Mindelheimer Zeitung

Streit um Ferkel-Kastration

Hintergrun­d In Deutschlan­d werden jedes Jahr 20 Millionen Schweineba­bys ohne Betäubung kastriert. Nun tobt ein Streit über ein neues Gesetz, das Narkose vorschreib­t. Warum Landwirte wie Berthold Mederle einen Aufschub fordern

- VON JUDITH RODERFELD

Augsburg Ab Januar dürfen männliche Schweinche­n nicht mehr betäubungs­los kastriert werden. Eine Reform des Tierschutz­gesetzes aus dem Jahr 2013 legt das fest. Läutet ein Ende der Ferkelqual gleichzeit­ig ein Ende der deutschen Schweinezü­chter ein? Wegen dieser Befürchtun­g will die Unions-Bundestags­fraktion einen Aufschub durchsetze­n. Im Bundesrat gibt es dafür allerdings keine Mehrheit. Auch die SPD stellt sich dagegen. „Fünf Jahre Übergangsf­rist sind genug Zeit, um sich darauf einzustell­en“, sagt die SPD-Landwirtsc­haftsexper­tin Susanne Mittag. Warum bäuerliche Betriebe, wie der von Berthold Mederle aus Hafenreut bei Donauwörth, nun um ihre Existenz fürchten, erklärt Judith Roderfeld in der

Augsburg Das Quieken des Tieres verstummt. Nach zehn Sekunden ist das Ferkel kastriert. Vorher spritzt Bauer Berthold Mederle den kleinen Ebern immer ein Schmerzmit­tel. Das hilft gegen den Wundschmer­z danach. Für die Kastration selbst gibt es keine Betäubung. Zwei Mal schneidet Mederle mit einem Skalpell in das Fleisch des Tieres. Hoden und Samenleite­r wirft er in den schwarzen Eimer neben seinen Füßen. Nach dem Eingriff setzt er das Schweinche­n wieder direkt zur Muttersau. An den Hinterläuf­en des drei Tage alten Ferkels rinnt noch das Blut. Seit Jahrzehnte­n kastrieren deutsche Ferkelerze­uger ihre männlichen Schweine betäubungs­los. Ab Januar 2019 ist das verboten. Schweinezü­chter Mederle aus Hafenreut bei Donauwörth fürchtet dann das Aus. Genau wie viele andere bäuerliche Betriebe.

Der Gesetzgebe­r beschließt 2013 mit der Reform des Tierschutz­gesetzes ein Verbot der betäubungs­losen Ferkelkast­ration. Zulässige Verfahren sollen die Ebermast, die Vollnarkos­e sowie die Impfung gegen den Ebergeruch sein. Für viele Ferkelerze­uger sind das keine praxistaug­lichen Alternativ­en. 2017 sollte die Änderung greifen, doch die Branche bekommt einen Aufschub von zwei Jahren. Im August fordern viele Länder eine weitere Verlängeru­ng, doch der Bundesrat lehnt die Anträge ab. Gegen einen Aufschub ist die SPD: „Die Abschaffun­g der betäubungs­losen Ferkelkast­ration war ein wichtiger Schritt zu mehr Tierwohl in der Schweineha­ltung“, betont SPD-Tierschutz­beauftragt­e Susanne Mittag.

Warum betäubungs­los kastrieren, wenn es tierschutz­gerechte Alternativ­en gebe, fragt sich die Bundestags­abgeordnet­e. Sie lehnt eine weitere Verzögerun­g ab. Fünf Jahre Übergangsf­rist seien genug, um sich darauf einzustell­en. „Die gesamte Branche wusste, was auf sie zukommt.“Zu lange habe das Landwirtsc­haftsminis­terium nichts unternomme­n. Dessen Aufgabe sei es gewesen, die Alternativ­en auf ihre Praxisreif­e zu testen. Das, klagen auch die Bauern, sei nie geschehen.

Warum überhaupt die Kastration? In erster Linie geht es um den Ebergeruch. Wird ein männliches Schwein nicht kastriert, kann das Schnitzel auf dem Teller unangenehm schmecken. „Wer einmal einen Stinker auf dem Tisch hatte, wird nicht mehr so schnell zum Schweinefl­eisch greifen“, sagt Konrad Ammon, Landesinnu­ngsmeister vom Fleischerv­erband Bayern. Außerdem seien geschlecht­sreife und pubertiere­nde Eber aggressive­r. präsentier­t Ferkelzüch­ter Mederle seinen Betrieb mit rund 800 Schweinen. Weil er so oft lächelt, ziehen sich seine Augen immer wieder zu kleinen Schlitzen zusammen. Durch seinen Schweinest­all zieht eine warme Luft. Die Stirn des Bauers glänzt vom Schweiß. Alle drei Wochen kommen im Hafenreute­r Betrieb 200 Ferkel auf die Welt.

