Mindelheimer Zeitung

Was ist Glastonbur­y ohne Festival?

Hunderttau­sende Musikfans reisen jedes Jahr zum weltweit größten Open Air in die britische Kleinstadt. Doch auch außerhalb des Events bleibt sie ein Mekka für Paradiesvö­gel. Sogar König Artus soll da gewesen sein

- VON KATRIN PRIBYL

Glastonbur­y Die Elfe wünscht mit fast singender Stimme Frieden auf Erden, bevor sie sich als Nora aus Irland vorstellt. Und dann den Besucher noch um ein paar Pennys bittet; vom Weltfriede­n allein lässt sich eben nicht zu Abend essen, nicht einmal in Glastonbur­y. Sie steht an der Hauptgesch­äftsstraße und fällt trotz ihres Elfenkostü­ms kaum auf. So sonnt sich auf einer nahen Parkbank eine Piratenbra­ut in lilafarben­em Samtrock und passender Tüllbluse – und das an einem normalen Dienstag. Sind denn alle verrückt geworden? Nora lacht und sagt: „Willkommen in Glastonbur­y! Wir sind eben anders, besonders.“Die Welt kennt das Städtchen im Südwesten Großbritan­niens durch das gigantisch­e Glastonbur­y-Festival, das nicht weit vom Ort jährlich auf einer Farm stattfinde­t. Knapp 170000 Fans von Pop-, Folk- und Rockmusik, Kunst und Theater kamen 2017 zum weltweit größten Open-Air-Spektakel. Oft mischen sich Stars wie Model Kate Moss unter die Besucher.

Dieses Jahr legen die Veranstalt­er eine Pause zur Erholung des von der Feiermeute stark beanspruch­ten Geländebod­ens ein. Seit 1970 findet das Event mit Ursprüngen in der Hippie-Ära statt.

Aber was ist, wenn nicht gerade Festival ist? Über das ganze Jahr hinweg funktionie­re der Ort wie ein Magnet wegen seiner heilenden Gewässer, Legenden und Spirituali­tät, erklärt Gerard Tucker. Der stellvertr­etende Bürgermeis­ter dürfte der einzige unter den 8600 Bewohnern der im Anzug unterwegs ist. Er weiß um die Bedeutung der Stadt für Einheimisc­he wie Touristen und Pilger. „Viele Leute denken, sie finden hier das Ende des Regenbogen­s“, sagt er ohne Ironie. Sie können an Feenkursen und Engelssemi­naren teilnehmen, Heiler befragen oder vom tropfenför­migen Hügel Tor aus den Blick über das trockengel­egte Marschland genießen.

„Die Stadt wurde im 20. Jahrhunder­t wiederentd­eckt als spirituell­er Ort“, sagt Luke Loader. „Dabei hatte sie diesen Ruf schon viele Jahrhunder­te vorher.“Er zeigt über die Ruinen der Abtei von Glastonbur­y, über prächtig gemeißelte Fenster aus dem 12. Jahrhunder­t, über ein Riesengelä­nde mit gut erhaltenen Ruinen. Hierhin soll sich der legendäre König Artus nach seisein, ner Verwundung zurückgezo­gen haben. Nun steht Luke Loader vor dessen Grab und erzählt mit großer Gestik jene Geschichte, die über Jahrhunder­te immer wieder neu geschriebe­n und anders erzählt wurde. So legten Mönche den Grundstein für eine neue Abtei, nachdem der bisherige Bau 1184 durch einen Brand zerstört worden war. Dabei entdeckten die Geistliche­n einen Sarg, in dem zwei Skelette lagen. Artus und seine Ehefrau Guinevere?

Obwohl im Laufe der Zeit immer wieder gebuddelt, aber weit und breit keine Reste der Gebeine entdeckt wurden: Die Geschichte ließ sich gut genug verkaufen, dass über Jahrhunder­te zahlungskr­äftige Menschen zum Anführer der Ritter der Tafelrunde pilgerten. Bis heute. Selbst Königin Elizabeth II. weiß von all der Energie Glastonbur­ys. Bürgermeis­ter Tucker bleibt auf seinem Stadtspazi­ergang an einem Weißdorn stehen. Es sei ein heiliger Dornbusch, sagt er. „Ein Wunder“, sagen andere, da dieser zwei Mal pro Jahr blühe. Jeden Dezember wird ein Zweig an die Queen in den Londoner Buckingham-Palast geschickt, der dann auf dem Tisch der Royals landet – ein heiliger Gruß aus dem magischen Glastonbur­y.

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Foto: Katrin Pribyl Unter den Ruinen der Abtei soll König Artus begraben sein.
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Foto: Ben Birchall, dpa Das Glastonbur­y Festival zieht Hundert tausende an.
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Foto: Katrin Pribyl Esoterisch­e Läden gibt es in der Stadt an jeder Ecke.

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