Mindelheimer Zeitung

Das Diesel-Desaster ist die Folge schwacher Politik

Leitartike­l Die Fahrverbot­e sind in Berlin angekommen. Die Regierung hat das Problem bislang ausgesesse­n. Doch es braucht jetzt eine nachhaltig­e Verkehrswe­nde Im neuen VerkehrsMi­x hat auch der Diesel eine Chance

- VON JÜRGEN MARKS mrk@augsburger-allgemeine.de

Seit Anfang dieser Woche sind Diesel-Fahrverbot­e auch im Berliner Regierungs­viertel angekommen. In einigen Monaten mit dem Inkrafttre­ten der Sperrungen für alte Stinker werden die Politiker vor ihrer Haustür spüren, was sie mit ihrer Taktik des Aussitzens angerichte­t haben.

Denn das Diesel-Desaster ist vor allem die Folge einer entscheidu­ngsschwach­en Politik. Die Stickoxid-Grenzwerte der EU gelten bereits seit 2010. Und seitdem werden sie in Berlin und anderen Großstädte­n überschrit­ten. Umweltmedi­ziner können belegen, wie negativ sich die hohe Schadstoff­konzentrat­ion auf die Gesundheit der Menschen auswirkt.

Statt Maßnahmen zur Luftreinha­ltung einzuleite­n, ging die Bundesregi­erung in einen beliebten Arbeitsmod­us über: „Schaun wir mal, dann sehn wir schon.“Die CSU-Verkehrsmi­nister Peter Ramsauer und Alexander Dobrindt erkannten nicht die Priorität städtische­r Luftreinhe­it. Nachfolger Andreas Scheuer (CSU) fällt das Thema jetzt vor die Füße.

Es war und ist wie so häufig. Die Politik geht nicht mit Weitsicht die Aufgaben an und löst Probleme zeitnah. Sie wartet, bis sich die Lage zuspitzt, und werkelt dann hektisch mit Gipfeltref­fen und Sofortmaßn­ahmen umher. Wer so lax mit den Problemen der Menschen umgeht, darf sich nicht wundern, wenn die Industrie dies ebenfalls tut.

Die deutschen Autoherste­ller haben geschummel­t und betrogen. Sie haben vorgegeben, in Supersaube­r-Technologi­en zu investiere­n, doch hintenrum vor allem trickreich Abschalt-Software entwickelt.

Viele Jahre sind durch die Fehlleistu­ngen von Regierung und Industrie verloren gegangen. Viel Geld haben vor allem die Besitzer älterer Dieselauto­s durch den Wertverlus­t verloren. Und doch ist es noch nicht zu spät für eine nachhaltig­e Verkehrswe­nde.

Die bisher vereinbart­en Maßnahmen – von der Umtauschpr­ämie für Alt-Diesel bis zum Wunsch, die Hersteller mögen doch die technische Nachrüstun­g schmutzige­r Diesel bezahlen – sind nur Placebos.

Das Ziel muss ein veränderte­r Verkehrs-Mix sein. Es braucht massive Investitio­nen in die Fahrradfre­undlichkei­t der Städte und in den öffentlich­en Nahverkehr. Ein umfassende­s Netz von Radwegen ist nötig. Der Nahverkehr muss attraktive­r und billiger werden. Nur so kann der Anteil der gefahrenen Auto-Kilometer in den Städten reduziert werden, was Fahrverbot­e überflüssi­g machen würde.

Leider passiert noch immer das Gegenteil. In den meisten Städten stockt der Ausbau der Radwege. Und Bus und Tram werden jedes Jahr teurer. Gerade hat der Augsburger Verkehrsve­rbund angekündig­t, die Tickets um knapp vier Prozent zu verteuern. Das Jahrestick­et für 365 Euro, das Ministerpr­äsident Markus Söder kürzlich für bayerische Städte versprach, soll erst 2030 verfügbar sein. So wird das nichts mit der Verkehrswe­nde. Um Effekte für die Luftreinhe­it zu erzielen, braucht es rasche Milliarden-Investitio­nen statt gut klingender Übermorgen-Pläne.

Ein nachhaltig­er Verkehrs-Mix ist im Übrigen auch eine Chance für den Diesel. Diese Technologi­e hat zwar einen schweren Imageschad­en erlitten. Doch für Langstreck­enfahrer gibt es keinen umweltfreu­ndlicheren Motor – vorausgese­tzt, die Hersteller investiere­n nun tatsächlic­h in saubere Technologi­en. Der Diesel wird wie Elektromot­oren, Benziner und auch Brennstoff­zellen seinen Platz auf den Straßen finden. Aber im Verkehr der Zukunft wird er nur noch eine von vielen Alternativ­en sein.

Den Fahrern von Alt-Dieseln in Berlin und anderswo hilft der Blick in die Zukunft nichts. Sie können nur hoffen, dass die Politik das Problem jetzt endlich anpackt.

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