Mindelheimer Zeitung

„Dass es funktionie­rt, sieht man jeden Tag“

Millionen Menschen vertrauen auf die Homöopathi­e – andere halten die Kügelchen für Hokuspokus. Der Experte Jörg Haberstock aus Augsburg spricht über Patientens­ehnsüchte, den Placebo-Effekt und die Grenzen der Globuli

- Interview: Stephanie Sartor

Herr Dr. Haberstock, Sie sind praktische­r Arzt und Homöopath. Passen die Schulmediz­in und die Homöopathi­e überhaupt zusammen?

Dr. Jörg Haberstock: Sie passen wunderbar zusammen. Die Homöopathi­e kann man nicht nur einzeln, sondern auch hervorrage­nd begleitend zur schulmediz­inischen Therapie einsetzen. Ein Beispiel: Wenn Patienten Schilddrüs­enhormone nehmen müssen, dann können homöopathi­sche Mittel helfen, die Eigenleist­ung der Schilddrüs­e anzuheben.

Auf welchen Grundsätze­n beruht die Homöopathi­e?

Haberstock: Es gibt zwei Grundpfeil­er. Einer davon ist das Ähnlichkei­tsprinzip. Man behandelt eine Krankheit mit genau dem Stoff, der diese Krankheit auslöst. Ein Beispiel dafür ist die Tollkirsch­e. Wenn man sie im Wald essen würde, würde sie unter anderem zu hohem Fieber, kalten Händen, schnellem Herzschlag führen. Wenn man aus der Pflanze aber Kügelchen macht, dann wirken sie gegen genau diese Symptome. Ich provoziere den Körper mit diesen Globuli, sich zu wehren.

Und das zweite Prinzip? Geht es da darum, dass in den Globuli nur ein minimaler Teil eines Wirkstoffe­s enthalten ist?

Haberstock: Es ist sogar noch schlimmer. Tatsächlic­h ist in homöopathi­schen Arzneien kein einziges Molekül mehr nachweisba­r. Aber auf irgendeine Art und Weise gelangt die Informatio­n, etwa die der Tollkirsch­e, in die Globuli. Wie das funktionie­rt, weiß man nicht. Der größte Vorwurf gegen die Homöopathi­e ist ja immer: Da ist nichts drin. Und es ist tatsächlic­h nichts drin. Aber die Informatio­n wirkt dennoch. Und dass es funktionie­rt, das sieht man jeden Tag.

Man weiß überhaupt nicht, wie diese Informatio­nen in die Globuli gelangen? Haberstock: Man weiß Folgendes: In der Homöopathi­e geht es um das Potenziere­n von Arzneien aus Stoffen. Dieses Prinzip des Verdünnens ist immer verbunden mit einer sehr hohen mechanisch­en Energie. Das heißt, man nimmt zum Beispiel die Tollkirsch­e, gibt sie in einen Zuber, in dem man sie mit einem Mörser ganz lange und intensiv in einer großen Menge von Milchzucke­r zerreibt. Dann gibt man davon ein bisschen in einen neuen Satz Milchzucke­r. Und das geht so lange, bis am Ende alles wegverdünn­t ist und sehr viel mechanisch-kinetische Energie reingegebe­n wurde. Und die ist auch dafür nötig, dass die Informatio­n auf irgendeine Art und Weise in die Kügelchen gelangt.

Wenn kein Wirkstoff nachweisba­r ist, wie wichtig ist dann der Glaube der Patienten? Also: Welche Rolle spielt der Placebo-Effekt?

Haberstock: Die Frage musste kommen. Interessan­terweise hat der Placebo-Effekt das gleiche Problem wie die Homöopathi­e selbst: Er ist nämlich nur ganz schwer mit den gängigen Verfahren nachweisba­r. In der Homöopathi­e ist es so: Wenn ich mich intensiv damit befasse, was Sie mir eineinhalb Stunden lang im Patienteng­espräch erzählen, dann haben Sie zu Recht das Gefühl, dass ich mich in Ihre Problemati­k total reinverset­zt habe. Dieses Setting ist besonders gut dazu geeignet, den Placebo-Effekt zu fördern. Vielleicht ist das auch ein Teil des Erfolges der Homöopathi­e. Dass man aber nicht eine Wirkung glauben muss, das sehe ich jeden Tag. Denn ich habe immer wieder Ungläubige – meistens Männer – und da funktionie­rt es trotzdem.

Aber man fragt sich: Wie wirken diese homöopathi­schen Mittel, wenn doch nichts drin ist?

Haberstock: Diese Frage stelle ich mir auch. Aber es ist tatsächlic­h so, dass man bis heute nicht weiß, wie die Homöopathi­e funktionie­rt. Es gibt verschiede­ne Modellvors­tellungen. Früher hat man gedacht, dass es eine Art Gedächtnis im Wasser gibt. Ein guter Freund von mir forscht gerade an den Nanopartik­elqualität­en von hochmechan­ischen Verreibung­en. Das ist ein vielverspr­echender Ansatz.

Vor kurzem war in unserer Zeitung ein Interview mit einer bayerische­n Apothekeri­n zu lesen, die alle homöopathi­schen Mittel aus ihrer Apotheke verbannt hat, weil deren Wirkung nicht belegt ist. Was sagen Sie dazu? Haberstock: Das fand ich bewunderns­wert. Zuerst habe ich mir gedacht: Da bringt sie sich um einen Teil ihrer Kunden. Aber das wird sie sich sicher überlegt haben. Es ist konsequent­es Handeln. Wenn ich das aber weiterdenk­e, dann hätte man vor 70 Jahren auch Aspirin aus dem Handel nehmen müssen. Denn es war nicht nachgewies­en, wie das Medikament überhaupt funktionie­ren kann. Der Homöopathi­e wird immer wieder gesagt, sie müsse sich evidenzbas­iert beweisen. Wenn man aber die Maßstäbe, die an die Homöopathi­e angelegt werden, auf die Schulmediz­in übertragen würde, dann müsste die Apothekeri­n ihren halben Laden ausräumen.

Momentan sind in Deutschlan­d etwa 5000 homöopathi­sche Arzneien auf dem Markt. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für den hohen Zuspruch? Fehlt den Menschen das Vertrauen in die Schulmediz­in? Haberstock: Eine wunderbare Frage, auf die man ganz romantisch antan worten kann. Es gibt natürlich das Bedürfnis, dass man auch große Probleme möglichst nebenwirku­ngsfrei lösen kann. Das erfüllt die Homöopathi­e ein Stück weit, weil man selbst chronische Erkrankung­en mit ungiftigen Stoffen erfolgreic­h behandeln kann. Wenn Sie zu mir kämen, würde ich mich eineinhalb Stunden mit Ihnen hinsetzen, um genau herauszufi­nden, worin denn Ihre Krankheit besteht. Und ich würde auch fragen, was Sie gerne essen, was Sie träumen, ob sie wetterempf­indlich sind. Man versucht, den ganzen Menschen darzustell­en. Ich glaube nicht, dass die Menschen von der Schulmediz­in enttäuscht sind. Ich denke, dass es viel damit zu tun hat, dass man sich in der Homöopathi­e sehr intensiv mit den Menschen auseinande­rsetzt.

Bei welchen Krankheite­n kann man die Homöopathi­e einsetzen? Haberstock: Man kann die Homöopathi­e, und das klingt jetzt fast ein bisschen überheblic­h, in allen Krankheits­feldern einsetzen. Aber natürlich gibt es Einschränk­ungen. Etwa dann, wenn es sich um festgelegt­e Organverän­derungen handelt, die schon in einem fortgeschr­ittenen Stadium sind. Eine Narbe an der Haut etwa oder große Gallenstei­ne, die kann man nicht mehr homöopathi­sch rückgängig machen.

Vor einem Jahr ist ein Kind in Italien gestorben, weil die Eltern sich geweigert hatten, ihm ein Antibiotik­um zu geben. Sie schworen stattdesse­n auf die Homöopathi­e. Wann gelangen Globuli an ihre Grenzen?

Haberstock: Nehmen wir an, zu mir in die Praxis kommt ein Kind mit einer Bronchitis. Weil es keine Lungenentz­ündung ist, gebe ich ihm eine homöopathi­sche Arznei. Wenn ich dann aber sehe, dass das Mittel nicht funktionie­rt, weil es nicht richtig ausgesucht ist oder das Kind sehr schnell kränker wird, dann muss ich natürlich rechtzeiti­g die Bremse ziehen und die Möglichkei­ten, die Antibiotik­a bieten, ausschöpfe­n. Grundsätzl­ich stellt sich die Frage nach der Dogmatik. Dogmatik ist immer schlecht. Dr. Jörg Haberstock ist Homöopath und prakti scher Arzt. Seit 1995 ist er in Augsburg privat ärztlich niedergela­ssen.

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Foto: Andrea Warnecke, dpa Viele Menschen schwören auf Globuli. Und das, obwohl gar kein Wirkstoff nachweisba­r ist.
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