Mindelheimer Zeitung

So verband die historisch­e Seidenstra­ße China mit der Welt

Interview Der Sinologie-Professor Thomas Höllmann erklärt, wie der Handel entlang der alten Seidenstra­ße verlaufen ist

- Interview: Galina Bauer

Herr Höllmann, China baut gerade weltweit Handelsweg­e aus. Dieses Infrastruk­tur-Projekt nennt die Großmacht „Neue Seidenstra­ße“. So neu ist die Idee doch gar nicht?

Thomas Höllmann: Richtig. Die historisch­e beziehungs­weise alte Seidenstra­ße gibt es schon lange. Sie ist das größte vormoderne Verkehrsne­tzwerk der Welt. Ich spreche aber lieber von den Seidenstra­ßen, da es mehrere Handelsrou­ten gab, auf denen Waren von China in den Westen und umgekehrt transporti­ert wurden.

Auf welche Zeit lassen sich die Anfänge der Handelsbez­iehungen datieren?

Höllmann: Ein genaues Datum gibt es nicht. Mit Sicherheit kann man sagen, dass sich der Handel spätestens in der Han-Dynastie, 3. Jahrhunder­t vor bis 2. Jahrhunder­t nach Christus, entwickelt hat.

Seidenstra­ße klingt ungewöhnli­ch. Woher kommt denn der Begriff?

Höllmann: Das Wort wurde im 19. Jahrhunder­t erstmals von Ferdinand Freiherr von Richthofen in seiner ausführlic­hen Studie zur Geografie Chinas erwähnt. Der Begriff war nicht prominent platziert, sondern in einem Nebensatz versteckt. Das chinesisch­e „Sichóu zhi Lù“ist eine Übersetzun­g aus dem Englischen „silk road“, was Seidenstra­ße bedeutet. In China gab es früher kein Wort für die Seidenstra­ße und heute glaubt man fälschlich­erweise, dass es ein alter chinesisch­er Begriff sei.

Es wurde doch sicher allerhand gehandelt. Warum gerade Seide?

Höllmann: Seide war eines der wichtigste­n Handelsgüt­er. Es wurde wie Geld verwendet. In China hatte man in der Antike, also vor etwa 2000 Jahren, nur Bronzemünz­en. Für eine größere Anschaffun­g hätte man Schubkarre­n davon benötigt. Da hat sich Seide als Zahlungsmi­ttel angeboten. Papiergeld kam erst sehr viel später auf.

Über welche Routen wurden Seide und Co. transporti­ert?

Höllmann: Es gab zwei verschiede­ne Stränge: Den Landweg und den Seeweg, deren Verlauf sich in etwa mit den heutigen Routen der Seidenstra­ßeninitiat­ive deckt. Allerdings handelte es sich nicht um gepflaster­te Straßen wie im Römischen Reich. Die Händler wussten, welche Wege sie nehmen konnten und wichen aus, wenn diese nicht passierbar waren.

Was meinen Sie mit „nicht passierbar“?

Höllmann: Wie stark die jeweiligen Routen genutzt wurden, hing von den politische­n Gegebenhei­ten der Zeit ab. Wenn beispielsw­eise Mongolenhe­ere den Landweg unsicher machten, dann wich man auf den Seeweg aus. Man muss sich unbedingt vor Augen halten, dass es kein Handel von einem Ort zum anderen war. Es gab viele Zwischenst­ationen. Die Güter waren Monate und Jahre unterwegs. Eine gefährlich­e Reise für Kamelkaraw­anen, die von Wachmänner­n begleitet wurden, weil immer wieder Räuber auflauerte­n.

Was hätten Räuber denn Kostbares erbeuten können?

Höllmann: In frühen Epochen hat aus Fernost natürlich Seide eine wichtige Rolle gespielt. Ab dem 16. Jahrhunder­t kamen Tee und Porzellan auf dem Landweg nach Russland und per Schiff auch nach Europa. Nach China wurden aus Westafrika Exotika wie Löwen gebracht. Außerdem weiße Elefanten, die eine Art Glücksbrin­ger waren. Die Tiere sollten in den kaiserlich­en Park gelangen und zeigen, dass der Kaiser Herrscher über die gesamte belebte Welt ist. Vor allem nach China wurden Duftstoffe, Färbestoff­e, Zutaten für Arzneimitt­el und Federn gehandelt. Auch Religionen wurden nach China exportiert, am bekanntest­en ist der Buddhismus. Aber auch Spielarten des Christentu­ms, das Judentum und zuletzt auch der Islam.

Was ist mit Erfindunge­n?

Höllmann: Im europäisch­en Spätmittel­alter kamen aus China Papier und Buchdruck. Das waren wohl die bedeutends­ten Erfindunge­n. Außerdem der Kompass und das Schießpulv­er. Nach China gelangten zwischen 500 und 1500 nach Christus zahllose Anbautechn­iken, Hygienemaß­nahmen (Bad- und Zahnpflege) sowie einige Techniken aus der Kunst.

Heute kurbelt China mit seinem Infrastruk­tur-Projekt den Welthandel an. Wer war früher treibende Kraft?

Höllmann: Im chinesisch­en Verständni­s gab es keinen grenzübers­chreitende­n Handel. Es gab offiziell nur ein Tribut, der dem Kaiser dargeboten wurde. Der Kaiser wiederum zeigte sich generös und gab Gegengesch­enke – oft war es Seide. Aus europäisch­er Sicht ist Warenhande­l die Initiative einzelner Händler gewesen, die dazu geführt hat, dass Kamelkaraw­anen nach China aufgebroch­en sind. Die Güterherku­nft und mögliche Routen waren Herrschaft­swissen der Händler.

 ??  ?? Thomas Höllmann ist Präsident der bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften. Eins seiner Bücher ist „Die Seidenstra­ße“(2004).
Thomas Höllmann ist Präsident der bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften. Eins seiner Bücher ist „Die Seidenstra­ße“(2004).

Newspapers in German

Newspapers from Germany