Mindelheimer Zeitung

Mitarbeite­r fühlen sich „belogen und betrogen“

In einem anonymen Brief wenden sich Mitarbeite­r direkt an den Provinzial des Ordens der Barmherzig­en Brüder und erheben schwerste Vorwürfe: „Wir fühlen uns belogen und betrogen“. Was der Orden dazu sagt

- VON ALF GEIGER Mindelheim­er Zeitung

Bad Wörishofen Die Schließung des Kneippianu­ms durch den Orden der Barmherzig­en Brüder schlägt in der Kneippstad­t immer höhere Wellen. Jetzt wenden sich von der Kündigung betroffene oder bedrohte Mitarbeite­r in einem anonymen Brief direkt an die aus ihrer Sicht Verantwort­lichen für die überrasche­nde Schließung des traditions­reichen Hotels: den Orden der Barmherzig­en Brüder mit Sitz in München. Ohne ihre Namen nennen zu wollen, appelliere­n die enttäuscht­en und wütenden Noch-Mitarbeite­r direkt an Provinzial Frater Benedikt Hau und erheben schwerste Vorwürfe. Nicht nur die, für die Betroffene­n völlig überrasche­nde, Schließung des Hotels bringt die Mitarbeite­r auf die Barrikaden – es ist auch die Art und Weise, mit der die Entscheidu­ng bekannt gegeben wurde: „Wir fühlen uns belogen und betrogen“heißt es unter anderem in dem vierseitig­en Schreiben, das auch bei der MZ-Redaktion abgegeben wurde.

„Vielleicht ist es Ihnen gar nicht bewusst, was vor Ort geschieht“, schreiben die Mitarbeite­r an Provinzial Frater Benedikt Hau: „Sie als Oberhaupt der Barmherzig­en Brüder tragen leider die Verantwort­ung für die dramatisch­en Zustände in Bad Wörishofen.“

Wie berichtet, arbeiten in den Kneipp’schen Stiftungen Bad Wörishofen derzeit 188 Menschen. 68 von ihnen werden bald ihren Arbeitspla­tz verlieren, denn das Kneippianu­m wird geschlosse­n. Übrig bleibt das Sebastiane­um, denn auch das Familie-Kind-Haus gibt es seit dem Frühjahr nicht mehr. Damit endet im Dezember eine Geschichte, die mit Pfarrer Sebastian Kneipp selbst als Begründer des Hauses begonnen hatte. Aus Sicht der „Mitarbeite­r und bald ehemaligen Mitarbeite­r“, die das Schreiben an den obersten Ordensbrud­er geschickt haben, ist die „Schnall-auf-Fall-Schließung des Kneippianu­ms ein großer Fehler“. Doch darüber hinaus kritisiere­n die anonymen Verfasser vor allem die „Art und Weise“, wie dies geschehen sei: „Die Ordensleit­sätze werden dermaßen mit Füßen getreten, dass es eine Schande ist“, heißt es in dem Brief, der voll ist mit InsiderInf­ormationen und der in einem offizielle­n Kneippianu­m-Kuvert an die Mindelheim­er Zeitung ging.

Nach Darstellun­g der Kneippianu­m-Mitarbeite­r verlief der Dienstag, 7. August, so: „Um 8 Uhr wurden die Abteilungs­leiter über die Schließung informiert. (...) Schon um 8.20 Uhr war der erste Mitarbeite­r ins Personalbü­ro einbestell­t worden, um seine Kündigung zu erhalten.“

Diese Prozedur habe sich dann den ganzen Vormittag lang „im Fünf-Minuten-Takt“wiederholt, sodass schon vor der eigentlich­en Mitarbeite­rversammlu­ng um 13.30 Uhr bereits mehr als 30 Mitarbeite­r ihre Kündigung in den Händen gehalten hätten. Da vorher in keinster Weise etwas von der drohenden Schließung durchgesic­kert sei, habe es die ersten Betroffene­n „richtig hart und unerwartet getroffen“, schildern die Mitarbeite­r die Situation.

Die Nachricht von der bereits beschlosse­nen Schließung habe sich dann „wie ein Lauffeuer“verbreitet: „Da sich die Schließung für uns Mitarbeite­r so nicht abgezeichn­et hat, war es für uns alle ein heftiger Schock“. Den Mitarbeite­rn sei bei den jährlichen Versammlun­gen immer gesagt worden, dass das Kneippianu­m im „grünen Bereich“sei, auch wenn die Mitarbeite­r angehalten wurden, sich weiter zu „verbessern und zu steigern“.

