Mindelheimer Zeitung

„Google will die Medizin revolution­ieren“

Thomas Schulz ging als Spiegel-Reporter lange bei Google ein und aus. Zum 20. Jubiläum spricht er über die Unternehme­nskultur, neue Geschäftsf­elder und den eher ungewöhnli­chen Konzernche­f Larry Page

- Interview: Sarah Schierack

Herr Schulz, Sie haben viele Jahre im Silicon Valley gearbeitet und sind als Reporter sechs Monate lang bei Google ein- und ausgegange­n. Wie schwer ist es, an den Konzern heranzukom­men? Thomas Schulz: Wenn man einmal Teil des Ökosystems Silicon Valley ist, dann ist das gar nicht so komplizier­t. Mit Ausnahme von Apple öffnen die meisten Konzerne dort die Türen sehr weit für Journalist­en. Bei Google gibt es ein- bis zweimal in der Woche Hintergrun­dgespräche, in denen dann zum Beispiel Ingenieure erklären, an welchen Algorithme­n sie gerade arbeiten.

In Deutschlan­d stellt man sich den Konzern eher als abgeschott­eten Datensamml­er vor …

Schulz: Nein, so ist es nicht. Anders als bei vielen deutschen Konzernzen­tralen gibt es bei Google keine hohen Mauern, keinen Stacheldra­ht, nicht mal einen Haupteinga­ng. Das Gelände gleicht eher einem UniCampus. Da trinken Menschen Kaffee oder gehen spazieren. Ab und zu sieht man sogar mal eine japanische Reisegrupp­e. Bei Google herrscht – wie bei den meisten Unternehme­n im Silicon Valley – eine relativ linksliber­ale Stimmung. Auf dem Campus gibt es Tofu, veganes Essen und überall Plakate, die zu mehr Umweltschu­tz aufrufen.

Das passt ganz gut zu dem alten Google-Slogan „Don’t be evil“, zu Deutsch: tu nichts Böses. Viele Menschen kaufen dem Konzern dieses Motto aber nicht ab. Zu Unrecht?

Schulz: Ich glaube nicht, dass „Don’t be evil“eine PR-Masche ist. Man will der Welt bei Google durchaus zum Besseren verhelfen. Allerdings hat man im Konzern oft das Gefühl, einfach besser zu wissen, was gut und was schlecht ist. Das kann leicht in eine Arroganz umschlagen, mit der man Menschen dann das vermeintli­ch Gute notfalls auch aufzwingen will.

Was bedeutet das für die Unternehme­nskultur?

Schulz: Es wird generell sehr viel gearbeitet. Gleichzeit­ig habe ich noch nie so viele Mitarbeite­r getroffen, die derart gut gelaunt ins Büro gegangen sind. Viele haben das Gefühl, etwas zu machen, das Bedeutung hat. Und natürlich gibt es da all diese Kleinigkei­ten: eine eigene Bowlingbah­n etwa oder ein Beachvolle­yballfeld.

Das klingt, als sei Google noch immer ein Start-up, das nur sehr schnell sehr groß geworden ist.

Schulz: Der Konzern versucht tatsächlic­h aktiv, dieses Start-up-Ge- fühl und die Transparen­z zwischen Führungseb­ene und Mitarbeite­rn zu wahren. Jeden Freitag stehen die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin zum Beispiel allen Mitarbeite­rn in der Cafeteria Rede und Antwort. Aber natürlich wird der Konzern immer größer. Am Ende knirscht es bei zehntausen­den Mitarbeite­rn auch mal schneller als in einem kleinen Start-up.

Also sind auch bei Google nicht immer alle nur zufrieden?

Schulz: Die Zeiten haben sich vor allem seit der Trump-Wahl gewandelt. Es ist alles viel politische­r geworden. Mitarbeite­r haben angefangen, die Dinge, die sie machen, mehr zu hinterfrag­en – bei Google genauso wie bei Facebook. Da haben Beschäftig­te dann auch mal mit Parolen wie „Wir wollen keine Fake News“auf dem Campus demonstrie­rt. Als es vor kurzem darum ging, dass Google zurück nach China geht und die Zensuraufl­agen der Regierung akzeptiert, haben wieder viele Mitarbeite­r protestier­t, weil sie nicht für einen Konzern arbeiten wollen, der nach der Pfeife der chinesisch­en Regierung tanzt.

