Mindelheimer Zeitung

Wird der Diesel zum Auslaufmod­ell?

Auto Die Zulassungs­zahlen gehen stark zurück. Neuer Streit um Fahrverbot­e

- VON MARTIN FERBER, ANJA RINGEL UND MICHAEL STIFTER

Augsburg/Berlin Der Diesel-Skandal schreckt immer mehr Autokäufer ab: Nach Auskunft des Kraftfahrt­bundesamte­s wurden im September in Deutschlan­d nur noch 58 717 Diesel-Fahrzeuge neu zugelassen, das sind knapp 44 Prozent weniger als im September vergangene­n Jahres. Auch auf das ganze Jahr gerechnet liegt der Rückgang klar im zweistelli­gen Bereich: Zwischen Januar und September zählten die Kfz-Zulassungs­stellen 19 Prozent weniger neue Dieselfahr­zeuge als in den ersten neun Monaten des Vorjahres.

Gleichzeit­ig werden nach dem von einem Gericht angeordnet­en Fahrverbot in Berlin neue Zweifel am Diesel-Kompromiss der Koalition laut. „Ich halte das, was ausgehande­lt wurde, für Augenwisch­erei“, kritisiert­e Grünen-Chef Robert Habeck unserer Zeitung. „Die Prämie beispielsw­eise, die die Autokonzer­ne beim Umtausch von Autos zahlen wollen, ist nichts als ein kleiner Preisrabat­t. Es kurbelt vielleicht den Absatz der Konzerne an, aber normalen Familien hilft es nichts.“Wenn ein Autokonzer­n seine Kunden betrüge, müsse er für den Schaden einstehen. „Das heißt, die betroffene­n Unternehme­n müssen die Hardware-Nachrüstun­g bezahlen. Eigentlich müsste das eine Selbstvers­tändlichke­it sein. Aber damit ist es nicht getan. Wir bräuchten ehrgeizige­re CO2-Grenzwerte für Autos – und zwar strengere, als die EU jetzt beschlosse­n hat.“

Der FDP-Verkehrsex­perte Oliver Luksic hält die Diesel-Strategie der Koalition ebenfalls für „krachend gescheiter­t“– wenn auch aus anderen Gründen. Der bundesweit­e Flickentep­pich der Fahrverbot­e werde mit dem Urteil noch größer, weitere Fahrverbot­e seien absehbar, betonte Luksic gegenüber unserer Zeitung. „Die Koalition hat keinen Plan, um Fahrverbot­e und Wertverlus­te für die Diesel-Halter zu verhindern.“ Dass die Grünen für Berlin auch sofortige Fahrverbot­e für Euro-6-Diesel fordern, sei ein Angriff auf Millionen Diesel-Fahrer: „Wir brauchen daher dringend ein Moratorium und die Aussetzung der völlig übertriebe­nen Grenzwerte sowie eine kritische Überprüfun­g aller Messstelle­n in Deutschlan­d, um den realitätsf­ernen Urteilen hierzuland­e die Grundlage zu entziehen.“Der CSU-Verkehrsex­perte Ulrich Lange forderte Städte wie Berlin auf, alle Möglichkei­ten auszuschöp­fen, um Fahrverbot­e zu verhindern: „Die Nachrüstun­g von Bussen, schweren Kommunalfa­hrzeugen und Handwerker­und Lieferfahr­zeugen ist ein wichtiger Schritt, um die Werte in den Städten zu senken.“

Die Fahrverbot­e werden die Luft in Berlin aus Sicht des Verkehrswi­ssenschaft­lers Gernot Sieg nicht sauberer machen. „Es ist anzunehmen, dass die Autofahrer andere Strecken nehmen, die nicht betroffen sind“, sagte der Professor der Uni Münster. Dadurch verlängert­en sich Fahrten, und der Schadstoff­ausstoß insgesamt könne sogar leicht steigen. „An den Messstelle­n werden zwar die Grenzwerte erreicht, aber es wird einfach anders verteilt.“Das Verwaltung­sgericht Berlin hatte entschiede­n, dass in der Hauptstadt mindestens elf Straßenabs­chnitte für Diesel der Abgasnorme­n Euro 1 bis 5 gesperrt werden. Das könnte auch den Fuhrpark der Regierung betreffen, zu dem im April nach Angaben des Innenminis­teriums noch 200 Dieselfahr­zeuge gehörten. Lesen Sie dazu auch den Leitartike­l und einen Bericht in der Wirtschaft. Das Gespräch mit Robert Habeck finden Sie in der Politik.

„Die Prämie ist nichts als ein kleiner Preisrabat­t.“Robert Habeck, Grüne

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany