Mindelheimer Zeitung

Entnahme

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger allgemeine.de

Der Wolf heult und winselt und fletscht die Zähne, aber er spricht nicht. Das tut er nur im Märchen. Da sagt er Sachen wie: „Rotkäppche­n, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen! Warum guckst du dich nicht um?“Die Geschichte ist bekannt, am Ende stirbt der Wolf mit Steinen im Bauch. Ein frühes Beispiel des sogenannte­n „Wolfmanage­ments“. Und seit Rotkäppche­n hat sich nicht viel verändert: Ist der Wolf tot, beruhigt sich der Mensch.

Wie gesagt: Während der Wolf schweigt, wird viel von ihm gesprochen. Im Allgäu reden sie offenbar seit Wochen über nichts anderes mehr. Und wie überall in Deutschlan­d, wo der ausgestorb­ene Wolf sein Ausgestorb­ensein durch Einwanderu­ng bestreitet, spaltet er die Gesellscha­ft. In solche, die ihn weghaben und solche, die ihn gewähren lassen wollen.

Dass der Wolf kein normales Tier ist, versteht sich in einem Land, in dem über acht Millionen Hunde leben, aber nur etwa 370 Wölfe, von denen aber wiederum das ganze Gekläff ja abstammt. Während Rotkehlche­n, Hamster, Pudel, Wanzen oder Tausendfüß­ler im Koalitions­vertrag zwischen Union und SPD gar keine Erwähnung finden, taucht der Wolf darin auf. Und zwar in einer Passage, deren Formulieru­ng ganz gewiss nicht von den Brüdern Grimm stammt, sondern von Bürokraten schlimm. Es ist die Rede von der „Möglichkei­t der letalen Entnahme von Wölfen“.

Letale Entnahme, das könnte man mit endgültige­r Entfernung übersetzen. Oder schlichter: Totschieße­n. Abknallen. Ähnlich der Formulieru­ng „Regulierun­g“von Wildtierbe­ständen ist die „Entnahme“von Wölfen ein Beispiel für die Tarnkleidu­ng, die man sich aus Begriffen schneidern kann.

Jäger, warum hast du so ein großes Gewehr? Damit ich dich besser entnehmen kann.

Was den Ausdruck „Entnahme“, den man im Allgäu auch in vielen Statements gehört hat, ausnehmend perfide macht, ist seine Herkunft aus dem Handels- und Steuerrech­t. Es geht um den Griff in die Kasse. Man unterschei­det diverse, meist unblutige Entnahmen – etwa die Gewinnentn­ahme, die Kapitalent­nahme oder die Privatentn­ahme.

Annehmen oder entnehmen? Der Streit wird weitergehe­n.

Und die sprachlich­e Camouflage auch. Die Entnahme eines Wolfs aus der Natur kann demnach eine „Gefahrenab­wehrmaßnah­me in Einklang mit dem Artenschut­z“sein. Peng!

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