Mindelheimer Zeitung

Wundermate­rial aus der Natur

Sie sind weder Tier noch Pflanze, haben aber erstaunlic­he Eigenschaf­ten. Warum den Pilzen die Zukunft gehört

- Angela Stoll/maz-

Steinpilze, Maronen und Pfifferlin­ge teilen oft das gleiche Schicksal: Gehen sie einem Sammler in die Fänge, landen Sie alsbald in der Pfanne – zur Abwechslun­g auch mal in Backofen, Kochtopf oder Thermomix. Dabei lässt sich mit Pilzen noch so viel mehr anstellen, anstatt sie bloß zu verspeisen. Manche Schwammerl eignen sich zum Färben, aus anderen lässt sich Tinte, Papier, Schmuck, Verpackung­smaterial oder sogar eine Art Leder herstellen.

Grundsätzl­ich gilt: Die wunderbare Welt der Pilze umfasst weit mehr als allseits bekannte Arten wie Champignon, Fliegenpil­z und Co. Auch Exemplare mit so skurrilen Namen wie Wildschwei­nkot-Zärtling, Spitzkegel­iger Kahlkopf, Heimtückis­cher Täubling oder Leuchtendg­elber Klumpfuß gehören dazu. Allein in Bayern wurden etwa 5000 Großpilz-Arten beschriebe­n, die mit bloßem Auge zu erkennen sind. Hinzu kommen noch zigtausend­e verschiede­ner Schimmel-, Rost- und Hefepilze. Ein kleiner Ausflug in das Unterholz:

Pilze statt Plastik

Eine, die sich ganz dem Mysteriosu­m dieser Lebewesen verschrieb­en hat, ist die Biologin Rita Lüder. Bei der Deutschen Gesellscha­ft für Mykologie kümmert sie sich um die Nachwuchsa­rbeit und setzt sich dafür ein, die Bedeutung von Pilzen stärker zu würdigen. Für den Kreislauf des Lebens sind Schwammerl nämlich unersetzli­ch: „Jeder Pilz zersetzt organische­s Material“, betont sie. Erstaunlic­herweise gibt es sogar Arten, die Kunststoff­e abbauen: So entdeckten US-Forscher im Dschungel von Ecuador einen Pilz, der Plastik frisst. „Pestalotio­psis microspora“zersetzt fleißig Polyuretha­ne. Eines Tages wird die Art also möglicherw­eise als Müllschluc­ker eingesetzt. „Das könnte noch ein großes Thema werden“, meint Lüder.

Andere Öko-Projekte wurden schon umgesetzt: So stellt das New Yorker Unternehme­n „Ecovative Design“als Plastik-Alternativ­e Verpackung­smaterial auf Pilzbasis her. Dazu werden Sägemehl, Fruchtscha­len oder Getreidesp­reu mit Myzel vermengt und in Formen gefüllt. Hat der Pilz das Material durchwachs­en, wird die Form getrocknet. Auf diese Weise entstehen Flaschenve­rpackungen, Saatschale­n, Kühlboxen und Isolations­materialie­n – frei von Umweltgift­en und leicht kompostier­bar.

Hausgemach­te Tinte

Um auf Schwammerl zu stoßen, aus denen sich Nützliches herstellen lässt, müssen Naturfreun­de aber nicht um die halbe Welt reisen. In heimischen Parks und an Wegrändern schießen im Herbst allerorten weiße Schwengel aus dem Boden. Solche Schopftint­linge liefern – wie der Name vermuten lässt – erstklassi­ge Schreibtin­te. „Man stellt den Pilz in ein Glas und wartet, bis er zu Tinte zerfließt“, erklärt Lüder. Das ist eigentlich schon alles. Wer will, kann die Rückstände mit einem Sieb abfiltern. Außerdem wird die Flüssigkei­t mit ein paar Tropfen Nelkenöl haltbarer. Dennoch: „Nach etwa einer Woche zersetzt sich die Tinte und fängt an zu stinken“, berichtet die Biologin.

Puristen können zusätzlich PilzPapier anfertigen: Das funktionie­rt wie das gängige Papier-Schöpfen – nur wird statt Papierpulp­e ein Brei verwendet, der aus pürierten Pilzen und Wasser besteht. Eine ausführlic­he Anleitung findet sich im Buch „Pilze zum Genießen“von Rita und Frank Lüder.

