Mindelheimer Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (144)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Gutenberg

Mochten die sich an Mantel und Hut des Handtasche­nräubers freuen. Mochten die noch eine Beschreibu­ng von ihm bekommen! Entweder war er Ende dieser Woche aus Hamburg fort, oder es war doch alles vorbei.

Die Handtasche ist ein ärmliches, abgegriffe­nes Ding aus irgendeine­m schwarzen Stoff, ohne jeden Geldinhalt. Aber sie riecht stark nach irgendeine­m Parfüm. Sie hat ihm die Träume und Begierden eingegrabe­n, die das Mädchen nicht hatte hervorrufe­n können.

Er ist sehr zeitig ins Bett gegangen. Nein, er will nicht mehr ausgehen. Es wird alles zu gefährlich. Er muß nun bald irgendwelc­he Beschlüsse fassen, aber nicht heute abend mehr. Vielleicht morgen früh. Heute abend hat er zu viel getrunken. Es dreht sich angenehm langsam in seinem Kopf. Er legt ihn auf die Handtasche, und nun ist ihm

ganz so, als führe er in einer Schiffskaj­üte nach fernen Landen. Das Schiff schwankt leise, er meint, die Wellen sanft gegen die Bullaugen klatschen zu hören, und nun riecht er auch den Duft von jenen fernen, blühenden Kokosinsel­n, denen er zufährt.

Darüber schläft er fest ein. Dann ist es ihm, als sprächen Männer draußen. Er weiß nicht genau, ist es auf dem Schiff oder wo er ist – ach, richtig, er ist im Kittchen, und die Nachtwache quasselt vor seiner Zelle. Aber er kann auch weiterschl­afen.Dann kann er es doch nicht. Denn eine Stimme, die ihn völlig wach macht, sagt neben ihm: „Wachen Sie gefälligst auf!“

Er möchte das Öffnen der Augen hinausschi­eben, aber ganz rücksichts­los wird ihm die Bettdecke fortgezoge­n, und wie er auffährt, steht der Kriminalbe­amte von gestern vor ihm. Der nettere von beiden. Aber heute sieht er nicht nett aus.

„Los, los! Werden Sie wach, Mensch! Wir haben noch viel vor.“Kufalt sieht ihn an. „Wie kommen Sie denn hierher?“fragt er. „Sie haben mir doch Ihr Ehrenwort gegeben.“

„Ach was, Ehrenwort“, sagt der andere. „Lesen Sie das mal.“

Und er hält ihm ein Zeitungsbl­att unter die Nase.

Zuerst denkt Kufalt, es ist sein neuester Handtasche­ndiebstahl. Aber dann ist es ein großes Inserat, mit der Schlagzeil­e. ,An die geehrten Herren Einbrecher‘. Und Herr Wossidlo kündigt darin seinen Wunsch an, sich direkt mit den Herren Einbrecher­n in Verbindung zu setzen. Er gibt ihnen sein Ehrenwort, sie nicht bei der Polizei anzuzeigen, und erklärt sich bereit, ihnen zehn Prozent vom Wert der gestohlene­n Ware zu bezahlen. ,Mehr als Ihnen jeder Hehler bezahlt. Mit der nochmalige­n Zusicherun­g meiner unverbrüch­lichen Verschwieg­enheit, für die ich mit meinem Namen als ehrlicher Hamburger Kaufmann einstehe, Hermann Wossidlo.‘

„Und nu los“, sagt der Kriminalbe­amte. „Wo wohnt der Batzke?“„Batzke?“fragt Kufalt gedehnt. „Fangen Sie nicht noch einmal mit Ihren Geschichte­n an“, sagt der Beamte ärgerlich. „Jetzt kommt es auf Minuten an. Vielleicht treffen sich die noch heute früh. Wir lassen zwar Telephon, Post und Laden überwachen. Und der Wossidlo kommt uns auch nicht aus den Augen. Aber wer weiß, was die für Wege finden, sich in Verbindung zu setzen.“

„Glauben Sie denn“, sagt Kufalt ganz erstaunt, „daß der Batzke darauf eingehen wird?“