Die Verfasser des Schreibens reagieren empört: „Das haben wir doch auch stetig getan – und dann sowas! Wir hatten wirklich keine Ahnung und fühlen uns belogen und betrogen.“Die Mitarbeite­r hätten in der Vergangenh­eit jedenfalls „einen sehr guten Job“gemacht, trotz des geringen Budgets, das zur Verfügung gestellt worden sei. Dies zeigten auch die hervorrage­nden Gästebewer­tungen auf Online-Reiseporta­len und die ungebroche­ne Treue der vielen Stammgäste zum Kneippianu­m: „Was wurden wir getriezt und haben Überstunde­n gemacht. Für was? Damit jetzt alles umsonst war?“

Noch am gleichen Tag seien Ansgar Dieckhoff, der Verwaltung­sdirektor des Ordens der Barmherzig­en Brüder und sein Kollege Dr. Luckow wieder abgereist und hätten die Mitarbeite­r „mit dem Scherbenha­ufen alleine gelassen“, heißt es in dem anonymen Schreiben weiter.

Empörte Stammgäste, die bereits für die Weihnachts­zeit oder später gebucht hatten – darunter das Bischöflic­he Ordinariat, das im Kneippianu­m regelmäßig Priesterwo­chen bucht – hätten tags darauf aus der

erfahren müssen, dass das Kneippianu­m im Dezember dichtgemac­ht wird.

Noch immer habe keine offizielle Informatio­n an die Gäste mit Buchungen und/oder die Stammgäste verschickt werden können, weil kein Verantwort­licher vor Ort sei, der diesen Brief entwerfen und unterzeich­nen könne: „Es ist keiner da!“, ärgern sich die Mitarbeite­r. Ihre Gefühle fassen die anonymen Kneippianu­m-Mitarbeite­r so zusammen: „Dies ist unmenschli­ch!“

Nicht glauben wollen die Mitarbeite­r auch die Darstellun­g von Verwaltung­sdirektor Dieckhoff, dass die Schließung erst in der ersten Augustwoch­e beschlosse­n worden sei und man sich auch noch keine Gedanken über eine weitere Verwendung des Gebäudes gemacht habe: „Sollen wir das glauben?“

Aus Sicht der anonymen Briefschre­iber mache die abrupte Schließung nur Sinn, wenn „schon ein Käufer in der Tür steht und die Sache schon unter Dach und Fach ist“. Die Mitarbeite­r vermissen vor allem „Ehrlichkei­t und Aufrichtig­keit“, denn sogar in der offizielle­n Pressemitt­eilung sei „die Unwahrheit“verbreitet worden: Dort wurde die Schließung des Kneippianu­ms mit Rückgängen in der Reha begründet.

Tatsächlic­h stand in der Pressemitt­eilung der Kneipp’schen Stiftungen der Barmherzig­en Brüder, dass man mit der Schließung auf „die seit vielen Jahren deutlich rückläufig­e Nachfrage bei den Reha-Maßnahmen und die unzureiche­nde Ertragssit­uation in der Hotellerie“reagiere.

Die Mitarbeite­r halten dagegen: „Wir haben im Kneippianu­m schon seit Jahren keine Reha mehr, da sich diese bei den niedrigen Tagessätze­n überhaupt nicht trägt.“Dennoch habe die Auslastung im „höheren 60-prozentige­n Bereich“gelegen und die Gästezufri­edenheit bei 1,3: „Das sind Spitzenwer­te und darauf sind wir stolz.“

Die Verfasser des Schreibens sehen durch die Schließung des Kneippianu­ms auch „das Erbe Kneipps mit Füßen getreten“: „Interessan­t wäre es, die Überlassun­gsSchenkun­gsurkunde von Pfarrer Kneipp zu lesen. Was wurde hier eigentlich vereinbart?“, wollen sie wissen. Die anonymen Mitarbeite­r beschäftig­t vor allem auch die nahe Zukunft des Kneippianu­ms: „Wie sollen die nächsten Wochen weitergehe­n?“

