Wird der Diesel zum Auslaufmodell?
Auto Die Zulassungszahlen gehen stark zurück. Neuer Streit um Fahrverbote
Augsburg/Berlin Der Diesel-Skandal schreckt immer mehr Autokäufer ab: Nach Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes wurden im September in Deutschland nur noch 58 717 Diesel-Fahrzeuge neu zugelassen, das sind knapp 44 Prozent weniger als im September vergangenen Jahres. Auch auf das ganze Jahr gerechnet liegt der Rückgang klar im zweistelligen Bereich: Zwischen Januar und September zählten die Kfz-Zulassungsstellen 19 Prozent weniger neue Dieselfahrzeuge als in den ersten neun Monaten des Vorjahres.
Gleichzeitig werden nach dem von einem Gericht angeordneten Fahrverbot in Berlin neue Zweifel am Diesel-Kompromiss der Koalition laut. „Ich halte das, was ausgehandelt wurde, für Augenwischerei“, kritisierte Grünen-Chef Robert Habeck unserer Zeitung. „Die Prämie beispielsweise, die die Autokonzerne beim Umtausch von Autos zahlen wollen, ist nichts als ein kleiner Preisrabatt. Es kurbelt vielleicht den Absatz der Konzerne an, aber normalen Familien hilft es nichts.“Wenn ein Autokonzern seine Kunden betrüge, müsse er für den Schaden einstehen. „Das heißt, die betroffenen Unternehmen müssen die Hardware-Nachrüstung bezahlen. Eigentlich müsste das eine Selbstverständlichkeit sein. Aber damit ist es nicht getan. Wir bräuchten ehrgeizigere CO2-Grenzwerte für Autos – und zwar strengere, als die EU jetzt beschlossen hat.“
Der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic hält die Diesel-Strategie der Koalition ebenfalls für „krachend gescheitert“– wenn auch aus anderen Gründen. Der bundesweite Flickenteppich der Fahrverbote werde mit dem Urteil noch größer, weitere Fahrverbote seien absehbar, betonte Luksic gegenüber unserer Zeitung. „Die Koalition hat keinen Plan, um Fahrverbote und Wertverluste für die Diesel-Halter zu verhindern.“ Dass die Grünen für Berlin auch sofortige Fahrverbote für Euro-6-Diesel fordern, sei ein Angriff auf Millionen Diesel-Fahrer: „Wir brauchen daher dringend ein Moratorium und die Aussetzung der völlig übertriebenen Grenzwerte sowie eine kritische Überprüfung aller Messstellen in Deutschland, um den realitätsfernen Urteilen hierzulande die Grundlage zu entziehen.“Der CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange forderte Städte wie Berlin auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Fahrverbote zu verhindern: „Die Nachrüstung von Bussen, schweren Kommunalfahrzeugen und Handwerkerund Lieferfahrzeugen ist ein wichtiger Schritt, um die Werte in den Städten zu senken.“
Die Fahrverbote werden die Luft in Berlin aus Sicht des Verkehrswissenschaftlers Gernot Sieg nicht sauberer machen. „Es ist anzunehmen, dass die Autofahrer andere Strecken nehmen, die nicht betroffen sind“, sagte der Professor der Uni Münster. Dadurch verlängerten sich Fahrten, und der Schadstoffausstoß insgesamt könne sogar leicht steigen. „An den Messstellen werden zwar die Grenzwerte erreicht, aber es wird einfach anders verteilt.“Das Verwaltungsgericht Berlin hatte entschieden, dass in der Hauptstadt mindestens elf Straßenabschnitte für Diesel der Abgasnormen Euro 1 bis 5 gesperrt werden. Das könnte auch den Fuhrpark der Regierung betreffen, zu dem im April nach Angaben des Innenministeriums noch 200 Dieselfahrzeuge gehörten. Lesen Sie dazu auch den Leitartikel und einen Bericht in der Wirtschaft. Das Gespräch mit Robert Habeck finden Sie in der Politik.
„Die Prämie ist nichts als ein kleiner Preisrabatt.“Robert Habeck, Grüne