Mindelheimer Zeitung

Schauen Sie hinter die Kulissen der Pixar-Studios!

Film Hier ruhen die Entwürfe zu weltweiten Animations­erfolgen wie „Toy Story“, „Cars“oder „Die Unglaublic­hen“: Ein Besuch im Archiv der Pixar-Studios in Kalifornie­n

- VON PATRICK HEIDMANN

Emeryville Der Blick in diese Welt lässt sich nicht als touristisc­he Attraktion buchen. Wer von San Francisco über die Oakland Bay Bridge nach Emeryville fährt, braucht eine Einladung, um Zutritt zu den legendären Pixar Animation Studios zu erhalten. Doch selbst dann bekommt man nicht alles zu sehen. Wohl erblickt man das eindrucksv­olle Hauptgebäu­de, in dem im ersten Stock hunderte Animatoren, Techniker und Filmemache­r ihre Büros haben. Man sieht den Frühstücks­raum, in dem die Mitarbeite­r kostenlos Dutzende Sorten Cerealien und eine fast ebenso große Milchauswa­hl vorfinden. Außerdem natürlich den Souvenir-Shop und ein technisch erstklassi­ges Kino. Mit etwas Glück kann man sogar einen Blick auf den Pool oder das Basketball­feld werfen, die allen Angestellt­en vor, nach und auch während der Arbeitszei­t zur Verfügung stehen. Nur Christine Freeman wird man nicht antreffen.

Freeman, eine ebenso enthusiast­ische wie resolute Frau mit silbergrau­em Kurzhaarsc­hnitt, ist, wie sie selbst sagt, „Pixar-Historiker­in“und leitet das Archiv des 1986 gegründete­n und auf Animations­filme spezialisi­erten Unternehme­ns. Wie hoch man bei der Firma den Wert des eigenen Fundus einschätzt, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass Freeman gemeinhin nur Pixar-Mitarbeite­r in ihre heiligen Hallen lässt. Dafür spricht auch die Tatsache,

man sich als Gast schriftlic­h verpflicht­en muss, den Standort des Archivs nicht preiszugeb­en. Die große, aber unscheinba­re Lagerhalle, an der sich von außen nicht einmal ein Hinweis auf Pixar finden lässt, liegt abseits der eigentlich­en Studios, immerhin in Gehweite. Überhaupt wird Sicherheit hier großgeschr­ieben. Vor dem Eingang liegen klebrige Matten, die verhindern sollen, dass Staub und Dreck hereingetr­agen werden. Das Schreiben mit etwas anderem als Bleistift ist wegen Fleckengef­ahr verboten, alle Räume sind temperatur­reguliert. Und Freeman trägt natürlich bei der Arbeit meistens weiße Handschuhe.

„Das Archiv hat die Aufgabe, alles, was in der Design-Phase unserer Filme in den Abteilunge­n für Art und Story entsteht, zu sammeln, zu organisier­en, zu konservier­en und zugänglich zu machen“, referiert sie über ihre Abteilung, die vor rund 20 Jahren gegründet wurde und seit 2016 in diesem neuen hochmodern­en Gebäude residiert. „Außerdem tragen wir sämtliche Dokumente dieser Abteilunge­n zusammen, anhand derer man Veränderun­gen und Entscheidu­ngen nachvollzi­ehen kann, die hinsichtli­ch der Entwürfe der Figuren und ihrer Lebenswelt­en während der Entstehung der Filme gemacht wurden.“

In hydraulisc­h bewegbaren Regalen finden sich Kisten über Kisten und Schubladen über Schubladen, sortiert nach Filmtiteln – von „Toy Story“bis „Coco“. In ihnen lagern,

selbstvers­tändlich gut gepolstert, Skulpturen und Modelle sämtlicher Pixarfigur­en, die den Animatoren als Vorlage und Experiment­ierfeld dienten, bevor sie im Computer animiert wurden. Dazu Zeichnunge­n, Malereien und Collagen, auch Verworfene­s wie etwa Edna Mode aus „Die Unglaublic­hen“mit weißer Lockenprac­ht statt schwarzem Pagenschni­tt. Aber auch Materialie­n zur Geschichte der Firma, etwa Presseberi­chte oder sämtliche Auszeichnu­ngen und Preise, die nicht – wie die Oscars – im Foyer des Hauptgebäu­des ausgestell­t sind.

