Mindelheimer Zeitung

Eine Genusstour zwischen Mattsies und Mindelheim

Fahr Rad! Warum der Autor mit großen Zielen losfuhr, sich unterwegs aber umentschie­d. Eine Entdeckung­sfahrt rund um Mindelheim

- VON JOHANN STOLL

Mindelheim Wer garantiert nichts von seiner Umgebung mitbekomme­n will, setzt sich vor den Fernseher, den Computer, ins Auto oder Flugzeug. Oder er verschanzt sich am besten gleich daheim hinter herunterge­lassenen Rollos und lässt sich sein Essen durch die Katzenklap­pe durchschie­ben. Wer so lebt, wird wohl nie erfahren, wie schön unsere Gegend wirklich ist. Idealerwei­se lässt sich mit dem Fahrrad das Unterallgä­u besonders gut erkunden. Das entschleun­igt ungemein.

Das ist ja das Schöne am Unterallgä­u: Mittlerwei­le gibt es ein flächendec­kendes Netz an gut ausgebaute­n Radwegen, die zum vergnüglic­hen Ausritt geradezu einladen. Und wo es noch keine Radwege gibt, sind die Nebenstraß­en so wenig befahren, dass sie fast wie breite Radwege daherkomme­n.

Einen Haken hat die unbeschwer­te Radlerei rund um Mindelheim freilich: Wirklich flott vorankommt nur, wer nicht links und rechts schaut. Alle anderen werden feststelle­n: Hier gibt es an jeder Ecke etwas zu entdecken. Start unserer kleinen Runde ist Mindelheim. Da geht es gleich mal vom Wohngebiet im Norden der Stadt auf eine Straße ganz ohne motorisier­ten Verkehr. Es ist die alte Mattsieser Straße, die der Stadtrat seit Jahren nur noch Fußgängern und Radfahrern überlässt. Alle anderen müssen außen herumfahre­n, wenn sie nach Nassenbeur­en wollen.

Entlang der Bahnlinie in Richtung Günzburg geht es erst einmal an mächtigen Maisfelder­n entlang. Demnächst werden die Häcksler anrollen und das Ende dieses rekordverd­ächtigen Sommers für jeden sichtbar einläuten. In Nassenbeur­en lohnt sich, auch mal die eine oder andere Nebenstraß­e zu nehmen. Die Weststraße zum Beispiel bietet schöne Häuser mit prächtigen Gärten. In diesem Sommer quellen die Obstbäume regelrecht über, so großzügig ist heuer die Natur.

Weiter im Norden treffen wir auf zwei ungewöhnli­che Häuser. Da ist die alte Bahnhofsga­ststätte, die es längst nicht mehr gibt. Hier ist ein Fuhruntern­ehmen eingezogen. Nicht weit davon steht eine Villa aus dem Jahr 1913. Auch das war einmal ein Firmensitz. Hier hatte ein Handwerksb­etrieb seine Bleibe.

Wer jetzt schon eine Pause braucht – bitteschön: Bei Blumen & Café Birkle lässt sich prima inmitten all des Grüns sitzen und rasten. Aber auch das nächste Lokal ist nicht weit: Oben am Hang, am Weg Richtung Mattsies, liegt der Landgastho­f Nassenbeur­en. Wer hier Rast unter Kastanien einlegt, wird mit herrlichem Blick ins Mindeltal belohnt – neben der gehobenen heimischen Küche, die einen guten Ruf besitzt. So weit sind wir aber noch nicht. Neben der Nassenbeur­er Kirche St. Vitus liegt das von Fritz Birkle schön restaurier­te ehemalige Pfarrhaus. Vor 200 Jahren hat hier der Pfarrer Christoph von Schmid gelebt und hier womöglich auch sein weltberühm­tes Weihnachts­lied geschriebe­n. Jedes Kind kennt „Ihr Kinderlein kommet.“Und so hat der gebürtige Dinkelsbüh­ler Schmid seiner Wahlheimat Nassenbeur­en ein Geschenk für die Ewigkeit gemacht.

Nur einen Katzenspru­ng entfernt lohnt der nächste Halt. Die Lindenalle­e mit ihrem verschlung­enen Weg, die zur Wallfahrts­kirche Maria Schnee führt, ist ein sehenswert­es Naturdenkm­al. Sie ist der ganze Stolz der Nassenbeur­er. Daneben stolziert ein Storch über die Wiese. Das Idyll ist perfekt.

Jetzt aber rauf aufs Rad weiter in Richtung Mattsies. Da geht es erst einmal auf der normalen Ortsverbin­dungsstraß­e durch ein Waldstück, vorbei an ein paar kleineren Teichen. Wer die Strecke mit dem Auto fährt, hat die Gewässer vielleicht noch gar nicht wahrgenomm­en.

Auch Mattsies wartet mit viel Historisch­em auf. Die Gaststätte Schafhäutl ist leider Geschichte. Und auch in der Dorfkirche weht die Besucher gleich der Hauch der Vergangenh­eit an. Als ranghöchst­er Geistliche­r ist dort im Jahr 1458 ein gewisser Enea Silvio Pikkolomin­i vermerkt. Dieser Italiener wurde später Papst Pius II. In Mattsies war der gute Mann aber nie. Die Episode zeigt aber immerhin: Mattsies war im 15. Jahrhunder­t eine wichtige und wohl auch sehr vermögende Pfarrei.

Im Süden, etwas außerhalb von Mattsies, spitzt noch das Dach des Schlosses über den Baumwipfel­n heraus. Die verwunsche­ne Burg wartet immer noch darauf, wachgeküss­t zu werden. Weiter geht die kleine Radrundrei­se in Richtung Rammingen. Zwei Störche lassen sich durch nichts in ihrem Streifzug über die Felder stören, schon gar nicht von Pedalritte­rn.

Nächster Halt Rammingen. Jetzt wird es richtig gemütlich. Im Braustadel wartet ein luftiger Biergarten mit kräftiger Brotzeit und selbst gebrautem Bier. Und jetzt ist es Zeit zur Beichte. Lagen auch ein paar Kirchen auf dem Weg. Die große Runde über Bad Wörishofen, Hartenthal, bis zum Gasthof Rehwinkel in Osterlauch­dorf und dann zurück über Mindelau nach Mindelheim – die haben wir an diesem Ausflugsta­g nicht mehr geschafft. Oder nicht mehr schaffen wollen.

Radfahren im Unterallgä­u heißt ja nicht, die Tour die France im Westentasc­henformat nachspiele­n. Hier zählt ruhiges Genießen – auf der Strecke wie im Biergarten. Zurück von Rammingen ging es dann über Waldwege und über die drei Tore im Osten der Kreisstadt. Und irgendwie hatten wir das Gefühl, eine Mördertour geschafft zu haben.

Schöne Häuser und prächtige Gärten

 ?? Fotos: jsto ?? Wenn der Mais in den Himmel wächst: Die Kirche Mariä Himmelfahr­t in Mattsies verschwind­et in diesen spätsommer­lichen Tagen hinter einer Wand aus Mais. Die Kirche übrigens hat etwas ganz Besonderes zu bieten. Pfarrherr war hier im 15. Jahrhunder­t Papst Pius II. Der höchste Repräsenta­nt der Katholiken war aber nie im heutigen Unterallgä­u.
Fotos: jsto Wenn der Mais in den Himmel wächst: Die Kirche Mariä Himmelfahr­t in Mattsies verschwind­et in diesen spätsommer­lichen Tagen hinter einer Wand aus Mais. Die Kirche übrigens hat etwas ganz Besonderes zu bieten. Pfarrherr war hier im 15. Jahrhunder­t Papst Pius II. Der höchste Repräsenta­nt der Katholiken war aber nie im heutigen Unterallgä­u.
 ??  ?? Die Kirche Mariä Himmelfahr­t in Mattsies ist ein Schmuckstü­ck. Sogar ein Papst war hier mal Pfarrherr.
Die Kirche Mariä Himmelfahr­t in Mattsies ist ein Schmuckstü­ck. Sogar ein Papst war hier mal Pfarrherr.
 ??  ?? Zwischen Nassenbeur­en und Mattsies gibt es ein paar idyllisch gelegene Teiche zu entdecken.
Zwischen Nassenbeur­en und Mattsies gibt es ein paar idyllisch gelegene Teiche zu entdecken.
 ??  ?? Die Lindenalle­e in Nassenberu­ren, die auf die Maria Schnee Kapelle zuführt, ist zu je der Jahreszeit eine Pracht.
Die Lindenalle­e in Nassenberu­ren, die auf die Maria Schnee Kapelle zuführt, ist zu je der Jahreszeit eine Pracht.
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Bei Blumen & Café Birkle in Nassenbeur­en gibt es was zur Stärkung. Für MZ Radler gibt es ein Getränk zum halben Preis.

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