Fantastisches Gewimmel
Mehr Pieter Bruegel wird es wohl nicht mehr geben: Mit 90 Werken widmet das Kunsthistorische Museum Wien dem bedeutenden flämischen Maler eine grandiose Schau
Mit einem ungewöhnlichen Kunstprojekt im Bundestag erinnern 31 Künstler aus 31 Ländern an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Aus 31 jeweils gleich großen Eichenholzquadern von einem umkämpften Frontabschnitt im Elsass haben sie 31 sehr unterschiedliche Werke geschaffen, die ein Zeichen für den Frieden setzen sollen, teilten die Veranstalter mit. Beteiligt sind unter anderem Monica Bonvicini, Tony Cragg, Anish Kapoor, Roman Ondák und Günther Uecker. Das Projekt wird am 7. November, zwei Tage vor der parlamentarischen Gedenkstunde zum Kriegsende, im Bundestag enthüllt. Projekt-Initiator ist der Osnabrücker Künstler Volker-Johannes Trieb. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat die Einführung eines „Deutschen Verlagspreises“angekündigt. „Angesichts der angespannten Situation gerade kleinerer und anspruchsvoller Verlage wollen wir ein Zeichen für literarische Vielfalt setzen“, sagte Grütters gestern in Berlin. Der neue Preis solle die Bedeutung unabhängiger Verlage stärker sichtbar machen. Der Deutsche Verlagspreis soll aus „Spitzenpreisen sowie einer mittleren zweistelligen Zahl von Förderpreisen“bestehen. Das Gesamtbudget soll bei einer Million Euro jährlich liegen. Die Münchner Philharmoniker feiern ihren 125. Geburtstag am kommenden Samstag und Sonntag mit einem Festwochenende. Neben der „Sinfonie der Tausend“am Samstagabend gibt es eine Neuauflage des Festivals „MPhil 360 Grad“, bei dem auch wieder das Mariinski-Orchester aus St. Petersburg aufspielt. Das Motto der Jubiläumssaison lautet „Brücken bauen“und meint die Verbindungen zwischen russischem und deutschem Repertoire. Pünktlich zur Jubiläumssaison hatte Chefdirigent Waleri Gergijew seinen Vertrag bis 2024/25 verlängert.
Wild wird hier gefeiert. Die Bäuerin schnappt nach Luft, so heftig zieht sie ihr derbgesichtiger Gatte zu den anderen Tänzern. Am Tisch lallen Zecher, dahinter wird unbeholfen gebusselt, und auf dem Boden liegen bereits die ersten Scherben, dazu Walnussschalen im Ausmaß eines Fußballs. Alles ist überlebensgroß, dieser „Bauerntanz“tapetenhaft hochgezoomt, und damit wird gleich im Entree zu dieser Wiener Schau klar: Kein noch so winziges Fitzelchen von Pieter Bruegel dem Älteren, bleibt ausgespart in dieser ersten umfassenden Ausstellung zum 450. Todestag des Künstlers im Mai 2019.
Dass dieses Riesenspektakel im Wiener Kunsthistorischen Museum stattfindet, hat einen simplen Grund. Durch die so kunstsinnigen wie kunstgierigen Habsburger besitzt man mit zwölf Tafelbildern die größte Bruegel-Sammlung weltweit. Das ist fast ein Drittel der überlieferten Gemälde. Dass neben 60 Blättern nun fast 30 dieser extrem dünnen und hochgradig empfindlichen Tafeln zusammengekommen sind – darunter Museumsikonen wie der „Triumph des Todes“aus dem Prado Madrid und das Pendant des „Turmbaus zu Babel“aus Rotterdam –, ist eine Sensation.
