Mindelheimer Zeitung

Ein ruhiger junger Mann mit Kanten

Martin Hagen, der Spitzenkan­didat der Liberalen, grenzt sich von der CSU wie von den Grünen ab und propagiert „einen vernünftig­en Weg der Mitte“. Sein Traum: acht Prozent

- VON ULI BACHMEIER

München/Rosenheim Wer an die FDP in Bayern denkt, der denkt an Starnberg, an den Landkreis München und vielleicht an die nobleren Viertel in der Landeshaup­tstadt. An Rosenheim denkt kaum jemand. Und doch ist die 62 000-EinwohnerS­tadt am Zusammenfl­uss von Mangfall und Inn fast so etwas wie eine liberale Hochburg. Rund elf Prozent der Zweitstimm­en konnte die FDP im Wahlkreis Rosenheim bei der Bundestags­wahl 2017 holen. Und Martin Hagen, ihr in Bayern noch weitgehend unbekannte­r, erst 37 Jahre alter Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl, ist hier offenbar bekannt wie ein bunter Hund. Der ideale Ort also für den Wahlkampfa­uftakt der Liberalen.

Es geht recht locker zu an diesem sonnigen Septembern­achmittag auf dem Max-Josefs-Platz im Stadtzentr­um. Die Cafés in der Fußgängerz­one sind gut gefüllt, die Menschen gehen zum Einkaufen oder sind auf dem Weg zum Rosenheime­r Herbstfest. Doch das Interesse an der FDP ist unübersehb­ar. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Kundgebung mit Hagen und FDPChef Christian Lindner versammeln sich einzelne Grüppchen vor der kleinen Bühne. Hagen schlendert von hinten heran, schleicht sich fast unter die Leute, lächelt, schüttelt Hände. Seine Frau ist gekommen mit den beiden kleinen Kindern, die Mutter ist da und auch der Vater. Mit dem hat es eine besondere Bewandtnis: Er ist Mitglied der SPD.

Martin Hagen ist in einer politische­n Familie in Feldkirche­n-Westerham nahe Rosenheim aufgewachs­en. Aber wie das halt oft so ist, machen Söhne gerne das Gegenteil von dem, was die Väter tun. Vor 20 Jahren, unmittelba­r nach der Abwahl der schwarz-gelben Bundesregi­erung unter Kanzler Helmut Kohl, so erzählt Hagen, habe er via Internet – „das gab’s damals schon“– einen Aufnahmean­trag bei den Jungen Liberalen gestellt, ohne auch nur einen einzigen Menschen dort zu kennen. Er studierte Politikwis­senschaft in München, arbeitete einige Jahre als freiberufl­icher Kommunikat­ionsberate­r in Berlin und wurde bereits zwölf Jahre nach seinem Parteieint­ritt hauptamtli­cher Geschäftsf­ührer der FDP in Bayern. Zum Abschluss des Bundestags­wahlkampfe­s 2017 gab er den Job ab, um seine Partei als Spitzenkan­didat in den Landtagswa­hlkampf zu führen.

Auf der Straßenbüh­ne in Rosenheim verwandelt sich der ruhige junge Mann in einen kantigen Wahl- Er verspottet Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) als „Teufelsker­l“, weil er „für jeden Bürger, der nicht bei drei auf dem Baum ist“, ein Wahlgesche­nk parat habe: Landespfle­gegeld, bayerische­s Baukinderg­eld, Eigenheimz­ulage, Familienge­ld. „Markus Söder geht mit dem Füllhorn übers Land und verteilt Wahlgesche­nke, als gäbe es kein Morgen.“Es sei aber nicht Söders Geld, das da verteilt wird, sagt Hagen. Es sei das Geld der Bürger und das sollte besser in Bildung und Technologi­e investiert werden.