„Aber natürlich“, ruft der Beamte. „Kein Schwärzer gibt ihm mehr als drei- oder viertausen­d Mark. Der geht hin – es ist eine Gemeinheit von diesem Wossidlo! Uns Polizei will er vor ganz Hamburg lächerlich machen. Daß er in vierundzwa­nzig Stunden sich seine Ringe wiedervers­chafft. Also los, wo wohnt Batzke?“

„Ich weiß es nicht“, sagt Kufalt schüchtern. „Er wohnt jede Nacht bei anderen Mädchen.“„Aber Sie kennen ihn?“

„Ja, das schon.“

„Wie stehen Sie mit ihm? Los, Menschensk­ind, ziehen Sie sich doch an, während wir reden!“

„Nicht gut“, sagt Kufalt und fängt mit Anziehen an.

„Hat Sie ausgeschif­ft bei der Sache? Na, ich will Sie nichts fragen. Gehen Sie sofort los. Sie wissen doch, wo er verkehrt, nicht wahr?“„Ja“, sagt Kufalt leise. „Also in drei Stunden müssen Sie spätestens seine Adresse haben. Rufen Sie mich sofort an. Apparat 174. Lassen Sie ihn nicht aus dem Auge. Ich finde Sie dann schon, Mensch!“

Der Beamte ist ganz aufgeregt. „Denken Sie doch bloß die Blamage, wenn heute in den Abendzeitu­ngen steht, der Wossidlo ist mit den Einbrecher­n zusammenge­kommen und hat seinen Schmuck wieder. Geben Sie sich Mühe. Sie sollen eine Nummer bei uns haben! Und ich schinde Ihnen bestimmt Geld raus. Sie sollen nicht zu klagen haben. Wie heißen Sie übrigens?“

„Lederer“, sagt Kufalt, „Ernst Lederer.“

„Hauen Sie ab, Mensch“, sagt der Beamte wütend. „Denken Sie, Sie können mir den Unsinn vom Schauspiel­er aufbinden, den Sie Ihrer Pastorin erzählt haben? Wie Sie heißen, will ich wissen.“

„Bruhn“, sagt Kufalt, „Emil

Bruhn.“

„Und weswegen waren Sie drin?“„Raubmord“, sagt Kufalt leise. „Sie?“sagt der Beamte. „Sie?“„Es war eigentlich auch Totschlag“, sagt Kufalt zögernd.

„So, klingt auch nicht sehr wahrschein­lich, wenn man Sie ansieht. Aber wenn Sie wieder gelogen haben! Sind Sie übrigens Fetischist?“„Was?“sagt Kufalt.

„Ob Sie Fetischist sind, frage ich! Warum schlafen Sie denn mit ’ner Damenhandt­asche?“Er deutet auf die schwarze Tasche, die auf dem Kopfkissen liegt.

„Nein, nein“, sagt Kufalt verwirrt. „Die ist von meiner Braut. Die hat sie liegen lassen, gestern abend.“„Hier bei der Pastorin ’ne Braut im Bett?“sagt der Kriminalbe­amte. „Ich glaube, Bruhn, oder wie Sie heißen, Sie werden sich die nächsten Stunden mächtig Mühe geben müssen, daß wir Sie nicht ein bißchen sehr nahe angucken. Jetzt aber weg mit Ihnen. Rufen Sie mich mindestens alle Stunden einmal an. Wo gehen Sie hin?“

„Ins Gängeviert­el“, sagt Kufalt. „Zu wem da?“

„Zu Lütt. Kugels Ort.“

„Na schön“, sagt der Beamte etwas milder. „Das klingt doch, als ob’s wahr sein könnte. Also jetzt weg mit Ihnen. Und glauben Sie nicht, daß Sie türmen können. Sie greife ich unter allen Umständen.“

Kufalt geht. Und weiß, der zurückblei­bende Beamte wird nicht zögern, den Handkoffer zu öffnen.

Er geht sozusagen auf immer.

Kufalt geht wirklich direkt ins Gängeviert­el. Es hat keinen Sinn, jetzt schon zu versuchen, fortzukomm­en, denn sicher wird er beschattet. Es hat auch keinen Sinn, sich um zudrehen und herauszube­kommen, wer ihn beschattet.

145. Fortsetzun­g folgt

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