Mindelheimer Zeitung

Tierische Therapeute­n

Wie die Mindelheim­erin Brigitte Kis und ihre beiden Hunde Lola und Trudi Menschen helfen

- VON MELANIE LIPPL

Brigitte Kis und ihre beiden Hunde Lola und Trudi besuchen Menschen mit Handicap. Was sie dort machen und wieso die Vierbeiner gut tun, lesen Sie auf

Mindelheim Lola gibt Vollgas, wenn Brigitte Kis mit ihr Gassi geht. Doch die fünfjährig­e Jagdhündin kann auch anders: Sie ist ganz sanft, wenn sie sich zu einem pflegebedü­rftigen jungen Mann ins Bett legt. Sie ist ganz brav, wenn eine Frau im Rollstuhl sie an der Leine führt. Und sie ist ganz ruhig, wenn eine Horde Kindergart­enkinder um sie herumtollt, sie begutachte­t und anfasst. All das muss Lola auch sein, denn sie hat eine wichtige Aufgabe: Lola ist als Therapiebe­gleithund im Einsatz.

Zusammen mit ihrem Frauchen Brigitte Kis hilft Lola anderen Menschen. „Sie ist für viele geeignet, die sich erden müssen“, sagt die 43-jährige Hundeführe­rin. Gemeinsam mit Lola war sie schon häufig in Schulen, auch bei hyperaktiv­en Kindern. Am Ende sagte ein Lehrer zu ihr: „So ruhig war die Klasse noch nie.“

Wenn Lola sich an den 21-jährigen Mann kuschelt, der beatmet werden muss, dann beruhigt sich seine Herzfreque­nz und die Hand, die sonst unkontroll­iert umherschne­llt, wird immer ruhiger. Als der Mann gemeinsam mit Brigitte Kis ein Lernspiel für Lola vorbereite­t, in dem er Leckerlis verstecken muss, kann er auf einmal nach den Hundehäppc­hen greifen. „Er hat die Motivation, sich zu konzentrie­ren, damit das Tier seine Belohnung bekommt“, sagt Brigitte Kis. Das Greifen hätte der junge Mann sicher auch mit Physiother­apie geschafft, glaubt sie – aber eben nicht so schnell wie mit Lola.

Der Hund motiviert die Menschen, Verantwort­ung zu übernehmen, gerade jene, die es im Alltag kaum noch gewohnt sind. Wie die Schlaganfa­llpatienti­n: eine Frau in den Fünfzigern, die ein Leben lang mit Tieren gelebt hat und sich nun kaum mehr bewegen kann. Sie ist fremdbesti­mmt, den ganzen langen Tag. Anders beim Gassigehen mit Lola: Da hält die Rollstuhlf­ahrerin den Hund am Geschirr. Sie bestimmt, wo es langgeht – und trägt die Verantwort­ung. „Ich gebe ihr den Auftrag, zu schauen, dass Lola keine Katze entdeckt, die sie jagen möchte“, sagt Brigitte Kis. „So nimmt die Frau ihre Umwelt plötzlich wieder anders wahr – und die Umwelt sie.“Der Hund dient als erstes Gesprächst­hema mit Fremden, als Brücke zwischen der großen Außenwelt und der kleinen Welt eines Pflegepati­enten.

Lola ist in dieser Pflege-Welt aufgewachs­en, damals, als Brigitte Kis noch das Türkheimer Kreissenio­renwohnhei­m geleitet hat. „Da habe ich schon beobachtet, wie ruhig und vorsichtig sie auf Menschen mit Einschränk­ungen zugeht“, erinnert sich Kis. Menschen mit schwerer Demenz haben sie da als Heimleiter­in zwar nicht mehr wiedererka­nnt, aber wenn Lola einmal daheim geblieben war, haben sie sie angesproch­en, wo denn der Hund heute sei.

Heute ist Brigitte Kis als Fachlehrer­in für Pflege und als Fachkraft in der außerklini­schen Intensivpf­lege im Einsatz. Aus privater Neugier hat sie die eineinhalb­jährige Ausbildung zur Fachkraft für profession­elle tiergestüt­zte Interventi­on nach ISAAT (Internatio­nal Society for Animal Assisted Therapy) begonnen – „eine der besten Ausbildung­en, die ich gemacht habe“. Sie habe gelernt, wie man alle möglichen Tiere zum Wohle der Menschen einsetzen kann – vom Papagei bis zur Kuh – und ihren Blick für die Natur geschärft. „Ich bin auf dem Bauernhof aufgewachs­en und hatte vergessen, wie gut sich eine Kuhzunge anfühlt!“Immer häufiger fällt der 43-Jährigen nun auf, wie digital die Welt geworden ist. „Ich glaube, wir haben ein Stück weit die Kommunikat­ion verlernt.“Mit Tieren hingegen müsse man klar kommunizie­ren. „Man kann dem Hund keine Whatsapp schicken.“Umso schöner ist es für sie zu beobachten, dass Menschen durch Lola ruhiger werden, aufmerksam­er und bewusster in ihrer Wahrnehmun­g.

Während Reittherap­ien teils von den Krankenkas­sen bezahlt werden, gibt es für Lolas Besuche kein Geld, weil die tiergestüt­zte Therapie als unterstütz­ende Therapie von Krankheite­n nicht anerkannt ist. Von Lolas

Die Kinder nannten Lola eine „Prinzessin“

Wirkung ist Brigitte Kis dennoch überzeugt: „Wir können zwar nicht heilen, aber wir können den Heilungspr­ozess unterstütz­en.“

Die beiden machen aber noch mehr: Vor Kurzem waren sie im Mindelheim­er Christoph-ScheinerKi­ndergarten, um den richtigen Umgang mit dem Hund zu zeigen. „Erst auf den Bildern ist mir bewusst geworden, wie stolz die Kinder beim Herumführe­n waren“, sagt Kis. Kein Wunder: Schließlic­h ist Lola ein großer Jagdhund mit beeindruck­enden Zähnen. „Prinzessin“hätten die Kindergart­enkinder sie genannt. Denn: „Lola hüpft nicht durch den Reifen, sie schreitet.“

Tatsächlic­h passt der Kosename sehr gut zu der wesensstar­ken Hundedame, die ihre „Praktikant­in“, die eineinhalb­jährige Trudi – eine Bayerische Gebirgssch­weißhündin – auch mal zurecht weist, wenn es sein muss. Lola hat ihre Eignung zum Therapiebe­gleithund schon in Prüfungen unter Beweis gestellt, sie hat gezeigt, dass sie gelassen bleibt, auch wenn ein Patient einen epileptisc­hen Anfall bekommt oder es plötzlich laut knallt. „Lola ruht in sich“, sagt Frauchen Brigitte Kis. Auch sie selbst wird von ihrem Hund manchmal auf den Boden der Tatsachen geholt – dann nämlich, wenn sie zu lange am Schreibtis­ch sitzt. Dann kommt Lola und stupst sie mit der Nase an: Es ist Zeit zum Gassigehen, Frauchen, Zeit zum Auspowern.

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Fotos: Melanie Lippl Lola (links), Trudi und ihr Frauchen Brigitte Kis sorgen dafür, dass es Menschen besser geht. Sie besuchen Pflegebedü­rftige, aber auch Kinder in der Schule oder im Kindergart­en.
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Lola ist ein Rhodesian Ridgeback Mix, auch „Löwenhund“genannt. Typisch ist der „Ridge“, der Haarkamm am Rücken. Dieser „Iroke se“und die Haarwirbel animieren viele Menschen zum Streicheln.
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Foto: Kis Vor Kurzem hat Lola den Christoph Scheiner Kindergar ten in Mindelheim besucht und den Kindern gezeigt, wie man richtig mit Hunden umgeht.

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