Man könne, so Hagen, den Freistaat Bayern mit dem einst äußerst erfolgreic­hen finnischen Technologi­ekonzern Nokia vergleiche­n. Auch dort wurde am Höhepunkt des Erfolgs versäumt, in die Zukunft zu investiere­n. Dann kam Apple und vorbei war’s. Im Moment gehe es Bayern sehr gut. Damit das so bleibe, setze die FDP auf drei Schwerpunk­te: Talent, Technologi­e und Toleranz. „Wo sich diese drei Faktoren entfalten, da gibt es Erfolg in der Gesellscha­ft“, sagt Hagen.

Er fordert mehr Chancenger­echtigkeit in der Schule und einen Rechtsansp­ruch auf einen Ganztagssc­hulplatz, damit der Bildungser­folg nicht länger wesentlich vom Geld- beutel der Eltern abhängt. Er fordert schnelles Internet für alle überall in Bayern und verstärkte Anstrengun­gen bei der Digitalisi­erung, um den ländlichen Raum zu stärken und die Arbeitsplä­tze von morgen zu sichern. Und er fordert eine Gesellscha­ftspolitik, die sich um Weltoffenh­eit und Rechtsstaa­tlichkeit gleicherma­ßen bemüht.

Dazu müsse die Politik „Ordnung in das Thema Migration“bringen. „Wer klare Regeln hat, braucht keinen Populismus“, sagt Hagen und betont, dass er für einen „vernünftig­en Weg in der Mitte“stehe und sich von der CSU wie von den Grünen abgrenze. Um das stets drängender werdende Problem des Fachkräfte­mangels zu lösen, brauche es endlich ein Einwanderu­ngsgesetz sowie die Möglichkei­t eines „Spurwechse­ls“für gut integriert­e Flüchtling­e, die einen festen Arbeitspla­tz haben und selbst für ihren Lebensunte­rhalt sorgen. Gleichzeit­ig macht Hagen klar, dass die Liberalen keine ungebremst­e Zuwanderun­g wollen: „Wir werden das Armutsprob­lem in Afrika nicht auf europäisch­em Boden lösen können.“

FDP-Chef Lindner, der Hauptredne­r in Rosenheim, springt Hagen zur Seite und präzisiert die FDP-Likämpfer. nie in der Migrations­politik: Anerkannte Asylbewerb­er und TopQualifi­zierte dürften auf Dauer, Schutzsuch­ende wie Bürgerkrie­gsflüchtli­nge auf begrenzte Zeit bleiben. Wer kein Aufenthalt­srecht habe, müsse wieder gehen.

Den Spitzenkan­didaten der Liberalen in Bayern preist Lindner in den höchsten Tönen. „Martin Hagen, das ist jemand, der die Idee des frischen Bayerns verkörpert“, sagt der FDP-Chef. Dass er noch kein Regierungs­amt innehatte, stört ihn nicht. „Ich finde, Regierungs­erfahrung ist oft nur ein Tarnvorwur­f für Weiter-so.“

Mit Lindner freilich steht in Rosenheim auch ein Mann auf der Bühne, der die Möglichkei­t ausgeschla­gen hat, im Bund in einer Jamaika-Koalition mitzuregie­ren. Hagen räumt auf Nachfrage ein, dass das den FDP-Wahlkämpfe­rn in Bayern durchaus vorgehalte­n wurde. Dennoch gibt er sich überzeugt, dass die FDP den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Acht Prozent für die FDP, 38 Prozent für die CSU, das wären zusammen 46 Prozent. Das könnte, so rechnet Hagen vor, für eine schwarz-gelbe Regierungs­mehrheit im Landtag reichen.

 ?? Foto: Lino Mirgeler, dpa ?? Martin Hagen ist Spitzenkan­didat der FDP für die Landtagswa­hl in Bayern. Seinem Vater eifert er damit nicht nach – denn der ist Mitglied in der SPD.
Foto: Lino Mirgeler, dpa Martin Hagen ist Spitzenkan­didat der FDP für die Landtagswa­hl in Bayern. Seinem Vater eifert er damit nicht nach – denn der ist Mitglied in der SPD.

Newspapers in German

Newspapers from Germany