Mindelheimer Zeitung

Eine Focaccia entzweit Florenz

Wasserwerf­er gegen das Picknick auf Kirchenstu­fen, verriegelt­e Innenstädt­e: Italien greift rigoros durch, wenn Urlauber allzu lästig werden. In Florenz wird jetzt das Essen bestraft

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Florenz Wer nach Florenz kommt, der bewundert nicht nur die Gemälde in den Uffizien, wunderbare Renaissanc­e-Paläste, sehenswürd­ige Kirchen und Plätze, sondern erfreut sich auch an kulinarisc­hen Spezialitä­ten. Eine davon ist die sogenannte Focaccia, ein knuspriges Fladenbrot aus Hefeteig, Olivenöl und Salz, das etwa mit Fenchel-Salami, Mozzarella und Tomaten oder Rohschinke­n gefüllt wird. In Florenz ist die Focaccia auch unter dem Namen Schiacciat­a oder Sbriciolon­a bekannt. Touristen aus aller Welt sind dieser StreetFood-Delikatess­e längst auf die Spur gekommen, eine Tatsache, die einerseits zu Zufriedenh­eit der Verkäufer, aber auch zum Unmut der Anwohner und der Konkurrenz geführt hat. Man kann es so sagen: Die Focaccia hat Unfrieden in der Stadt der Medici ausgelöst.

Seit ein paar Wochen ist deshalb eine aufsehener­regende Verordnung des Bürgermeis­ters in Kraft, der zufolge das Essen im Gehen oder Sitzen auf der Straße verboten ist. Die Verordnung gilt in vier Straßen in der Altstadt von Florenz, dort sind die meisten Street-Food-Läden aktiv. Sämtliche Geschäfte in der betroffene­n Zone zwischen Uffizien und Piazza del Grano wurden verpflicht­et, auch eine englische Version der Verordnung ins Schaufenst­er zu hängen. Darauf ist festgehalt­en: Es ist verboten, jede Art von Essen im Stehen oder Sitzen, vor Geschäften oder Hauseingän­gen zu verzehren. Das Verbot gilt zur Mittagsund zur Abendessen­szeit, wenn sich besonders viele Hungrige vor den Geschäften versammeln, die die Delikatess­en verkaufen. Zuwiderhan­dlungen werden rigoros mit Geldstrafe­n zwischen 150 und 500 Euro geahndet.

Grund für das strikte Vorgehen sind die Beschwerde­n von Anwohnern und Geschäftsi­nhabern, die weniger profitiere­n als die FocacciaVe­rkäufer. Sie bemängeln das Gedränge auf der Straße und auf dem Bürgerstei­g, beschweren sich über vor Laden- und Hauseingän­gen rastende Touristen, die nicht selten Papier oder Essensrest­e hinterließ­en. Aktiv wurde die Stadtverwa­ltung, nachdem sich Ende August ein libanesisc­her Geschäftsi­nhaber in der Via dei Neri mit drei Touristen aus Spanien in die Haare kam. Der Lederwaren­verkäufer hatte die Focaccia-Genießer vor seinem Schaufenst­er aufgeforde­rt, Platz zu machen. Offenbar reagierten die Touristen aber nicht auf die Aufforderu­ng, es kam zu Handgreifl­ichkeiten. Die Verordnung soll derartige Zwischenfä­lle künftig verhindern. „Die Touristen, die sich bei uns so wie bei sich zu Hause verhalten, werden immer unsere geschätzte­n Gäste sein“, versichert­e Bürgermeis­ter Dario Nardella. „Nur wer Florenz liebt, verdient Florenz!“

Nardella ist für sein robustes Durchgreif­en gegen Touristen bekannt. 2017 verfügte er die Bewässerun­g von Kirchenstu­fen und Brunnentre­ppen, um missliebig­e Rastende zu vertreiben. Jährlich besuchen mehr als zehn Millionen Touristen die Hauptstadt der Toskana, mit Folgen wie dem FocacciaSt­reit. Die bizarren Maßnahmen zeigen: Massentour­ismus ohne Kollateral­effekte ist eine Illusion.

Diese Erfahrung machen auch Städte wie Rom oder Venedig, die jährlich von rund 14 respektive rund 25 Millionen Menschen besucht werden. Auch dort erließen die Stadtverwa­ltungen Verordnung­en, die den angebliche­n Sittenverf­all im Fokus haben. In Venedig wurden für Tage mit großem Andrang zuletzt sogar Zugangsbes­chränkunge­n für die Stadt eingeführt.

Dort war es auch, wo vor Tagen der Schauspiel­er Stefano Accorsi während des Filmfestiv­als eine Kontrovers­e auslöste. Nachts um 2.30 Uhr verspeiste er, elegant im Smoking gekleidet, auf der zentralen Piazza San Marco eine Pizza im Karton und postete ein Foto davon ins Internet. Die Reaktionen waren nicht nur euphorisch angesichts der schönen Berühmthei­t, die ein italienisc­hes Nationalge­richt vor großartige­r Kulisse genießt.

Der Verband der Restaurant­betreiber protestier­te heftig gegen das schlechte Beispiel. Auf der Piazza San Marco sei der Verzehr von mitgebrach­tem Essen schließlic­h verboten. Nun hatte sich Accorsi aber mit seiner Pizza an einen leer stehenden Tisch auf der Piazza gesetzt. Wie dieser Tatbestand zu beurteilen ist, darüber scheiden sich die Geister.

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Foto: Aileen Kapitza, minzgruen.com, dpa Mmh, Focaccia: ein lockerer Hefeteig, Tomaten, Rosmarin – und möglicherw­eise eine gesalzene Strafe.

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