„Da geht ein Stück Bad Wörishofen“
Heute schließt das Traditionsgasthaus Löwenbräu endgültig. Für viele Bad Wörishofer und Gäste geht damit viel mehr verloren als eine Wirtschaft. An der Brauerei hängen unzählige schöne Erinnerungen
Bad Wörishofen Da steht er, der Braumeister: Alfred Forster, ein g’standener Mann, ein Glas dunkles Bier in der Hand, frisch eingeschenkt. „Kommt’s rein, setzt euch nieder“, scheint er seine Gäste zu begrüßen. Er war das Gesicht der Brauerei-Gaststätte „Löwenbräu“, gemeinsam mit seiner Ehefrau Anni. Doch es ist ein Foto, das den Löwenbräu-Wirt zeigt, wie er sein selbst gebrautes, süffiges Bier einschenkt. Heute steht er längst nicht mehr hinter dem Tresen, nach einem Schlaganfall und anderen Beschwerden ist der 85-Jährige inzwischen pflegebedürftig. Seine Frau Anni (78) kümmert sich liebevoll um ihn, so gut es eben geht.
Heute wird ein ganz schwerer Tag für die beiden und ihre Familie: Heute Abend gehen im Löwenbräu endgültig die Lichter aus. Das Anwesen wurde verkauft, schon 2012, und der Bauunternehmer Dieter Glass will hier für gut 40 Millionen Euro die „Löwenbräu-Arkaden“errichten. Die Abbrucharbeiten sollen beginnen, sobald der Bad Wörishofer Stadtrat zu diesem nicht unumstrittenen Projekt endgültig grünes Licht gegeben hat. Noch einen Monat lang hat jetzt die Familie Forster Zeit, das Gebäude auszuräumen, das Inventar zu verkaufen, alles auszuräumen – und dann ist wirklich Schluss. Das war’s dann mit dem Löwenbräu in Bad Wörishofen, das seit mehr als 100 Jahren so fest zur Stadt Bad Wörishofen gehört, dass viele sich die Kurstadt ohne Löwenbräu gar nicht vorstellen können und wollen.
Im Jahr 1905 kam Bierbrauer Ludwig Forster aus der Oberpfalz nach Bad Wörishofen und gründete direkt an der Ecke Hermann-AustStraße/Bürgermeister-Stöckle-Straße das Löwenbräu in dem aufstrebenden Kurort. Die Familie Forster erweiterte die Brauerei im Laufe der Jahre um Hotel und Gasthof. Der Bad Wörishofer Bierlikör ist eines der bekanntesten Erzeugnisse der Brauerei.
Mit Bad Wörishofen wuchs auch die Löwenbrauerei, der Aufschwung schien kein Ende zu kennen: Der Kneipp-Kurort zählte zu den vornehmsten Adressen für einen gesunden und erholsamen Kuraufenthalt, in der Hochsaison drängelten sich die Menschenmassen durch die Innenstadt.
Und mittendrin das Löwenbräu – bekannt für seine deftige, gut bürgerliche, original-bayerische Küche, für sein freundliches Personal, für den wunderschönen Biergarten, für die „Löwengrube“– wo sich dem vernehmen nach auch so manche Liebelei (wohl auch „Kurschatten“genannt) angebahnt haben soll – und bekannt, natürlich, für das süffige, bayerische Bier, das hier gebraut wurde. Erst von Ludwig Forster, dann von Alois und Alfred Forster und später von dessen Sohn Roland. Der naturtrübe Urtrunk, das Spezialbier, das Dunkle, das Weißbier, das „Kurpils“, der „Leusator Doppelbock“und dazu auch noch der fast schon legendäre „Bierlikör“– all das gehörte zu einem Kuraufenthalt in Bad Wörishofen genauso selbstverständlich dazu wie Kneippgüsse und Kurpark.
Doch dann kam die Gesundheitsreform, Kuren wurden nicht mehr selbstverständlich von den Kassen bezahlt – und mit dem Kneippkurort musste auch das Löwenbräu diesen schweren Schlag und die bröckelnden Besucherzahlen verkraften.
Im September 2012 allerdings musste Roland Forster Insolvenz für den Betrieb anmelden. Den folgenden Kauf durch ein Glass-Unternehmen bezeichnete der Insolvenzverwalter damals als ideale Lösung für alle Beteiligten. Forster führte den Betrieb als Geschäftsführer weiter – bis jetzt die Kündigung kam.
Aus Sicht von Siegfried Forster bleibt dennoch nicht nur Wehmut, sondern auch eine tiefe Enttäu- schung: dem damaligen Insolvenzverwalter Matthias Dorn zufolge habe der neue Eigentümer versprochen, dass die Wirtsleute Alfred und Anni Forster ihren Lebensabend noch in „ihrem“Löwenbräu verbringen dürften. Dass diese Zusage nicht eingehalten worden sei, das treffe ihn schon sehr, sagt Siegfried Forster. Er lebt seit 20 Jahren nicht mehr in Bad Wörishofen, sondern in der französischen Hauptstadt Paris.
