Die dunkle Seite des Königreichs
Der Fall des verschwundenen Journalisten Khashoggi könnte zur Belastungsprobe zwischen Riad und Washington werden. Wer aber ist der Regimekritiker überhaupt?
Als US-Präsident Donald Trump im Mai 2017 zum Auftakt seiner allerersten Auslandsreise ausgerechnet Saudi-Arabien ansteuerte, zeigte er sich bester Laune. Zwei Tage lang bereitete ihm das Königshaus in Riad einen fulminanten Empfang, wie ihn nur wenige Gäste genießen dürfen. Unter traditionellem Trommeln von Beduinen reihte sich Trump mit hölzernen Bewegungen sogar in einen saudischen Schwerttanz ein, ein verkniffenes Lächeln im Gesicht.
Von dem saudischen Journalisten und Regimekritiker Jamal Khashoggi wird Trump damals noch nie gehört haben. Nun aber wirft dessen mysteriöses Verschwinden im saudischen Konsulat in Istanbul einen dunklen Schatten auf seine Partnerschaft mit Riad, die selten so innig war wie derzeit. Der Fall findet in den USA große Aufmerksamkeit, weil Khashoggi dort im Exil lebte und Artikel in der veröffentlichte.
Jene ist es nun auch, die die saudischen Behörden in Erklärungsnot bringt – und mit ihnen womöglich auch Donald Trump. Demnach wurden in Riad schon vor dem Verschwinden des regimekritischen Journalisten Pläne geschmiedet, den 59-Jährigen gefangen zu nehmen und zu verhören – oder sogar zu töten. Das gehe aus Informationen des US-Geheimdienstes hervor, der die Kommunikation zwischen saudischen Regierungsvertretern ausgespäht habe, berichtete die US-Zeitung. Khashoggi wird seit einer Woche vermisst. Der Saudi betrat das Konsulat seines Heimatlandes in Istanbul vor mehr als einer Woche, kam aber nicht wieder heraus.
Die Zeitung berichtete, wie zuvor schon die türkische Nachrichtenagentur am Morgen des 2. Oktober sei ein 15-köpfiges Team aus der saudischen Hauptstadt Riad mit zwei Privatfliegern nach Istanbul gereist und anschließend zu dem Konsulat gefahren. Am Ende des Tages sei die Männergruppe dann mit verschiedenen Maschinen abgereist, die auf Umwegen nach Riad zurückgeflogen seien, wie auch Flugaufzeichnungen bestätigten.
Die USA und Saudi-Arabien, das ist seit Trump wieder eine enge, geradezu herzliche Beziehung. Da ist nicht nur das Öl, das beide Länder verbindet. Der US-Präsident sieht im Königshaus auch einen Abnehmer von US-Waffen. Saudi-Arabien wiederum findet in Washington einen Garanten seiner Sicherheit. Die unterstützt auch logistisch und geheimdienstlich die Angriffe, die die von Riad geführte internationale Koalition in Jemens Bürgerkrieg fliegt – ungeachtet der Tatsache, dass dabei Zivilisten sterben. So ist auch zu erklären, warum der US-Präsident vergleichsweise milde auf das Verschwinden Khashoggis reagierte.
Doch der Fall des Journalisten offenbart die dunkle Seite des saudischen Königreiches, das einen bisher kaum gekannten gesellschaftlichen Wandlungsprozess durchläuft. Mohammed bin Salman, kurz MbS genannt, gilt als treibende Kraft von Reformen, die die junge Generation des islamisch-konservativen Landes einfordert. Er will den Einfluss der Kleriker begrenzen, die vom Öl abhängige Wirtschaft umbauen und das Reich zumindest gesellschaftlich liberalisieren. So dürfen Frauen endlich Auto fahren, auch Kinos und Konzerte sind nun gestattet.
Mit Kritikern aber kennt MbS keine Gnade, die Meinungsfreiheit wird rücksichtslos unterdrückt. Vor fast einem Jahr ließ er dutzende Prinzen über Wochen im Hotel Ritz-Carlton in Riad festhalten. Offiziell wurde ihnen Korruption vorgeworfen. Tatsächlich sahen BeobUS-Armee achter darin eine Maßnahme des Kronprinzen, potenzielle Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Eine nächste Verhaftungswelle folgte im Mai. Kurz vor dem Ende des Frauenfahrverbots ließ Riad mehrere Menschenrechtsaktivisten unter dubiosen Vorwürfen festnehmen.
Unter dem wachsenden Druck auf Regimekritiker verließ auch Khashoggi das Land. Zu seiner Verwandtschaft zählte der Waffenhändler Adnan Khashoggi. Er selbst gehört zu den bekanntesten Intellektuellen seiner Heimat, ein gefragter Gesprächspartner – auch, weil er die arabische Welt immer wieder zu Selbstkritik aufforderte. „Es ist höchste Zeit, dass wir uns fragen, was schiefgelaufen ist“, sagte er etwa mit Blick auf den Islamischen Staat. „Alle, die von einer ausländischen Verschwörung faseln, verdrängen die Wahrheit und schließen die Augen vor unseren eigenen Fehlern.“Er sei eigentlich ein Unterstützer der Reformen, sagte er im Sommer. Jetzt aber lebe er im Exil, „weil ich nicht im Gefängnis landen will“.
Ins Istanbuler Konsulat begab sich der 59-Jährige, um Papiere für seine Hochzeit zu besorgen. Stundenlang wartete seine türkische Verlobte Hatice Cengiz vor dem Gebäude. Vergeblich. Schließlich rief sie einen Berater des türkischen Präsidenten an, dessen Nummer ihr Khashoggi für den Notfall gegeben hatte. Cengiz will sich noch nicht mit dem Tod ihres Verlobten abfinden. „Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben“, sagte sie. „Ich muss wissen, was mit ihm passiert ist.“In einem Meinungsbeitrag für die schrieb Cengiz, sie vertraue auf die türkischen Behörden, doch appelliere sie zugleich an „Präsident Trump und First Lady Melania Trump, Licht auf das Verschwinden von Jamal zu werfen“.
Im Fall der ermordeten bulgarischen Journalistin Viktoria Marinowa ist in Deutschland ein Verdächtiger festgenommen worden. Nach Angaben des bulgarischen Generalstaatsanwalts Sotir Zazarow besteht nach derzeitigem Ermittlungsstand kein Zusammenhang zwischen der Tat und der Arbeit der 30-jährigen Journalistin, die über eine mutmaßliche Veruntreuung von EU-Geldern in Millionenhöhe durch Geschäftsleute und Politiker berichtet hatte. Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow beklagte sich über eine Vorverurteilung seines Landes. „Drei Tage lang habe ich monströse Informationen über Bulgarien gelesen, und nichts davon war wahr“, sagte er. Zu Gerüchten über einen angeblichen Auftragsmord betonte er, es sei früh klar gewesen, dass der Mörder DNASpuren hinterlassen habe. Ein Auftragsmörder hinterlasse aber keine Spuren.
Der 1997 geborene Verdächtige wurde in Niedersachsen festgenommen. Er soll bereits wegen Mordes und Vergewaltigung gesucht worden sein. Die Leiche der Journalistin war am Samstag in der nordbulgarischen Stadt Ruse aufgefunden worden. Marinowa war vergewaltigt worden, starb durch Schläge auf den Kopf und Ersticken. Nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“moderierte sie im privaten Lokalsender eine politische Talkshow.
Die bulgarische Staatsanwaltschaft hat mit einem Europäischen Haftbefehl die Auslieferung des Verdächtigen beantragt.