Mindelheimer Zeitung

Allgäuer nehmen Kolosse huckepack

Die Firma Goldhofer aus Memmingen macht Schwertran­sporte leicht. Die Fahrzeuge und Schlepper des Unternehme­ns sind weltweit gefragt. Wie riesige Flügel von Windkrafta­nlagen um Kurven bugsiert werden

- VON STEFAN STAHL

Memmingen Der Weg hinauf zur Windkraft-Farm Viento Blanco in Guatemala führt eine zehn Kilometer lange Bergstraße entlang. Die Piste schlängelt sich nach oben. Teilweise nähert sie sich einem aktiven Vulkan. Felsvorspr­ünge und Bäume säumen den Weg, wie Bilder zeigen. Eigentlich ist es unmöglich, hier den riesigen Flügel einer Windkrafta­nlage nach oben zu schaffen. Steigungen von bis zu 18 Prozent sollten das Manöver zu einem Unterfange­n mit einem hohen Potenzial, zu scheitern, machen, zumal so ein Rotorblatt um die 55 Meter lang ist.

Doch wenn Transporte aussichtsl­os erscheinen, aber ein Ausweg gefunden werden muss, kommt eine Firma aus Memmingen ins Spiel. Die Allgäuer verstehen es, Schweres leicht zu machen. Die Spezialist­en von Goldhofer sind Tüftler, wie so viele Mitarbeite­r aus den weltweit gefragten Maschinenb­au-Firmen dieser Region. Im Allgäu werden solche findigen Frauen und Männer, die nicht eher ruhen, bis technisch ausgefuchs­te Lösungen gefunden sind, Mächler genannt.

Es paart sich handwerkli­ches Geschick mit Kreativitä­t. Insofern sind die Goldhofer-Spezialist­en SuperMächl­er, denn dank der in Memmingen erfundenen Techniken ließ sich das Rotorblatt in Guatemala, ohne das Bauteil oder die Umgebung zu beschädige­n, von einem Spezial-Transportu­nternehmen ganz langsam in luftige Höhen bringen. Der Goldhofer-Trick dabei ist: Der Flügel wird mit dem runden Teil, das einmal am Rotorkopf befestigt wird, an einer Vorrichtun­g des Schwerlast­anhängers montiert.

Dadurch lässt sich das lange Blatt bis zu 60 Prozent in die Höhe wuchten. So kommen die Transporte­ure irgendwie doch um enge Kurven herum. Derartige Lösungen des Unternehme­ns sind weltweit gefragt, schließlic­h boomt die Windkrafti­ndustrie, wobei sie in Deutschlan­d, zumindest was Anlagen an Land betrifft, ins Stocken geraten ist.

Goldhofer-Produkte produziere­n starke Bilder. Der Laie staunt und will das Gesehene nicht für möglich halten. Doch alles ist echt, auch das Foto über den atemberaub­enden Transport eines unendlich lang gestreckt wirkenden Reaktors einer Petrochemi­e-Raffinerie. In dem Fall wurde Goldhofer-Technik in Malaysia eingesetzt. Ein Fahrzeug reichte für den langen Chemie-Lulatsch nicht, der das Rotorblatt aus Guatemala bei weitem überragt.

Daher kamen zwei der in Memmingen hergestell­ten Schwerlast­Schlepper zum Einsatz, auf einem liegt der vordere Teil des Reaktors, auf dem anderen der hintere. Beide Fahrzeuge stehen natürlich miteinande­r im Kontakt. Solche Gefährte können Experten mit einer Fernsteuer­ung bedienen. Mit der Doppel-Goldhofer-Strategie wurde das Ungetüm sacht um die Kurven geschubst. Die Reifen der Schlepper sind extrem beweglich. Sie können sich um bis zu 360 Grad drehen.

Wer in Memmingen die Inge- nieure fragend anschaut und wissen will, wie Gewichte von mehr als 10000 Tonnen mit einem Fahrzeug gestemmt werden können, erfährt natürlich nicht das ganze Geheimnis. Es lässt sich dann aber doch einiges zutage fördern.

Denn die Mitarbeite­r des Unternehme­ns, darunter auch viele ältere, sind zunächst einmal erfahrene Stahlbauer. Sie verwenden besonders belastungs­fähige Stähle. In Memmingen wird auch noch viel mit der Hand gearbeitet. Der Blick fällt in eine lange Schweißer-Straße. Links und rechts sind die Kabinen mit rötlich schimmernd­en Spezialvor­hängen abgetrennt. Dahinter zischt es, sprühen Funken. Roboter können nicht alles. Und die schweren Memminger Jungs werden mit viel mehr Rädern als herkömmlic­he Schlepper für ihre gewichtige­n Missionen ausgestatt­et. Dabei sind die Reifen keine Maßanferti­gung. Die Transportu­nternehmen können sie im Handel nachkaufen.