Insgesamt zählt die Wissenschaft seit kurzem 41 Gemälde. Im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts konnte eine Hafenansicht Neapels, die als Werkstattarbeit galt, Bruegel selbst zugeschrieben werden (Bild unten). Wobei die Begründung auch gleich eine Erklärung für die Faszination liefert, die von diesem Star unter den Alten Meistern ausgeht: Keiner sonst konnte Mitte des 16. Jahrhun- derts die Details so präzise und virtuos bis ins Mikroskopische hinein wiedergeben. Das ist gerade in Vergrößerungen gut nachvollziehbar, zudem wird man in den Seitenkabinetten durch sämtliche handwerklich-technischen Raffinessen geführt.
Das unterstreicht die Vermutung, dass der als „Bauern-Bruegel“abgestempelte Flame zum Miniaturmaler ausgebildet worden war. Wahrscheinlich in Antwerpen und Brüssel im Atelier von Pieter Coecke van Aelst, dessen Tochter Mayken er heiraten wird. Der um 1525/30 geborene Bruegel durchläuft aber nicht nur eine sichtbar strenge Schule, er muss sich in den ersten Jahren auch sein Geld mit Kupferstichen beim Verleger Hieronymus Cock verdienen. Und als er sich Ende der 1550er Jahre, nach Reisen durch Frankreich und Italien, endlich ganz auf die Malerei konzentrieren konnte, bleibt ihm nicht mehr viel Zeit. 1569, nur ein Jahr nach der Geburt seines Sohnes Jan, dem späteren Blumen-Bruegel, stirbt der rätselhafte Fantast, der eine sehr viel breitere Palette vorzuweisen hat, als es die millionenfach reproduzierten Dorfzünftigkeiten und Wimmelbilder nahelegen.
Denn bei all seinem umtriebigen Personal ist Pieter Bruegel immer auch ein fabelhafter Landschaftsmaler. Nicht einmal die weißen Hügel hinter den „Jägern im Schnee“(1665) werden zum bloßen Fond einer Szene degradiert. Überhaupt könnten jedes Gebirge und jeder Wald für sich stehen, so gewissen- haft sind sie komponiert und bis in die letzte Astgabel hinein durchgearbeitet. Dabei schaut eh jeder auf den später hinzugefügten Jäger im Vordergrund, diese typische Rückenfigur, mit der Bruegel den Betrachter unmerklich ins Bild gleiten lässt, dann zur Hundemeute und schließlich auf die ausgelassenen Schlittschuhläufer weiter hinten.
Im Nebeneinander der Gemälde und besonders der Zeichnungen verliert Bruegel schnell das Image des Vervielfältigers harmlos wuseliger Szenen. Schon die herrlich lakonische Federzeichnung „Maler und Kenner“, die ein Selbstbildnis sein könnte, zeigt einen missmutigen Künstler-Zausel, der sich seiner Situation bewusst zu sein scheint – nämlich für einen wenig geistvollen Kunden zu werkeln, der die Hand schon am Geldbeutel hat. Der Kauflustige trägt zwar einen Nasenzwicker, doch der ist noch lange keine Garantie für Erkenntnisvermögen.
Dieser Witz ist zum Greifen, und gerade in der menschelnden Komik unterscheidet sich Bruegel von seinem großen Vorbild Hieronymus Bosch. Überdeutlich wird das in der „Dulle Griet“. Mit Schwert und Bratpfanne zieht sie durch eine verwüstete Landschaft, die im Vokabular sofort an Bosch erinnert. Doch im Schlepptau hat dieses toll gewordene Weibsbild marodierende Kriegerinnen – die Geschlechterhierarchie steht auf dem Kopf. Und womöglich setzt sich die Kampf-Grete am Ende sogar durch.
Der humanistisch gebildete Maler scheint sich jedenfalls wenig um Ordnungen und Autoritäten gekümmert zu haben. Zumindest nicht um die kirchlichen. Italienische Klarheit ist erst recht nicht seine Sache. Bruegels Heilige muss man oft genug suchen – wie etwa den vom Pferd gestürzten Paulus zwischen unzähligen Söldnern. Auch Christus, der sein Kreuz schleppt, ist im Treiben des Alltagspersonals mit seinen vielen Nebenerzählungen kaum auszumachen, Pieters Sohn Jan wird das später noch steigern, aber warum eigentlich? Wie kritisch stand der Katholik Bruegel seiner Kirche gegenüber? Und wie sehr fließen die immensen Umwälzungen der frühen Neuzeit in seine Bilder ein?