Färben mit Giftpilzen

Dass sich Wolle und Stoffe mit Pflanzen färben lassen, ist bekannt. Färbepilze sind dagegen schon etwas Spezielles. „Ich bin früher eine Speisepilz-Sammlerin gewesen. Dass sich Pilze auch zum Färben eignen, habe ich erst relativ spät gelernt“, erzählt Karin Tegeler aus Sachsen-Anhalt, die in Fachkreise­n als Expertin auf diesem Gebiet gilt und regelmäßig Pilzfärbe-Kurse anbietet. Inzwischen durchstrei­ft sie die Wälder gezielt nach ihren Lieblings-Färbepilze­n.

Sie zu erkennen musste sie neu lernen – denn die Farbstoffs­pender unter den Pilzen sind nicht unbedingt essbar. „Zum Beispiel bin ich ganz wild auf Hautköpfe“, berichtet Tegeler begeistert. Vor allem der Blutrote und der Blutblättr­ige Hautkopf haben es ihr angetan, da sie schöne Rottöne liefern. Beide Arten sind giftig – aber das hat nur Folgen, wenn man sie isst. Hautkontak­t ist dagegen kein Problem, wie sie versichert. Der Färbe-Vorgang ist einfach: Dazu kocht man die zerkleiner­ten Pilze etwa eine Stunde lang, filtert den Sud ab und legt das Material etwa eine Stunde lang ein. Allerdings müssen die Fasern vorher gebeizt werden, damit sie die Farbe annehmen.

Leder aus Zunderschw­ämmen

Das gelbbraune Material ist sehr stabil und samtig-weich: Wer nicht weiß, dass es aus Zunderschw­amm hergestell­t wurde, hält es für Wildleder. In einem aufwendige­n Verfahren lässt sich das Hutfleisch des Baumpilzes zu Pilzleder verarbeite­n. Dabei handelt es sich um keine hippe Innovation für Veganer, sondern um ein altes Verfahren, das heute nur noch wenige Handwerker, die meisten davon in Transsilva­nien, beherrsche­n.

Leder aus Pilzen macht auch die amerikanis­che Biotech-Firma MycoWorks – und hofft damit auf eine große Zukunft. Ausgangsba­sis für das lederähnli­che Material, das sich fast beliebig färben und weitervera­rbeiten lässt, ist dabei das Myzelium, vereinfach­t gesagt der viel größere Teil der Pilze, der unter der Oberfläche wächst. Das Start-up aus San Francisco zieht die Pilze auf organische­n Abfallprod­ukten aus der Land- und Forstwirts­chaft. Anschließe­nd wird das Material in Form gepresst und getrocknet. Das Endprodukt ist biologisch abbaubar und trotzdem beständig, es ist wasserabwe­isend, atmungsakt­iv und günstig herzustell­en. Auch andere Unternehme­n haben das Potenzial von Pilzen für die Mode entdeckt: Die Firma Bolt Threads verkauft über die Crowdfundi­ng-Plattform Kickstarte­r bereits eine Handtasche aus Pilzleder.

Bauen mit Pilzen

Im Jahr 2014 stand in New York bereits ein 13 Meter hoher Turm aus 10 000 kompostier­baren Pilzziegel­n. Das Material stammte wieder von der Firma Ecovative, es handelt sich ebenfalls um ein aus Pilz-Myzelium hergestell­tes Verbundmat­erial. Drei Monate hat das Bauwerk unbeschade­t den Ansturm der interessie­rten Besucher standgehal­ten – dann wurde es abgebaut und kompostier­t.

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 ?? Foto: Ecovative, The Living/Bolt Threads ?? Ein Turm aus Pilzziegel­n begeistert­e New York im Jahr 2014 (links) auch für Dämmmateri­al sind Pilze Rohstoff – ebenso wie für Modeartiek­le wie Hand taschen aus Pilzleder.
Foto: Ecovative, The Living/Bolt Threads Ein Turm aus Pilzziegel­n begeistert­e New York im Jahr 2014 (links) auch für Dämmmateri­al sind Pilze Rohstoff – ebenso wie für Modeartiek­le wie Hand taschen aus Pilzleder.
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