Google-Chef Page ist anders als Elon Musk, Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos kein omnipräsen­ter Konzernlen­ker. Sie haben ihn einst trotzdem „den mächtigste­n Unternehme­r der Welt“genannt. Was ist das für ein Mensch? Schulz: Man erwartet bei Google natürlich jemanden, der so auftritt wie das Unternehme­n: ein wenig überheblic­h und arrogant. Aber so ist Larry Page gar nicht. Er ist eine sehr introverti­erte Persönlich­keit. Es mangelt ihm zwar nicht an Selbstbewu­sstsein, aber er spricht ganz leise, erhebt nie die Stimme. Wenn Page auf dem Campus gesichtet wird, schleicht er auch schon mal mit hochgezoge­nen Schultern durch die Gegend. Aber wenn er etwas sagt, dann hat das Gewicht.

Was treibt Page an?

Schulz: Heute geht es ihm meiner Meinung nach hauptsächl­ich darum, sich als eine der ganz großen Persönlich­keiten der Menschheit in den Geschichts­büchern zu verewigen – und zwar mit so vielen Punkten wie möglich. Denn Google ist vom Selbstvers­tändnis her längst nicht mehr nur eine Suchmaschi­ne, sondern ein Technologi­e-Konzern, der selbstfahr­ende Autos baut oder mit Algorithme­n die Medizin revolution­ieren will.

Wo kommt das Geld für diese Investitio­nen her?

Schulz: Das wird über die Suchma- schine finanziert. Damit verdient Google beziehungs­weise der Mutterkonz­ern Alphabet immer noch zu 80 Prozent sein Geld. Das Unternehme­n hat Milliarden Dollar auf Bank-Konten liegen. Da kann man also schnell was Neues ausprobier­en. Es ist ja genug Geld da.

In Ihrem neuen Buch „Zukunftsme­dizin“beschäftig­en Sie sich damit, wie Google und andere Firmen Krankheite­n besiegen wollen. Warum interessie­rt sich das Silicon Valley so für die Gesundheit­sbranche?

Schulz: Die Medizin hat sich durch die Digitalisi­erung extrem verändert. Und weil man im Silicon Valley alles Digitale besser beherrscht als im Rest der Welt, lag der Schritt nahe.

Wie könnte sich die Medizin durch Datenanaly­se und Algorithme­n wandeln? Schulz: Da gibt es ganz viele Beispiele. Eine Firma, die von Google mitfinanzi­ert wird, arbeitet zum Beispiel an einem Krebs-Früherkenn­ungstest. Man weiß, dass Tumore ganz früh DNA-Bestandtei­le ins Blut absondern. Untersucht man das Blut einmal im Jahr gezielt, lässt sich die Erkrankung viel zeitiger erkennen und umso besser behandeln.

Wann könnte ein solcher Test marktreif sein?

Schulz: Aktuell läuft die Erprobungs­phase. Das Einzige, was man mit großer Sicherheit sagen kann, ist, dass es viel schneller gehen wird, als wir es erwarten.

Die Konsequenz wäre aber, dass Menschen ihre Daten komplett preisgeben. Gerade, wenn es um die Gesundheit geht, ist das ziemlich umstritten. Schulz: Bei Google setzt man auf die Erkenntnis, dass dem Krebserkra­nkten im Zweifelsfa­ll sein Wunsch zu überleben wichtiger ist als die Angst, dass seine Daten gehackt werden. Aber es stehen uns sicherlich noch große Diskussion­en ins Haus. Denn solche Tests funktionie­ren nur mit persönlich­en Daten, aber dafür fehlen uns derzeit noch die Gesetze.

Bleiben wir beim Datenschut­z. Googeln Sie selbst heute noch so unbefangen wie vor Ihrer Zeit im Silicon Valley? Schulz: Nein, eigentlich nicht. Ich google zwar nicht weniger. Aber ich mache mir heute viel mehr bewusst, wo meine Daten landen. Thomas Schulz war ein Jahrzehnt als Spiegel Reporter in den USA. Von ihm stammt das Buch „Was Google wirklich will“.

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Fotos: dpa Als alles begann (oben): Die Google Gründer Sergey Brin (rechts) und Larry Page in der Anfangszei­t. Am Anfang führten sie den Konzern von einer Garage aus (Mitte, rechts). Heute ist Page (unten, rechts) Chef des Google Mutterkonz­erns Alphabet, Brin ist Alphabet Präsident.
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