Organfreigabe vs. Datenschutz
Gesundheitsminister Spahn will mehr Transplantationen. Warum Kirche und Ethiker damit ein Problem haben
Berlin Die Debatte flammt immer wieder auf und nimmt gerade besonderen Schwung auf. Sie birgt aber auch ethischen Sprengstoff: Darf der Gesetzgeber die Organspende zu einer rechtlichen und moralischen Pflicht machen? Oder muss sie freiwillig bleiben – auch um den Preis, dass viele Patienten, die auf der Warteliste stehen, wegen Organmangels sterben. Die Zahl der Organspender war im vergangenen Jahr mit rund 800 auf einen Tiefststand gefallen.
Nach Bundesärztekammer, medizinischen Fachgesellschaften und prominenten Gesundheitspolitikern von Union und SPD hat jetzt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Stein ins Wasser geworfen: Künftig solle jeder Deutsche automatisch ein Spender sein, solange er oder die Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen, sagte der Minister der
Nur durch eine solche „Widerspruchslösung“könne die Organspende zum Normalfall werden.
Spahn räumte ein, eine Widerspruchslösung sei ein Eingriff des Staates „in die Freiheit des Einzelnen“. Doch seien alle bisherigen Versuche, die stark zurückgehende Zahl der Organspender wieder zu erhöhen, erfolglos geblieben. SPDGesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach sogar von einer „Schande“, dass zurzeit so viele Menschen „unnötig leiden, weil keine Organe für sie vorhanden sind“. Fast jeder Mensch sei im Krankheitsfall auch ein potenzieller Empfänger von Organen, sagte er der
Da sei es richtig, dass auch jeder ein möglicher Spender sei.
Schon 1997, als der Bundestag die Organspende regelte, gab es eine heftige Debatte. Die Abgeordneten entschieden sich damals für eine erweiterte Zustimmungsregelung, nach der nur dann Organe entnommen werden dürfen, wenn der potenzielle Spender zu Lebzeiten oder seine Angehörigen in seinem Sinne ausdrücklich zustimmen.
Die katholischen Bischöfe, die Stiftung Patientenschutz und der Erlanger Sozialethiker Peter Dabrock verteidigen diese Regelung: Eine Organspende sei eine besondere Form der Nächstenliebe über den Tod hinaus, sagte der Pressesprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Die bestehende Regelung gewährleiste eine informierte Entscheidung und respektiere das Selbstbestimmungsrecht.
Dabrock sagte, eine Widerspruchslösung würde „den menschlichen Körper zu einem Objekt staatlicher Sozialpflichtigkeit“machen. Der Ethikexperte betonte, auf der einen Seite werde es als ein großer Fortschritt gefeiert, dass „die Datenschutzgrundordnung die ausdrückliche Zustimmung bei jeder Datenweitergabe fordert. Und nun wird debattiert, dass bei der Verwendung des eigenen Körpers über den Tod hinaus der Widerspruch leitend sein soll“. Das passe nicht zusammen.
Befürworter einer Widerspruchslösung verweisen immer wieder auf das Beispiel Spanien, das mit einer Widerspruchslösung und 46,9 Organspendern pro Million Einwohner Weltmeister bei der Organspende ist – in Deutschland liegt die Rate bei 9,7 Spendern. Allerdings hat diese Argumentation einen Haken: Mediziner verweisen darauf, dass dort nicht nur bei Hirntod, sondern auch bei Patienten mit Herztod Organe entnommen werden – was in Deutschland verboten ist. Zudem sind die Werte in Spanien erst so gut, seit die Krankenhäuser mit großem Aufwand an Zeit und Geld die Organspende organisierten.
Genau an diesem Punkt herrscht auch in Deutschland große Einigkeit in Politik, Medizin und Ethik: Die Abläufe in der Transplantationsmedizin müssen verbessert werden. Spahn hat deshalb in der vergangenen Woche einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Stellung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken verbessert und höhere Kostenerstattung für die Medizin vorsieht.
Die katholischen Bischöfe mahnten denn auch, zuerst diese Maßnahmen durchzusetzen und zu beobachten, ob die Zahl der Organspenden wieder steigt. „Eine Grundsatzdebatte über die Systemfrage einschließlich der Widerspruchslösung sollte dabei nicht an erster Stelle stehen.“