Mindelheimer Zeitung

Alter, neuer Weg nach Fernost

Handel China investiert Milliarden in Straßen, Eisenbahns­trecken, Häfen und Pipelines in Asien, Europa und Afrika. Was hinter dem Infrastruk­tur-Projekt „Neue Seidenstra­ße“steckt und welche Chancen und Herausford­erungen es für deutsche Unternehme­n birgt

- Von Galina Bauer

Wenn überhaupt jemand eine ungefähre Vorstellun­g davon hat, was die Welt kostet, dann ist das wohl der chinesisch­e Staatspräs­ident Xi Jinping. Kein anderes Land investiert so viel Geld in Projekte im Ausland wie die asiatische Großmacht. Erst Anfang September hat Jinping den afrikanisc­hen Staaten beim China-Afrika-Gipfel etwa 50 Milliarden Euro für den Ausbau von Bahnlinien, Häfen und weiteren Infrastruk­tur-Projekten versproche­n. Besonders armen Staaten in Afrika hat der Staatschef kurzerhand einen Teil der Schulden in Milliarden­höhe gestrichen. Eine Finanzspri­tze, die ihresgleic­hen sucht – und alles im Namen der Initiative „Neue Seidenstra­ße“.

2013 rief Jinping das Mega-Projekt ins Leben. Es beschreibt den Ausbau eines Handelsweg­enetzes, das über den Kontinente­n Asien, Afrika und Europa spannt. Ein Netz, das die Chinesen mit jedem investiert­en Euro engmaschig­er ziehen. Geld für das Projekt stammt aus einem undurchsch­aubaren Geflecht aus privaten und staatliche­n Unternehmu­ngen. Darunter Banken und Fonds, die eigens für das riesige Infrastruk­tur-Vorhaben gegründet wurden.

Unter die „Neue Seidenstra­ße“fällt beispielsw­eise der Ausbau der Häfen in Gwadar (Pakistan) und Piräus (Griechenla­nd). Auch die 900 Kilometer lange Bahnstreck­e von Addis Abeba (Äthiopien) nach Dschibuti gehört dazu. Genauso wie ein Gaskraftwe­rk in Myanmar oder eine Ölpipeline, die vom Kaspischen Meer bis nach Westchina führt. Entlang der Routen werden alle möglichen Waren gehandelt, von Automobilu­nd Elektronik­teilen über Lebensmitt­el und Kleidung bis hin zu Rohstoffen wie Erdöl.

„Theoretisc­h kann jedes Land entlang der Route von der Seidenstra­ße profitiere­n“, sagt Jana Lovell von der IHK Schwaben und hebt besonders Länder wie Turkmenist­an und Kasachstan hervor, die im globalen Welthandel bislang eine geringe Rolle gespielt haben. Deutschlan­d ist bereits wichtiger Handelspar­tner. haben sich 8000 deutsche Unternehme­n in China niedergela­ssen, 500 Firmen aus Schwaben haben regelmäßig­e wirtschaft­liche Kontakte nach Fernost. Das heißt, sie haben einen Standort in China, beziehen Waren von dort oder exportiere­n.

Experte Thomas Eder vom Mercator-Institut für China-Studien ist davon überzeugt, dass Jinping das Seidenstra­ßen-Projekt ins Leben gerufen hat, weil er mit seinen Investitio­nen die Welthandel­sordnung verschiebe­n möchte. An der Spitze soll China stehen. Seit Jahren bleibt das Wirtschaft­swachstum der asiatische­n Großmacht auf gleichem Niveau. Jinpings Ziel sei es, sagt Eder, die derzeitige­n 6,6 Prozent Wachstum zumindest zu halten. Das möchte der Staatschef schaffen, indem er für die heimische Industrie neue Märkte erschließt. Neue Bauvorhabe­n kurbeln unter anderem die Stahlprodu­ktion an. Das schafft neue Arbeitsplä­tze. In erster Linie profitiert davon die Baubranche.

Der Experte vom Mercator-Institut sieht noch weitere Entwicklun­gen: Zahlreiche Länder sind bereits wegen Krediten in Milliarden­höhe von China abhängig geworden. Und überall auf dem Globus stehen weitere Staatschef­s Schlange für Investitio­nen. Eder: „Manche Regierunge­n nehmen für einen schnellen, vorzeigbar­en Projekterf­olg zu unbedacht Schulden auf.“In Kirgistan und Tadschikis­tan liegt der Großteil der Auslandssc­hulden bereits in chinesisch­er Hand. Sri Lanka musste den Hafen Hambantona im Austausch für Schuldener­lass für 99 Jahre an China verpachten. Auch Länder in Ostund Südosteuro­pa sehnen sich nach einer Finanzspri­tze.