Dezidierte Deutungen versagt man sich bei dieser Präsentation von immerhin 90 Werken. Mit Fakten wären sie auch schwerlich zu belegen. Stattdessen wird über Bruegels Handhaltung beim Malen philosophiert. Vor allem aber führen Infrarotreflektografien und Röntgenaufnahmen tief in die Eingeweide seiner Bilder hin zu Vorzeichnungen und Malgrund – Konzeptveränderungen sind so leicht auszumachen. Das kann auch für Laien spannend sein, am Ende aber wären es Interpretationen, die einem eine Künstlerpersönlichkeit nahebringen. Doch wer will sich schon aufs Glatteis begeben, wenn exakte Messungen Sicherheit bieten? Ein bisschen ist das wie in der Medizin, aus der die ganze Technik kommt: Da geht nichts mehr ohne Laborwerte, CTs und EKG-Diagramme. Auf das Erscheinungsbild des Patienten mag man sich kaum mehr verlassen.
Insofern liegt diese grandiose Schau ganz im Trend der Zeit. Und man wird wahrscheinlich nie mehr diese Fülle echter Pieter Bruegels erleben.
Igor ist ein besonderer Hund. Meist lümmelt er verschlafen in einem Sessel, aber wenn Ola eine Schallplatte mit Polkamusik auflegt, dann fängt der alte Hund an zu erzählen – von seiner ruhmreichen Vergangenheit, als er mit einem Zirkus durch die Lande zog: in Wägen, die vom Hoftischler des russischen Zaren gebaut wurden, mit Zelten aus indischer Seide. Er erinnert sich, wie er sieben afrikanische Elefanten durch einen brennenden Reifen springen ließ und dabei von einem Orchester aus hochbegabten Ziegen begleitet wurde.
Eine eigene, eine spektakuläre Welt lässt Iris Anemone Paul in ihrem Bilderbuch „Polka für Igor“entstehen, das gestern auf der Frankfurter Buchmesse mit der Serafina, dem Nachwuchspreis Illustration ausgezeichnet wurde. Der Preis wird von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Kooperation mit der Buchmesse und dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel vergeben. Das Preisgeld von 2500 Euro stiftet die in der auch unsere Zeitung erscheint. Die Preis-Trophäe „Serafina“, eine Porzellangiraffe, wird von der Nymphenburger Porzellanmanufaktur gefertigt.
„Opulente Bilder eines unbeschwerten Zirkuslebens, eine musikalisch und bildlich geprägte Klangund Bühnenwelt“entfaltet Paul nach dem Juryurteil in ihrem sprachmächtigen Text ebenso wie in den Illustrationen. Wie Holzschnitte wirken diese Bilder in Siebdrucktechnik, in denen schwarz und weiß vorherrschen. Reizvoll ist der Kontrast, den Paul von Seite zu Seite zwischen der gemütlichen Szenerie mit Mädchen und Hund im Lehnsessel und dem turbulenten Leben im Zirkusgeschäft schafft.
Iris Anemone Paul stammt aus Bad Urach auf der Schwäbischen Alb und lebt heute in Hamburg, wo sie in der Siebdruckwerkstatt einer Einrichtung für Arbeits- und Berufsförderung arbeitet. Ihre Ausbildung erhielt die 41-Jährige an den Fachhochschulen Bremen und Hamburg. Lebendes Vorbild und Muse für Pauls erstes Bilderbuch war ein schon etwas betagter, ehemaliger polnischer Zirkushund, den sie bei sich aufnahm und den sie genau studierte. „Murfi liebte gutes Essen, am besten fettig und heiß. Außerdem glaube ich, dass er Balkan-Popmusik mochte“, schreibt sie im Nachwort.