Trotz aller Erklärunge­n will das Staunen nicht aufhören, zumal wenn die Goldhofer-Vorstände Rainer Auerbacher, Friedrich Hesemann, Lothar Holder und Hubert Schaller dem Gast Bilder eines wirklich dicken Dings zeigen: Ein Flugzeugsc­hlepper mit Fahrerkabi­ne nimmt das Bugrad eines Riesen-Airbus A380 huckepack, es liegt also auf dem Transportg­efährt auf. Mit der Technik lässt sich das größte zivile Passagierf­lugzeug der Welt auf Flughäfen rangieren.

Goldhofer hat sich immer wieder mit Innovation­en einen vorderen Platz in der Branchen-Weltrangli­ste gesichert, wovon auch der Exportante­il von 76 Prozent zeugt. Das Unternehme­n konnte als erster Anbieter einen Flugzeug-Schlepper ohne Schleppsta­nge präsentier­en.

Der Gründer der Firma, Alois Goldhofer, entwickelt­e 1952, als die Bauwirtsch­aft nach dem Krieg boomte, den ersten über die Hinterräde­r befahrbare­n Tieflader. Die Legende will es, dass ein anderer großer Unternehme­r der Nachkriegs­zeit, Hans Liebherr, ein gebürtiger Kaufbeurer, ein solches Gefährt bei Goldhofer für die Verladung seiner Baumaschin­en in Auftrag gab. „Du musst das machen“, soll er gesagt haben. Die Innovation spart natürlich Zeit beim Verladen schweren Geräts.

Das Mächlertum ist zur DNA der Firma mit ihren weltweit 800 Mitarbeite­rn, darunter 640 in Memmingen, geworden. Eine der neuesten Erfindunge­n ist der fünffach teleskopie­rbare Pritschens­attel-Auflieger. Das Transportg­erät lässt sich auf über 70 Meter ausziehen, damit auch ein langer Windkraftf­lügel darauf passt.

Bei all den spektakulä­ren Produkten wundert es nicht, dass die Firma „bisher wenig Probleme hat, ausreichen­d Lehrlinge und Fachkräfte zu finden“. Viele Beschäftig­te betrachten sich als Teil der „Goldhofer-Familie“. Sie schätzen die sicheren Arbeitsplä­tze und bleiben dem Unternehme­n entspreche­nd lange treu. Dazu mag auch beitragen, dass Alois Goldhofers Witwe Weitsicht bewies und eine Stiftung gründete, der die Firma als Aktiengese­llschaft zu 100 Prozent gehört. Damit hat sie für stabile Verhältnis­se gesorgt, auch wenn der Betrieb kein Familienun­ternehmen mehr ist. Die Stiftung wiederum verfolgt wohltätige Zwecke, wie derzeit den Bau einer Kindertage­seinrichtu­ng in Memmingen.

Weil Goldhofer nicht an der Börse notiert ist und die Stiftung alle Anteile besitzt, bleibt die Unabhängig­keit des Unternehme­ns langfristi­g gewahrt. Einen besseren Schutz vor Übernahmen gibt es kaum. Chinesisch­e oder andere Investoren haben also in Memmingen keine Chance, so sehr sie die Hightech-Firma auch reizen mag.

Aber natürlich müssen die Vorstände Gewinne abliefern. Der Druck ist also nicht minder gering als in anderen Unternehme­n, die sich auf dem Weltmarkt behaupten müssen. Diese schwere Aufgabe fällt auch den Goldhofer-Experten trotz aller Erfolge nicht leicht. Ein Gang durch das Werk zeigt aber: Das Geschäft muss brummen. Ein Fahrzeug nach dem anderen wird produziert, ob in Goldhofer-Blau oder der Wunschfarb­e des Transportu­nternehmen­s. Dabei sind die Fahrzeuge so beliebt und langlebig, dass es schwer ist, eines auf dem Gebrauchtm­arkt zu ergattern.

 ?? Fotos: Goldhofer ?? Die Memminger Firma Goldhofer baut Fahrzeuge, mit denen sich extrem schwere Teile bewegen lassen. So kommen riesige Betonforme­n oder Flügel von Windkrafta­nlagen doch ans Ziel. Wie das funktionie­rt, verraten die Chefs des Allgäuer Unternehme­ns natürlich nur zum Teil. Auf alle Fälle sind die Schlepper des Anbieters weltweit gefragt.
Fotos: Goldhofer Die Memminger Firma Goldhofer baut Fahrzeuge, mit denen sich extrem schwere Teile bewegen lassen. So kommen riesige Betonforme­n oder Flügel von Windkrafta­nlagen doch ans Ziel. Wie das funktionie­rt, verraten die Chefs des Allgäuer Unternehme­ns natürlich nur zum Teil. Auf alle Fälle sind die Schlepper des Anbieters weltweit gefragt.
 ??  ??
 ?? Foto: Goldhofer ?? Fahrzeuge des Unternehme­ns können so gar Flugzeuge ziehen.
Foto: Goldhofer Fahrzeuge des Unternehme­ns können so gar Flugzeuge ziehen.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany