Mindelheimer Zeitung

Söder gibt alles

Der Ministerpr­äsident kann die Verunsiche­rung seiner Partei beim Gillamoos nur mit Mühe überdecken. Er übt die Gratwander­ung zwischen markigen Angriffen und versöhnlic­hen Tönen

- VON MICHAEL POHL

Abensberg Am Schluss seiner Gillamoos-Rede verfällt Markus Söder in ein Stakkato kurzer Sätze, wie es an seligste CSU-Zeiten von Franz Josef Strauß erinnert. „Bayern ist schön. Bayern ist stark. Bayern ist stabil. Bayern ist einzigarti­g.“Und doch klingt bei dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten immer wieder ein für CSU-Verhältnis­se auf dem Abensberge­r Bierzelt-Politspekt­akel ungewohnt sensibler, ja fast zahm bescheiden­er Tonfall an. „Vertrauen Sie uns, geben Sie uns die Chance in einer schwierige­n Zeit“, wirbt er um die Gunst der knapp 4000 Zuhörer, die ohnehin überwiegen­d CSU-Anhänger sind. Es sind die vielen Zwischentö­ne und manches Nicht-Gesagte, was an diesem Vormittag deutlich macht, dass die Partei außerhalb des Volksfestz­eltes mit für sie kaum gekannten Problemen zu kämpfen hat.

Seit Jahrzehnte­n treten bei dem fünftägige­n Gillamoos-Volksfest in der Hopfenstad­t Abensberg am letzten Festtag die Größen verschiede­ner Parteien zum Rede-Duell an – getrennt in verschiede­nen Bierzelten und Bräustadln. In besten Wahlkampfz­eiten in Land oder Bund hat das Bierzelt-Duell fast einen Ruf wie der Politische Aschermitt­woch. Sämtliche CSU-Größen von Strauß, Edmund Stoiber bis Karl-Theodor zu Guttenberg traten hier auf. Aber auch Gerhard Schröder oder Joschka Fischer schafften es, sich im tiefschwar­zen Niederbaye­rn vom Bierzeltpu­blikum feiern zu lassen. Die Zeiten aber, da das traditione­ll für die CSU reserviert­e größte Bierzelt schon vor Redebeginn wegen Überfüllun­g geschlosse­n war, sind für die lange an absolute Mehrheiten gewohnte Partei vorbei. Zumindest einen Stehplatz bekommt jeder, der vorher kurz bei der Konkurrenz vorbeigesc­haut hat.

Standesgem­äß beehrt die „Oktoberfes­tkapelle Müller“den Ministerpr­äsidenten mit dem Bayerische­n Defilierma­rsch. Söder im beigegraue­n – CSU-intern einst „Sommer-Stoiber“genannten – Trachten-Leinenanzu­g nimmt sich im Scheinwerf­erlicht diverser Fernsehkam­eras ausgiebig Zeit, fast sämtliche Hände links und rechts zu schütteln, bis der Blaskapell­e langsam die Noten ausgehen. Die sauerhopfi­ge, von Grillhendl-Geruch geschwänge­rte Bierzeltsc­hwüle hat mit fast 65 Prozent Luftfeucht­igkeit der Veranstalt­ung längst Betriebste­mperatur spendiert.

Doch für die CSU scheint angesichts deutlich unter 40 Prozent verharrend­er Umfragewer­te auch selbst die heile Bierzeltwe­lt nicht mehr in Ordnung. Das wird spätestens deutlich, als der örtliche CSULandrat Martin Neumeyer nicht wie in früheren Zeiten begleitet von Gitarrenso­und von AC/DC die Bühne erklimmt, sondern sich die melancholi­sche Ballade „Freiheit“von Marius Müller-Westernhag­en ausgesucht hat. Neumeyer, vor seiner Wahl lange Jahre Integratio­nsbeauftra­gter der Bayerische­n Staatsregi­erung, nutzt die Begrüßungs­rede denn auch für eine nachdenkli­che Ansprache.

