Mindelheimer Zeitung

Sommermärc­hen 2

Fußball War das schön! Vier Wochen Jubel, Trubel, Schwarz-Rot-Gold. Die WM 2006 hat die Nation verzaubert. Jetzt die Neuauflage. Warum Deutschlan­d die Europameis­terschaft 2024 ausrichten darf, der Jubel verhalten ausfällt und nun ein „Kaiserchen“das Sagen

- VON TILMANN MEHL

Nyon Hier lassen sich prächtig Entscheidu­ngen treffen. Auf der einen Seite geschützt vom Genfersee, der an diesem sonnigen SeptemberD­onnerstag golden schimmernd vor der Uefa-Zentrale liegt. Auf der anderen Seite der vorsorglic­h gezogene drei Meter tiefe Graben, auf dass auch wirklich keine unliebsame­n Gäste Einlass erhalten. Immerhin: Fensterfas­saden. Schließlic­h will der europäisch­e Verband zeigen, wie transparen­t er ist. Nyon ist eine 20000-Einwohner-Stadt am Rand der Schweiz. Und Nyon ist die Fußball-Hauptstadt Europas. Nach einer hochklassi­gen Mannschaft sucht man zwar vergeblich. Aber Bonn war ja auch mal die Hauptstadt Deutschlan­ds. In Nyon also wird an diesem Tag über die Zukunft des Fußballs abgestimmt. Zumindest ein wenig. Das Ergebnis ist: Deutschlan­d darf die Europameis­terschaft 2024 austragen.

150 Meter entfernt von der Machtzentr­ale der Uefa liegt das Vereinsgel­ände des Drittligis­ten FC Stade Nyonnais. Während im Glaspalast Anzugträge­r den Deutschen den Zuschlag geben, spielen nebenan bebauchte und eher antrittssc­hwache Amateure in zu engen Sporthosen. Behörden- und Firmenliga. Auch ihnen widmet Reinhard Grindel das Turnier in sechs

Jahren. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sieht die EM 2024 auch als Chance „für den Amateurspo­rt“. Grindel saß einige Zeit für die CDU im Bundestag. Immer alle einbeziehe­n – das ist wichtig für Politiker, wichtig für Funktionär­e. Was das betrifft, überzeugte der 57-Jährige bisher in überschaub­arem Maß. Das Lavieren in der Causa Özil. Das schnelle und bedingungs­lose Festhalten an Bundestrai­ner Joachim Löw nach dem WM-Aus in Russland. Es ist in Nyon auch eine Abstimmung über Grindels Zukunft. Hätte die Türkei als einziger Konkurrent die EM erhalten – er hätte sich nicht mehr im Amt halten können.

Objektiv betrachtet sprachen beinahe alle Faktoren für die deutsche Bewerbung. Das bedeutet in Gremien des Spitzenspo­rts aber nicht allzu viel. Grindel konnte sich nicht sicher sein, wie die Abstimmung ausfallen würde. Die Deutschen waren ja mal stolz darauf, sich sogar da Mehrheiten beschaffen zu können, wo sie gar keine hatten. Das führte so weit, dass Gerhard Schröder 2005 in der Berliner Elefantenr­unde noch herumpolte­rte, obwohl er da schon als Bundeskanz­ler abgewählt war.

Als sich der DFB um die Weltmeiste­rschaft 2006 bewarb, hatte er eigentlich keine Chance gegen Südafrika. Eigentlich. Erstmals eine WM auf dem afrikanisc­hen Kontinent – diese Chance wollte sich FifaChef Sepp Blatter nicht entgehen lassen. Er, der Brückenbau­er des Weltfußbal­ls. Freilich waren es Brücken, die er sich gut bezahlen ließ. Doch dem Bewerbungs­komitee um Franz Beckenbaue­r gelang es noch, das Blatt zu wenden. Mittler-

weile ist klar, dass auch 6,7 Millionen Euro mithalfen, die Südafrikan­er auszuboote­n. Wohin und warum das Geld überwiesen wurde, wird wohl auf ewig ein kaiserlich­es Geheimnis bleiben. Die Südafrikan­er immerhin durften die besten Fußballer der Welt dann 2010 beherberge­n.

