Tagsüber das beste Internet der Welt, aber am Abend singen die Frauen die uralten Lieder ihrer Vorfahren
Patursson. Nicht auf Walknochenschemeln, sondern auf bequemen Stühlen sitzt man im Café Paname. Es zählt zu den Lieblingsorten von Levi Hansen in der kleinen Hauptstadt Tórshavn, sein Arbeitsplatz ist nur zweimal um die Ecke.
„Ja, ohne das Netz wäre es uns nicht möglich, mit dem Rest der Welt mitzuhalten“, sagt er. „Wir haben das beste 4G-Internet der Welt und 94 Prozent der Menschen hier haben einen Facebook-Account.“
Als Hansen im vergangenen Jahr das liebenswürdige Projekt „Faroe translate“ins Leben rief, bei dem fast jeder zweite Bewohner mitmachte und Live-Übersetzungen per Smartphone aus dem Englischen ins Färörische anbot, zeigte sich, dass eine urtümliche, kaum veränderte Sprache, die Worte für solch moderne Begriffe wie „Bahnhof“(„Tokstø“) erst erfinden musste, heute etwas Besonderes ist. In einer technisierten, globalisierten, Englisch sprechenden Welt wirkt sie so einzigartig, dass sie aber genau dieses weltweite Netz nutzen konnte, um Aufmerksamkeit zu erlangen und Interesse zu wecken.
Die Abgelegenheit von Färöer manifestiert sich geografisch vor allem in Gásadalur, vor 2006 mit Fug und Recht der isolierteste Flecken Europas. Tief abfallende Klippen auf der einen und steile Berge auf der anderen Seite machten die kleine Siedlung am äußersten Nordwestrand der Insel Vágar zu einem Ort abseits aller Wege. Zweimal die Woche flog – bei gutem Wetter – ein Hubschrauber.
Seit vor zwölf Jahren ein Tunnel durch den Berg Eysturtindur getrieben wurde, ist Gásadalur etwas besser an die Welt angeschlossen. Nun gibt es ein Telefon- und Internetkabel und ab und zu übernachten auch Amerikaner oder sogar Koreaner in der einzigen Herberge des Dorfes, dem Gásadalsgarurin. Wanderführer Pól Sundskar, hellgrüne Jacke, freundliche blaue Augen, sagt sogar: „Heute ist es, abgesehen von Tórshavn, der wohl meistbesuchte Ort auf Färoer.“
Meistbesucht, das heißt hier: ein Parkplatz für zehn Autos, ab und zu ein Kleinbus mit Gästen. Denn nicht nur der Ort selbst hat eine extreme Lage. Von hier aus führt ein Wanderpfad die Klippen entlang, zu einem Wasserfall, der sich direkt unter Gásadalur in die Tiefe stürzt, ein schönes Fotomotiv.
Pól Sundskar ist der Wanderführer auf den Inseln, bekannt wie ein bunter Vogel. Genau 60 Jahre alt, Extremsportler, Ex-Fußballnationalspieler. Er kennt jeden Grashalm und jedes Schaf. Und auch alle Wege und Pfade der achtzehn Inseln.
Eine der spektakulärsten Routen führt nicht weit von Gásadalur am sich langstreckenden See Sørvágsvatn entlang, dem größten der Inseln. An seinem Ende angelangt, stürzt er sich als Bøsdalafossur tosend über die über hundert Meter hohen Klippen direkt in den Nordatlantik.
An diesem Tag ist es andersherum, fast jedenfalls. Atemraubend ist der Sturm, der die Wogen gegen die Felsen wirft und die Gischt in Höhe treibt, bis in den Sørvágsvatn hinein. Auch die fallenden Wasser haben heute Mühe, der Schwerkraft zu gehorchen.
„Wir leben hier nicht wegen des guten Wetters“, ruft Sundskar lachend herüber.
Dass an diesem Ort überhaupt Menschen leben, ist manchmal erstaunlich. Die Wikinger kamen einst wegen des Torfs und des Überflusses an Fischen und Trinkwasser nach Färöer. Und hinterließen die Ursuppe einer Kultur, die nicht nur am Hof von Jóannes Patursson bis heute wirkt. Am Abend, als die Frauen des Ortes zusammenkommen, versinkt Gásadalur nicht nur ins Dunkle, sondern auch ins Zeitlose. Ein Chor aus glasklaren, hellen Stimmen singt im Gásadalsgarurin uralte Weisen, mehrstimmig, nach einer heute fremd klingenden Melodie, von einer schlanken Flöte begleitet, ganz klar und rein – während draußen der Sturm noch nicht nachgelassen hat und der Atlantik rhythmisch gegen die Grundfesten der Insel schlägt.