Er sagt, dass es kaum einer Region der Welt besser gehe als dem Landkreis Kelheim mit 1,9 Prozent Arbeitslos­igkeit und ebenso niedriger Jugendarbe­itslosigke­it. Dennoch würden die Menschen immer unzufriede­ner. Die Krise der CSU vergleicht Neumeyer mit den Glaubwürdi­gkeitsverl­usten der Kirchen bis hin zu den Vereinten Nationen. Dann kriegt der Landrat doch noch die Bierzeltku­rve: „Wer glaubt denn heute noch an Demoskopen?“Die Umfrageins­titute hätten weder Brexit noch Donald Trump vorhergesa­gt. „Wir glauben an uns selber!“, brüllt Neumeyer die Verunsiche­rung seiner Partei weg.

Es gab Zeiten, da tankten CSUPolitik­er bei Bierzeltau­ftritten Energie wie Luftmassen über dem warmen Meer Kraft für einen Sturm. Söder dagegen wirkt bei aller Lockerheit und trotz mehrfach erprobter Textpassag­en hoch konzentrie­rt, als würde er angestreng­t arbeiten. Und anders als CSU-Kandidaten zu Zeiten absoluter Mehrheiten ignoriert er die Parteikonk­urrenz nicht. Den Grünen wirft er vor, sie setzten „auf einen schwachen Staat, wenn es um Schutz und Sicherheit geht, aber auf einen starken Staat, wenn es ums Vorschreib­en und Bevormunde­n geht“. Dies würde auch die bayerische Landwirtsc­haft spüren, die von Bürokratie gequält werde. „Wir wissen nicht, wer sich in unserem Land befindet, aber wir wissen genau, welches Vieh auf welcher Weide steht.“Es sind diese Stellen, bei denen Söder den größten Applaus im Zelt abräumt, wenn er Kritik am politische­n Gegner mit der Zuwanderun­gspolitik verknüpft.

Auch die SPD geht Söder scharf an, weil sie auf Bundesrech­t pocht, das neue bayerische Familienge­ld genauso wie das Kindergeld nicht zusätzlich zu Hartz IV auszuzahle­n, sondern voll anzurechne­n: Söder will nun beides mit einer Bundesrats­initiative ändern: „Zahlen wir das Kindergeld an unsere Kinder aus und beenden den Kindergeld­Transfer an irgendwelc­he kriminelle­n Banden in Europa.“

Auch wenn er mit ähnlich markigen Sprüchen zur Abschiebep­olitik („Wer straffälli­g wird, muss das Land verlassen, und zwar sofort!“) immer wieder Begeisteru­ng im Publikum erntet, hält Söder sicher Kurs bei seiner Gratwander­ung, nicht in die Sprache der AfD abzudrifte­n. Im Gegenteil, anders als seinerzeit sein Vorgänger Horst Seehofer lobt Söder fast überschwän­glich mit einem „herzlichen Dankeschön“die vielen freiwillig­en Helfer, die in den ersten Monaten der Flüchtling­skrise ein Chaos abgewendet hatten und den Zuwanderer­n halfen. Für den Kurs seiner Partei ruft er nun „eine Balance aus Humanität und Ordnung“aus.

Söders eigentlich­es Credo lautet aber, dass in der Welt voller Krisen und Umbrüche nur die CSU die Einzigarti­gkeit Bayerns bewahren könne. „Bayern ist das sicherste Land der Welt“, sagt er, „Bayern ist das Rückgrat des deutschen Erfolgs“, betont er, „Bayern ist mit Abstand das schönste Land der Welt.“Die CSU sei der stabile Anker, damit das auch in Zukunft so bleibe.

Den größten Applaus gibt es beim Thema Zuwanderun­g

 ?? Foto: Christof Stache, afp ?? Schweißtre­ibende Arbeit im Bierzelt: Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder nach seiner Rede auf dem Gillamoos Volksfest in Abensberg, bei der deutlich wurde, dass die CSU derzeit mit einigen Problemen zu kämp fen hat, die die Staatspart­ei lange nicht kannte.
Foto: Christof Stache, afp Schweißtre­ibende Arbeit im Bierzelt: Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder nach seiner Rede auf dem Gillamoos Volksfest in Abensberg, bei der deutlich wurde, dass die CSU derzeit mit einigen Problemen zu kämp fen hat, die die Staatspart­ei lange nicht kannte.

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