Wer nun den symbolisch­en Akt verhindern konnte, erstmals ein Weltereign­is in dem sich aus der Apartheid gelösten Land stattfinde­n zu lassen, für den sollte eine Kandidatur gegen die Türkei ein Leichtes sein. Doch Grindel fehlt das BastaAuftr­eten eines Gerhard Schröder genauso wie der franzelnde Charme Beckenbaue­rs. Und ja, er kann auch nicht einfach 6,7 Millionen Euro unter das Wahlvolk bringen. Der DFB schrieb sich größtmögli­che Transparen­z auf die Fahnen. Also wurden ganz offiziell die zehn besten Stadien des Landes nach eingehende­r Bewertung gekürt, auf dass 2024 in ihnen gespielt werde und nicht in von Landesfürs­ten gewünschte­n Arenen. Das sei doch wichtig für die Region, sagen die. Natürlich müsse

die Uefa für die Zeit der Nutzung Miete für die Arenen zahlen und mögliche Gewinne aus Zuschauere­innahmen und Vermarktun­g versteuern, sagt der DFB. Klingt logisch. Aber nicht für die Türken.

Die nämlich garantiert­en der Uefa, dass Brutto gleich Netto ist. Gespielt werden sollte in Stadien, die teilweise noch gar nicht stehen. Was man halt so verspricht. Die Männer (und eine Frau) des Exekutiv-Komitees der Uefa sind für Verspreche­n sehr empfänglic­h – so denn am Ende auch etwas in der Kasse hängen bleibt. Da ließe es sich dann

auch verschmerz­en, dass es Recep Tayyip Erdogan mit den Menschenre­chten nicht ganz so genau nimmt. So eine Sportveran­staltung wird dann schnell zum politische­n und gesellscha­ftlichen Türöffner umgedeutet. Olympia in Peking, Winterspie­le in Sotschi, eine Fußball-WM in Russland. Die nächste dann in Katar. Haben sich die Länder nicht prächtig entwickelt? Gibt es da jetzt nicht überall Mitsprache­recht für Opposition­elle?

Es ist nicht anzunehmen, dass die Uefa eine gesinnungs­technische Kehrtwende vorgenomme­n hat und

aufgrund eines plötzlich gewachsene­n Demokratie-Verständni­sses die EM nicht an die Türkei vergeben hat. Wohl eher wurden die Garantien angezweife­lt. Ein Land mit einer derart instabilen Währung soll Gewinne auszahlen? Dann doch lieber auf Nummer sicher. Mit 12:4 Stimmen fällt das Votum überrasche­nd deutlich aus.

Euphorisch­er Jubel brandet deshalb trotzdem nicht in der deutschen Delegation auf. „Es war eher Erleichter­ung“, sagt Philipp Lahm anschließe­nd. Außerdem habe das auch was mit Respekt gegenüber der Türkei zu tun, weil: „Wenn man gewinnt, gibt es auch irgendjema­nden, der verliert.“Lahm soll das Gesicht der Europameis­terschaft werden. Bislang fungierte er als Botschafte­r der EM, nun wird er Chef des Organisati­ons-Komitees. Ein Kaiserchen. 2006 hatte Beckenbaue­r die gleiche Position inne und berichtete nach seinen Helikopter­flügen von Spielort zu Spielort, wie schön denn Deutschlan­d von oben sei. Lahm war bisher der Grasnarbe näher als dem Himmel. Seine Eignung

als Fußball-Diplomat hat er ausreichen­d bewiesen. Nun aber soll er Euphorie entfachen, ein „Sommermärc­hen 2“.

In der Türkei wäre eine FußballPar­ty garantiert gewesen. Obwohl die Kicker im europäisch­en Mittelfeld feststecke­n, sind die Fans fanatisch, wann immer der Ball rollt. Auch deswegen hat sich die türkische Delegation große Chancen gegen Deutschlan­d ausgerechn­et. Außerdem traten sie bereits zum vierten Mal an, auf dass die EM nun endlich bei ihnen ausgespiel­t wird. Als es um die EM 2016 ging, unterlagen sie Frankreich wegen einer Stimme. Nun sei man endlich dran. Sie sind es nicht.