Wer abhängig ist, ändere auch seine politische Haltung, sagt Eder und verweist auf Griechenla­nd und Ungarn: „Als es darum ging, gemeinsame EU-Positionen zur Menschenre­chtslage in China zu formuliere­n, zeigten sich beide Länder prochinesi­sch.“Der Hintergrun­d: Ein chineInsge­samt sischer Reederei-Konzern hat Großteile des Hafens in Piräus für 40 Jahre gepachtet. In Ungarn und Serbien bauen chinesisch­e Arbeiter gerade an der Bahnstreck­e Budapest–Belgrad.

„Die EU schaut skeptisch auf die Entwicklun­gen“, sagt der Experte. Nicht nur die Verschuldu­ng von Staaten sei Thema. Auch der Verstoß gegen Wettbewerb­srecht habe mehrfach zur Debatte gestanden. Für die Eisenbahns­trecke Budapest–Belgrad habe es beispielsw­eise keine Ausschreib­ung gegeben, was eine EUUntersuc­hung nach sich zog. Eine amerikanis­che Studie belegt, dass 90 Prozent aller Bauaufträg­e an chinesisch­e Firmen gehen. Eder sagt: „Es ist kein Zufall, dass die Seidenstra­ßenProjekt­e überwiegen­d in Ländern außerhalb der EU liegen.“In Deutschlan­d sieht der China-Experte große Unternehme­n im Nachteil, die bei fairem Wettbewerb große Bauprojekt­e leiten könnten. Es gibt aber auch Gewinner. Das sind Firmen in Nischenber­eichen, die der chinesisch­en Konkurrenz technologi­sch voraus sind – das ist bei der Herstellun­g von Kraftwerks-Turbinen der Fall. Zur Initiative gehört nämlich auch die Finanzieru­ng von Staudämmen und Kraftwerke­n.

Hierzuland­e werden keine Projekte verwirklic­ht. Dafür gibt es bereits ein dicht ausgebaute­s Schienenne­tz, wovon die Logistikbr­anche profitiert. 10000 Kilometer liegen zwischen Duisburg, Europas größten Binnenhafe­n, und Chongqing in China. 16 Tage benötigt ein Zug für die Distanz, ein Frachtschi­ff doppelt so lang. Zahlen der Deutschen Bahn belegen, dass in dem Schienen-Geschäft Potenzial liegt. 2009 transporti­erte das Verkehrsun­ternehmen 900 Container zwischen Europa und Fernost. 2017 stieg die Zahl auf 83 000 Container an, wobei der größere Teil aus China kam. Ein Sprecher von DB Cargo sagt: „Unser Ziel ist es, dass bis 2020 100 000 Container transporti­ert werden.“Auch Dachser mit Sitz in Kempten sieht das Geschäft mit dem Schienengü­terverkehr. Lange Zeit wickelte das Unternehme­n seine China-Geschäfte nur per See- und Luftfracht ab. Seit kurzem werden Schienentr­ansporte angeboten. Ein Firmenspre­cher sagt: „Viele Kunden setzen auf die alternativ­e Transportm­öglichkeit. Die Anfragen haben sich seit Februar verdoppelt.“Dachser organisier­t nun wöchentlic­h drei Transporte aus China – Tendenz steigend.

Bleibt die Frage, woher China das Geld für die Seidenstra­ße nimmt. Je nach Quelle schwanken die Investitio­nssummen zwischen 900 Milliarden und acht Billionen Euro. Damit ist Eder nicht einverstan­den: „Man darf nicht alles für bare Münze nehmen, viele Pläne bleiben vage. Außerdem war sehr viel Infrastruk­tur schon vor der neuen Seidenstra­ße da und wurde einfach als Teil davon vermarktet.“Andere Straßen und Häfen seien bereits im Bau gewesen, als das Projekt ausgerufen wurde. Diese seien nachträgli­ch umgedeutet worden. Einige Bauprojekt­e wurden aber tatsächlic­h nach 2013 realisiert.

Das Mercator-Institut kommt auf eine realistisc­he Kredit- und Investitio­nssumme von etwa 125 Milliarden Euro. Wobei bislang Bauvorhabe­n in Höhe von 25 Milliarden Euro fertiggest­ellt wurden. Der Rest entfällt auf im Bau befindlich­e Projekte. Bloße Pläne will Eder nicht einrechnen, spricht von einem PR-Coup und erklärt: „Die romantisch­e Vorstellun­g von Kamelkaraw­anen soll andere Länder von Investitio­nsinitiati­ven überzeugen.“Quasi als eine Art Lockmittel für mögliche Geldgeber.

Viele Projektvor­schläge und versproche­ne Milliarden seien laut Eder nämlich „Lippenbeke­nntnisse“und „nicht seriös“. Nur ein Teil wird wirklich gebaut. Den jüngsten Deal mit Afrika sieht der Experte sehr kritisch: Wie bei so vielen großen Investitio­ns-Ankündigun­gen wisse man nicht, wann das Geld fließen soll und wofür es verwendet wird. Eder: „China erkennt mittlerwei­le GeldGrenze­n an. Intern laufen nun Debatten über zukünftige Ausgaben.“

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