Und dennoch kam er jetzt hierher, um beim Ausräumen zu helfen, die Souvenirs zusammen zu stellen und zu verkaufen. Und, natürlich, auch um seinen Eltern bei dem für sie so schweren Schritt beizustehen, aus „ihrem“Löwenbräu auszuziehen und in eine Mietwohnung umziehen zu müssen.
Siegfried Forster ist aber auch Pragmatiker genug, um sich nicht mehr als nötig an die Vergangenheit zu klammern: „Da hilft uns allen jetzt auch keine Romantik mehr. Wir müssen mit der Situation eben umgehen“, sagt er und reicht ein Bierglas an eine Frau weiter, die sofort anfängt, von ihren Erinnerungen an das Löwenbräu zu erzählen. „Ach war das schön ... Wissen Sie noch, damals in der Löwengrube, als wir getanzt haben bis der Morgen graute ...“Sie sagt es und packt ihr Bierglas in die sündteure Handtasche, als würde sie ein Stück ihres Lebens festhalten wollen.
Das Löwenbräu ist für so viele Bad Wörishofer und ihre Gäste mehr als „nur“eine schöne Erinnerung: Es war auch ein Fixpunkt, der Ort, an dem man sich eben traf: Alle Vereine im Ort hatten ihren Stammtisch, hielten ihre Sitzungen und Wahlen ab, trafen sich vor oder nach dem Training. Am Kneipptag führte Braumeister Alfred Forster die Kinder des Ortes durch die Brauerei und zeigte ihnen, wie das süffige bayerische Nationalgetränk hergestellt wird. Auf den Bierdeckeln stand damals der Spruch „Mit jedem Schluck Bier ein Stück Heimat von mir“und das brachte es wohl so gut auf den Punkt, dass sich jeder gerne gleich noch einen Schluck gönnte.
Stimmungsvolle Faschingsbälle, rauschende Partys, lange und bierselige Nächte in der rustikalen Wirtsstube – der Ruf des Löwenbräu war legendär. Und mittendrin die immer präsente Veronika Forster, die in ihrer Rolle als Wirtin sogar zur Vorlage für eine Figur in einem Roman von Utta Danella wurde. Auch die Schriftstellerin war lange Jahre Stammgast im Löwenbräu, wie so viele andere.
Natürlich gingen hier die Prominenten ein und aus, die es sich in diesen „Goldenen Zeiten“in Bad Wörishofen gut gehen ließen. Doch einen Unterschied zwischen ihren Gästen machten die Wirtsleute im Löwenbräu nie – jeder Gast wurde freundlich bedient. Ganz egal, wie
„Mit jedem Schluck Bier ein Stück Heimat von mir“Ein früherer Werbeslogan für die Löwenbrauerei Bad Wörishofen
„Wissen Sie noch, damals in der Löwengrube ...“Eine Besucherin erinnert sich an die Blütezeit Wörishofens und des Löwenbräu
viele Millionen Zuschauer ihn aus dem Fernsehen kannten oder wie viele Millionen er auf dem Konto hatte: Hier im Löwenbräu waren alle gleich – und das war es wohl auch, was den Erfolg der Traditionswirtschaft mitbegründet hatte.
So viel hätte er noch zu erzählen, sagt Siegfried Forster. Doch er fährt in diesen Tagen wieder zurück nach Paris, er hat nur seinen Urlaub in der „alten Heimat“verbracht. Dass er sich für das Ansehen Wörishofens und seiner Eltern gewünscht hätte, dass seine Eltern für ihr Lebenswerk die Bürgermedaille von der Stadt Wörishofen bekommen hätten, gibt er gerne zu. Dass ihm Bürgermeister Paul Gruschka aber gesagt habe, dass er das in der Satzung vorgesehene „verdienstvolle Wirken für das Wohl oder Ansehen der Stadt und der Bürgerschaft“bei Alfred und Anni Forster nicht erkennen könne und diesen Vorschlag daher nicht aufgenommen habe – ja, das habe ihm schon weh getan, gibt Siegfried Forster zu.
Aber jetzt bloß nicht sentimental werden – schließlich fließt auch in seinen Adern das Blut eines echten, kernigen Bierbrauers! Siegfried Forster muss zurück nach Frankreich, die Pflicht ruft. Heute wird er gar nicht mehr dabei sein, wenn der letzte Tag im Löwenbräu seinen Lauf nimmt. Ganz normal soll dieser Tag aber werden, sagt er.
Mittagstisch und dann Abendessen, bei schönem Wetter ist der Biergarten geöffnet. Und dann – ist Schluss. Mit dem Löwenbräu geht ein Stück Bad Wörishofen, sagt Siegfried Forster, und für einen kurzen Moment kann er seine Rührung doch nicht ganz verbergen. Aber dann sagt er: „Hoffentlich reicht das Bier noch bis zum Schluss...“Und lacht.