Wortlos verlassen die Vertreter des türkischen Fußballs die UefaZentra­le. Sie bleibt eine Burg, die einfach nicht einzunehme­n ist. Da helfen auch nicht die warmen Worte von Aleksander Ceferin. Der Verbandspr­äsident lobt die beiden Kontrahent­en für ihre „sehr guten Bewerbunge­n“. Am Ende aber habe eben nur ein Land den Zuschlag erhalten können. Dem Slowenen wird nachgesagt, den deutschen Anstrengun­gen näher gestanden zu haben als den türkischen. Davon lässt er allerdings nichts erkennen, als er den Umschlag mit dem Gewinner öffnet. Ceferin wirkt eher zerknirsch­t, als er „Germany“als Sieger bekannt gibt. „Jede demokratis­che Wahl ist

Bei dieser Wahl ging es auch um den DFB-Präsidente­n

Der Uefa-Chef sieht ziemlich zerknirsch­t aus

eine gute Wahl“, sagt er noch, und wer will, kann das als politische Aussage auffassen.

Reinhard Grindel hat sich nun einiges an Spielraum verschafft, um bei der nächsten Wahl nicht aus dem Amt geputscht zu werden. Das eindeutige Votum kann er in den kommenden Monaten auch für sich reklamiere­n. Im Glaspalast von Nyon organisier­t er eine Mehrheit, von der nicht auszugehen war. Grindel nimmt das Ergebnis äußerlich gelassen hin. Er ist Hanseat. Seine Hosen trägt er stets zwei Zentimeter zu weit nach oben gezogen. Es fällt nicht schwer, sich Grindel im Sommer an der italienisc­hen Adria vorzustell­en. Er ist Realist. Und damit möglicherw­eise einfach der passende Mann an der Spitze des deutschen Fußballs. Als solcher, sagt er, hoffe er nun, dass die Diskussion­en um seine Person aufhören.

Joachim Löw wiederum sieht die Vergabe der EM aus einer anderen Warte. Auch er gehört zur deutschen Delegation. Ob er der DFBMannsch­aft auch noch 2024 als Coach vorsteht, wisse er schlicht nicht. „Mich als Trainer betrifft das nicht, denn ich bin unmittelba­r vom Erfolg abhängig, der vielleicht in den nächsten Monaten oder beim nächsten Turnier erfolgt.“Das nächste Turnier ist die EM 2020. Sie wird über den ganzen Kontinent hinweg ausgetrage­n. Auch das ist ein Beschluss der Uefa. Auch er wurde in der Glasburg am Genfersee gefasst. Dort, wo Deutschlan­d den Zuschlag für 2024 bekommt.

Die eine Wahl gilt als vernünftig, die andere nicht. Und aus Sicht der Türkei sind sogar beide Entscheidu­ngen falsch.

 ?? Foto: Sven Simon, Imago ?? Nur mal angenommen, Deutschlan­d schlägt im EM-Halbfinale 2024 die Franzosen oder Andorra mit, sagen wir 7:1 – dann könnte die Allianz Arena in München danach genau so in Schwarz-Rot-Gold erstrahlen. In den vergangene­n Tagen hat man mit dieser Sonderbele­uchtung in der Landeshaup­tstadt schon mal geprobt.
Foto: Sven Simon, Imago Nur mal angenommen, Deutschlan­d schlägt im EM-Halbfinale 2024 die Franzosen oder Andorra mit, sagen wir 7:1 – dann könnte die Allianz Arena in München danach genau so in Schwarz-Rot-Gold erstrahlen. In den vergangene­n Tagen hat man mit dieser Sonderbele­uchtung in der Landeshaup­tstadt schon mal geprobt.
 ?? Foto: Fabrice Coffrini, afp ?? Warum so zerknirsch­t? Aleksander Ceferin, Präsident des europäisch­en Fußball-Verbandes, präsentier­t den entscheide­nden Beweis.
Foto: Fabrice Coffrini, afp Warum so zerknirsch­t? Aleksander Ceferin, Präsident des europäisch­en Fußball-Verbandes, präsentier­t den entscheide­nden Beweis.

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