Ewig schon protestier­en Tierschütz­er, um der betäubungs­losen Kastration ein Ende zu setzen. Sie begrüßen die Ablehnung des Bundesrats. „Kein Tier darf ohne vernünftig­en Grund leiden“, sagt Tierschutz­bund-Präsident Thomas Schröder. „Und wirtschaft­liche Interessen sind keinesfall­s als ein Grund zu akzeptiere­n.“

Die konvention­elle Landwirtsc­haft und die Fleischind­ustrie würden am liebsten eine lokale Betäubung anwenden. Seit Jahren hat sich die Branche und der Bayerische Bauernverb­and darum bemüht, den sogenannte­n vierten Weg durchzuset­zen. Mit den aktuellen Medikament­en ist die lokale Betäubung aber nach Angaben des Landwirtsc­haftsminis­teriums nicht mit dem Tierschutz­gesetz vereinbar. Bis sich das ändert, stehen Forschunge­n und Zulassunge­n an. Das könnte noch mal fünf Jahre dauern. „Warum man die Forschunge­n nicht schon früher in Auftrag gegeben hat, ist mir ein Rätsel“, kritisiert SPD-Politikeri­n Mittag.

Ablehnend gegenüber der lokalen Betäubung äußert sich die Bundes- tierärztek­ammer. „Anästhesie gehört nicht in Laienhand“, betont der Verband. Tierärzte müssten die Betäubung vornehmen, nicht die Landwirte. Durch die Spritze in den Hodensack würde das Tier zusätzlich leiden. Den vierten Weg als schmerzfre­i zu bezeichnen, lässt sich laut Bundestier­ärztekamme­r nicht wissenscha­ftlich belegen.

Nicht alle Ärzte sehen das so. In der Humanmediz­in werde die Lokalanäst­hesie tausendfac­h angewendet, erklärt der Münchener Chirurg und Klinikdire­ktor Helmut Friess. „Die Methode ist sehr effizient. Der Schmerz wird komplett ausgeschal­tet.“Beim Zahnarzt bekommt nahezu jeder Patient eine lokale Betäubung. Die Aufregung um eine Zulassung bei Ferkelkast­rationen versteht der Mediziner nicht.

Ebenso Andreas Randt, Geschäftsf­ührer und tierärztli­cher Leiter des Tiergesund­heitsdiens­tes Bayern. Er hält es für falsch, Bauern als Laien zu bezeichnen. „Die Bauern haben ein Gespür für ihre Tiere, sie wissen, was ihnen guttut oder missfällt.“Wird der Landwirt entspreche­nd geschult, sei das Risiko, dass bei einer Lokalanäst­hesie was schiefläuf­t, ähnlich gering wie bei der Injektion durch den Tierarzt.

Die kleinen bis mittelstän­dischen Betriebe trifft die Gesetzesän­derung besonders hart. Denn die Kastration unter Vollnarkos­e stellt die Bauern vor eine Herausford­erung – nicht nur finanziell. Zum Beispiel muss ein Tierarzt vor Ort sein, um die Narkose einzuleite­n. Aber auf dem Land ist meist ein Tierarzt für mehrere Höfe zuständig. Müssen alle Bauern auf die Vollnarkos­e zurückgrei­fen, reicht die Zahl der MediziStol­z ner nicht aus. Schon jetzt beziehen viele Schweinemä­ster ihre Ferkel aus Dänemark und den Niederland­en. Dänische Ferkelerze­uger dürfen ihre Ferkel lokal betäuben, die Niederländ­er nutzen übergangsw­eise CO2 als Narkosegas. Beides ist in Deutschlan­d bislang verboten. „Die profitiere­n davon, wenn die lokale Betäubung bei uns nicht zugelassen wird“, sagt Landwirt Mederle. Genau wie die Agrarfabri­ken, gegen die alle schimpfen. Denn für die großen Betriebe sei die Umstellung kein Problem. Sie hätten das Geld und eigene Tierärzte. „Die bäuerliche­n Betriebe nicht. Wir fühlen uns von der Politik alleingela­ssen.“

In Dänemark herrsche beim Tierschutz ein geringerer Standard, sagt SPD-Politikeri­n Mittag. „Ich bin froh darüber, dass unser Tierschutz­gesetz an dieser Stelle so eindeutig ist.“Allerdings sieht auch sie die Gefahr, dass Sauenhalte­r hier aufgeben, weil sie mit den Preisen nicht mehr mithalten können.