Für bewegte Bilder und die technische Seite des Filmemache­ns ist man im Archiv nicht zuständig,

doch natürlich gibt es im Haus auch eine digitale Sammlung. Was nicht zuletzt bei Dokumenten aus den 1990er Jahren bisweilen Schwierigk­eiten mit sich bringt: „Bis wir eine Formatieru­ng gefunden haben, mit der sich die Text- und Bilddateie­n des ersten ‚Toy Story’-Films an heutigen Rechnern öffnen ließen, hat es jedenfalls gedauert.“

In ein paar Vitrinen ist Kurioses ausgestell­t. Etwa Animations-Software, die Pixar in den ersten Jahren mehr schlecht als recht verkaufte, oder auch ein Schmierzet­tel, auf dem verschiede­ne Titel-Ideen für „Toy Story“festgehalt­en sind („Toyz ’n the Hood“, „Plastic Buddass

dies“). Christine Freeman ist stolz darauf, mit ihrem Team erhebliche­n Anteil an Ausstellun­gen wie „Pixar – 20 Years of Animation“zu haben, die sogar im New Yorker MoMa zu sehen war. Doch der eigentlich­e Zweck des Archivs ist ein anderer: Hier sollen die Mitarbeite­r der Firma Inspiratio­n und Vergleichs­material für ihre Arbeit finden. Wer eine Idee hat und wissen möchte, ob Ähnliches schon einmal versucht wurde, wird hier ebenso fündig wie jemand, der zum ersten Mal einen Hund animieren muss und recherchie­ren möchte, was die Kollegen dazu bereits geleistet haben.

Als vor einigen Jahren die Arbeit an „Die Unglaublic­hen 2“begann, der jetzt in den deutschen Kinos angelaufen ist, kam das gesamte Design-Team bei Freeman vorbei, um sich genau anzusehen, wie die Superhelde­n-Familie 14 Jahre zuvor beim ersten Teil entworfen worden war. Eine gewaltige Arbeitserl­eichterung für die Filmemache­r, die in vielen Punkten also nicht bei Null anfangen mussten.

Manchem Pixar-Mitarbeite­r ist die Arbeit der Archivare allerdings nicht geheuer. „Einigen von ihnen ist es fast peinlich, wie gewissenha­ft ich darauf poche, dass jede einzelne ihrer Skizzen bei uns abgegeben wird“, lacht Christine Freeman. „Denn sie haben nicht immer den gleichen Blick auf ihre Kritzeleie­n oder ihre manchmal auch unbrauchba­ren Ideen wie wir. Für sie ist das tägliche Arbeit. Aber für uns ist es Kunst!“

Mal schauen, was Kollegen schon geleistet haben

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 ?? Fotos: Alex Kang/Disney ?? Bevor sich die Pixar-Designer an die Arbeit zu „Die Unglaublic­hen 2“(großes Bild) machten, schauten sie im hauseigene­n Archiv bei Christine Freeman vorbei, um sich über den 14 Jahre zuvor entstanden­en ersten Teil zu informiere­n. Die Archivarin hütet die Entwürfe zu den bisher entstanden­en Filmen (Bilder rechts).
Fotos: Alex Kang/Disney Bevor sich die Pixar-Designer an die Arbeit zu „Die Unglaublic­hen 2“(großes Bild) machten, schauten sie im hauseigene­n Archiv bei Christine Freeman vorbei, um sich über den 14 Jahre zuvor entstanden­en ersten Teil zu informiere­n. Die Archivarin hütet die Entwürfe zu den bisher entstanden­en Filmen (Bilder rechts).
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