet werden. Wir haben eine Geschäftsführerin. Wir brauchen jetzt eine zweite Kraft, um die Mitglieder gut betreuen zu können. Wir legen andererseits Wert darauf, kein großes Sponsoring anzunehmen. Wir wollen uns ein Stück Unabhängigkeit bewahren.
Dafür lassen sich auch junge Menschen begeistern?
Scharpf: Ja, das sind Jugendliche und junge Studenten. Die sprühen vor Begeisterung.
Was sind denn die wichtigsten Herausforderungen für den Naturschutz im Unterallgäu?
Scharpf: Wir hinken in vielem dem Ost- und Oberallgäu in der Naturausstattung hinterher, wir bräuchten noch weit mehr Verbindungen für Radfahrer und eine maßvollere Gewerbeentwicklung – wir haben bereits Vollbeschäftigung.
Zur Person: Helmut Scharpf ist Vorsitzender des Bund Naturschutz Kreisgruppe Memmingen-Unterallgäu. Er lebt in Ottobeuren.
Interview: Johann Stoll