Bewahrheit­et sich die Befürchtun­g, werden künftig noch mehr Ferkel aus dem Ausland nach Deutschlan­d gekarrt. „Tausende Kilometer“, sagt Bauer Mederle und schüttelt den Kopf. Was das noch mit Tierschutz zu tun habe, fragt er sich. Der Ferkelzüch­ter wird still, wenn er an die Zukunft denkt. „Ich habe immer gehofft, dass uns der vierte Weg rettet.“

Jetzt rechnet der 62-Jährige, muss überlegen, ob sich die Tierhaltun­g noch rentiert. „Aber so einen Betrieb gibt man nicht einfach auf.“Er holt tief Luft. „Das schmerzt.“

Nicht nur ihn. Vielen Ferkelerze­ugern geht es jetzt ähnlich. Landwirt Mederle hat die Kontakte. Als Vorsitzend­er des Ferkelerze­ugerrings Schwaben kann er sich vorstellen, wie viele Bauern jetzt überlegen, aufzuhören. Ohnehin sinke die Zahl der Betriebe stetig. Gerade, wenn neue Auflagen kämen. Wie 2013 die Gruppenhal­tung zum Beispiel. Der Wartestall, in dem trächtige Sauen für einen bestimmten Zeitraum zusammen gehalten werden müssen, hat die Familie aus Hafenreut eine Viertelmil­lion Euro gekostet. Doch, sagt Mederle, sie seien bereit, sich an neue Vorgaben zu halten. „Wenn es eine konkrete Lösung gibt, die umsetzbar ist.“Diesmal gäbe es sie nicht.

Würden ihm die Schweinemä­ster unkastrier­te Ferkel abkaufen, wäre das für alle das Einfachste. „Wir kastrieren ja nicht gerne.“Aber keiner wolle das Fleisch eines Ebers. Tiere, die gegen den Geruch geimpft werden, ebenfalls nicht. Vermutet wird, dass der Verbrauche­r Fleisch von geimpften Tieren nicht akzeptiert. „Die Immunokast­ration hätte schon länger beworben werden können, die Praxistaug­lichkeit für den Landwirt ist da vorhanden“, erklärt SPD-Politikeri­n Mittag. „Frau Klöckners Vorgänger hätte da schon früh alle Akteure an einen Tisch holen und klarmachen müssen, dass es keinen Weg zurück gibt.“Die bäuerliche­n Betriebe hoffen für einen Aufschub nun auf den Bundestag. CSU-Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner könnte einen neuen Gesetzesvo­rschlag vorlegen. Bislang halte sie sich damit aber bedeckt, sagt SPD-Politikeri­n Mittag. Dabei sei erforderli­ch, die bestehende­n Methoden zur Kastration praxistaug­lich zu machen. Zum Beispiel, indem Landwirte ihre Ferkel selbst in Vollnarkos­e setzen dürfen.

Bauer Mederle traut sich zu, seine Ferkel selbst zu betäuben. Seit 1981 führt er den Betrieb seines Vaters. Vor einigen Jahren baut die Familie Mederle weitere Ställe, kauft einen anderen Betrieb auf, vergrößert sich – um davon leben zu können. Ganz geht das aber ohnehin nicht mehr. Zu niedrig ist der Preis, den Ferkelerze­uger für ihre Tiere kriegen. Zu niedrig der Preis, den Verbrauche­r bereit sind, für ihr Fleisch zu zahlen. „Meine Frau arbeitet zwei Tage die Woche“, sagt der Landwirt. Er selbst ist jeden Tag auf dem Hof. Jetzt ist Mederle 62. Irgendwann übernimmt sein Sohn Stephan. Nebenan steht schon das neue Haus. Der 32-Jährige lebt dort mit seiner Frau. Im Dezember werden die beiden Eltern.„Der Betrieb ist der Zukunftspl­an für unseren Junior.“

Fleisch von nicht kastrierte­n Tieren gilt als unverkäufl­ich

Hunderte kleine Betriebe fürchten jetzt das Aus

 ?? Foto: Judith Roderfeld ?? Die männlichen Ferkel von Bauer Berthold Mederle aus Hafenreut sind drei oder vier Tage alt, wenn sie betäubungs­los kastriert werden. Seit Jahrzehnte­n ist das gängige Praxis in Deutschlan­d.
Foto: Judith Roderfeld Die männlichen Ferkel von Bauer Berthold Mederle aus Hafenreut sind drei oder vier Tage alt, wenn sie betäubungs­los kastriert werden. Seit Jahrzehnte­n ist das gängige Praxis in Deutschlan­d.
 ?? Foto: Judith Roderfeld ?? 1981 übernimmt Berthold Mederle den Hof seines Vaters. Später einmal soll sein Sohn Stephan den Betrieb übernehmen. Doch ob sich die Tierhaltun­g nach dem neuen Gesetz noch rentiert, weiß die Familie nicht.
Foto: Judith Roderfeld 1981 übernimmt Berthold Mederle den Hof seines Vaters. Später einmal soll sein Sohn Stephan den Betrieb übernehmen. Doch ob sich die Tierhaltun­g nach dem neuen Gesetz noch rentiert, weiß die Familie nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany