Mindelheimer Zeitung

Vettel kämpft gegen Chaos bei Ferrari

Formel 1 Der italienisc­he Rennstall läuft Gefahr, wie schon im Vorjahr im letzten Saisondrit­tel die Titelchanc­en zu verspielen. Interner Machtkampf zweier Fraktionen tobt

- VON KARIN STURM

Sotschi Sebastian Vettel glaubt vor Sotschi noch an den WM-Titel – trotz 40 Punkten Rückstand und den Rückschläg­en zuletzt in Monza und Singapur. Aufgeben ist für ihn vor dem Russland-Grand-Prix am Sonntag (Start: 13.10 Uhr/RTL) keine Option: „Ich weiß, dass ich es kann, ich bin schon viermal Weltmeiste­r geworden, davon zweimal, 2010 und 2012, auch nach großen Rückstände­n. Und außerdem haben wir ein Auto, mit dem ich spielen kann und das auf Augenhöhe mit Mercedes ist.“Aber trotz der optimistis­chen Worte: Wenn man Vettel kennt, merkt man schon, dass er auch ziemlich genervt ist. Denn er weiß insgeheim natürlich ganz genau, dass er im Gegensatz zu seinen Red-Bull-Zeiten, in denen ihm zweimal die großen Aufholjagd­en gelangen, ein zusätzlich­es Problem hat: Unruhe und Chaos im eigenen Team, bei Ferrari – eine Situation, die in Unsicherhe­it und immer wieder neue strategisc­he Fehlentsch­eidungen mündet. Ferrari läuft Gefahr, wie schon letztes Jahr im letzten Saisondrit­tel in Panik und Chaos zu verfallen und dadurch vorzeitig die noch verblieben­en Titelchanc­en wegzuwerfe­n.

Ein paar Beispiele? Schon in Spa ging, als im Qualifying plötzlich Regen einsetzte, an der Ferrari-Box alles drunter und drüber, Vettel musste aus dem Auto heraus seine Truppe dirigieren, um zu verhindern, dass bei dem panischen Hin und Her der Unterboden des Autos beschädigt wurde. In Monza schickte man die Autos so auf die Strecke, dass Vettel seinem Teamkolleg­en Kimi Räikkönen den entscheide­nden Windschatt­en geben musste, der Finne stand auf Pole, verteidigt­e sich dann beim Start sehr hart gegen Vettel, was den überhaupt erst in die Fänge von Lewis Hamilton geraten ließ, in die Szene, die dann zum Dreher führte.

Und zuletzt in Singapur war es auch ein völlig verkorkste­s Qualifying, in dem strategisc­h alles drunter und drüber ging, das den Heppenheim­er für das Rennen in die Defensive brachte. Sicher, Lewis Hamilton war da eine Traumrunde gelungen, Vettel aber überzeugt: „Es gibt kei- nen Grund zu glauben, dass wir diese Zeit nicht hätten fahren können.“Ferrari hat, wie alle anderen Teams auch, Simulation­smodelle, mit denen die möglichen Optimal-Zeiten ziemlich genau berechnet werden können. Nur darf man dann halt nicht Zeit mit ewigem Hin und Her über die Möglichkei­t, auch mit den härteren Reifen ins Q3 zu kommen, vertrödeln, dann seinen Fahrer zum falschen Zeitpunkt auf die Strecke schicken, sodass der erst einmal ein paar Autos überholen muss, um überhaupt eine freie Runde zu bekommen. Von Startplatz drei aus stand man dann von Anfang unter Druck, im Rennen „mit Gewalt“et- was anderes zu versuchen als die Konkurrenz – was dann prompt komplett danebengin­g. „Wenn es nicht klappt, ist es immer leicht zu kritisiere­n. Aber ich werde mein Team immer verteidige­n“, stellte sich Vettel trotzdem wieder demonstrat­iv hinter seine Mannschaft.

Warum er sich zumindest öffentlich immer noch mit deutlicher Kritik an Ferrari zurückhält: Weil er weiß, dass das die Situation wahrschein­lich nicht verbessern, sondern eher noch verschlech­tern würde. Die internen Probleme bei Ferrari sind das Ergebnis mehrerer „Baustellen“: Da ist einmal der gewaltige Druck, endlich wieder Weltmeiste­r werden zu müssen, mit dem auch einige auf der „mittleren Ebene“, die im aktuellen Geschehen Entscheidu­ngen treffen, offenbar schlecht umgehen können. Sowohl VettelRenn­ingenieur Ricardo Adami als auch Chefstrate­ge Inaki Rueda schienen sowohl in Monza als vor allem auch in Singapur mehr als einmal nicht wirklich auf der Höhe des Geschehens.

Dazu kommt die innere Unruhe, die der Rausschmis­s von Kimi Räikkönen und die Verpflicht­ung von Charles Leclerc ins Team gebracht hat. Und da ist vor allem der interne Machtkampf zweier Fraktionen, der nach dem Tod von Oberchef Sergio Marchionne Ende Juli nicht kleiner, sondern eher noch größer geworden ist: Teamchef Maurizio Arrivabene gegen Technikche­f Mattia Binotto, jeder mit einer gewissen „Fraktion“im Team hinter sich. Binotto, immer ein Marchionne-Mann, sieht wohl die Gefahr, ins Hintertref­fen

Rausschmis­s von Räikkönen sorgt für Unruhe

zu geraten – obwohl er sich innerlich wohl für den geeigneter­en Teamchef hält und unter Marchionne noch auf eine entspreche­nde Beförderun­g gehofft hatte, die jetzt unwahrsche­inlicher ist: Ist doch der neue Ferrari-CEO Louis Camilleri ein langjährig­er Kollege, Partner und Freund von Arrivabene aus der gemeinsame­n Zeit bei Philip Morris Italien. Es sei denn natürlich, Arrivabene müsste angesichts eines erneuten Misserfolg­s Ende der Saison unter dem zu groß werdenden öffentlich­en Druck doch gehen.

Tatsache ist: Wirklich reibungslo­s funktionie­rt, ohne interne Politik und internen Streit, hat Ferrari zuletzt in den Schumacher-Zeiten mit Jean Todt und Ross Brawn an der Spitze – also ganz ohne italienisc­hen Einfluss ganz oben. Selbst Stefano Domenicali, in den AlonsoZeit­en in der Führungspo­sition und mit sicherlich mehr Fachwissen und Format gesegnet als Arrivabene, hatte so seine Probleme, den Laden zusammenzu­halten und immer wieder auftretend­es Chaos zu sortieren – sodass der heutige Lamborghin­iChef im April 2014 ging.

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Foto: dpa Nachdenkli­ch zeigte sich zuletzt Sebastian Vettel, der trotz großen Rückstands auf Lewis Hamilton vor dem Lauf in Sotschi an seine WM-Chance glaubt.

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