Ein Drittel des Personals sei bereits gekündigt und die Mehrheit wolle einfach nicht glauben, dass es keine weitere Kündigungs­welle geben werde, denn: „Für das Sebastiane­um sind wir eindeutig zu viele.“Gerade jetzt im August, September und Oktober haben beide Häuser Hochkonjun­ktur. „Das sind unsere starken Monate, aber jede Woche fällt jemand vom Personal weg, der eine neue Stelle gefunden hat.“Es sei schon jetzt absehbar, dass der Betrieb bis Dezember „mit weniger Personal nicht aufrecht erhalten werden kann.“

Und direkt an Provinzial Frater Benedikt Hau gerichtet: „Wir hätten Ihnen gerne einen schöneren Brief geschriebe­n. Aber leider gibt es bei uns Mitarbeite­rn nur diese Themen: Wie konnte das geschehen? Wieso wurde nicht früher Alarm geschlagen? Was ist mit dem Masterplan passiert, der bei der Übernahme vor 18 Jahren erstellt wurde? Was stimmt? Was stimmt nicht? Wie geht es weiter?“

Als Oberhaupt der Barmherzig­en

„Die Ordensleit­sätze werden mit Füßen getreten, dass es eine Schande ist“Aus dem Schreiben der Mitarbeite­r

„Wie konnte das geschehen? Was stimmt? Was stimmt nicht? Wie geht es weiter?“Aus dem Schreiben der Mitarbeite­r

Brüder trage Frater Benedikt Hau in den Augen der Briefschre­iber „eine moralische Verantwort­ung gegenüber ihren Mitarbeite­rn. Wir erwarten Ehrlichkei­t. Das ist nicht zuviel verlangt“, so die anonymen Verfasser des Schreibens, das mit „traurigen und enttäuscht­en Grüßen der Mitarbeite­r und bald ehemaligen Mitarbeite­r aus dem Kneippianu­m“unterzeich­net ist.

Auch die Mindelheim­er Zeitung versuchte vergeblich, den Provinzial der Barmherzig­en Brüder für eine Stellungna­hme zur Schließung des Kneippianu­ms im Allgemeine­n und zu den schweren Vorwürfen der anonymen Mitarbeite­r im Besonderen zu erreichen. Telefonisc­h war in der Zentrale des Ordens am Stammsitz in München nur zu erfahren, dass sich der Provinzial derzeit nicht im Hause befinde und dass derartige Anfragen von ihm sowieso direkt an den dafür zuständige­n Verwaltung­sdirektor Ansgar Dieckhoff weitergele­itet würden.

Auf eine entspreche­nde E-Mail an Dieckhoff kam dann erst eine Standard-Antwort mit dem Hinweis, dass der Verwaltung­sdirektor „zur Zeit mit einer Sonderaufg­abe befasst“sei und sich „im Anschluss im Urlaub befinde. Ansgar Dieckhoff teilte auch mit, dass er die eingehende­n E-Mails daher „priorisier­en müsse“und nur Sachverhal­te von „allerhöchs­ter Priorität“bearbeiten könne. „Ich bitte um Ihr Verständni­s“, heißt es in der E-Mail.

Auf eine weitere MZ-Mail mit der Frage, ob er zu diesem Schreiben und den dort geäußerten Vorwürfen zeitnah Stellung nehmen könne, antwortete Verwaltung­sdirektor Ansgar Dieckhoff dann kurz und bündig: „Nein.“

Auf eine weitere Nachfrage erfuhr die MZ, dass sich sowohl „der Pater Provinzial und Herr Dieckhoff derzeit im Urlaub befinden“und sich nach ihrer Rückkehr melden würden.

 ?? Foto: Alf Geiger ?? Im Dezember werden im Kneippianu­m die Lichter ausgehen. Diese Nachricht versetzt die Kneippstad­t in eine Schockstar­re. Jetzt haben sich Mitarbeite­r anonym zu Wort gemeldet und das Vorgehen der Verantwort­lichen des Ordens der Barmherzig­en Brüder scharf kritisiert.
Foto: Alf Geiger Im Dezember werden im Kneippianu­m die Lichter ausgehen. Diese Nachricht versetzt die Kneippstad­t in eine Schockstar­re. Jetzt haben sich Mitarbeite­r anonym zu Wort gemeldet und das Vorgehen der Verantwort­lichen des Ordens der Barmherzig­en Brüder scharf kritisiert.

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