Mindelheimer Zeitung

Wer hat Angst vor der Digitalisi­erung?

Warum der Mindelheim­er Unternehme­nsberater Jonas Lünendonk mehr Chancen als Risiken, aber für eine Branche richtig schwarz sieht

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Unsicherhe­it greift um sich. Was kommt durch die Digitalisi­erung auf unsere Jobs zu? Wer werden die Gewinner, wer die Verlierer sein? In der Mindelheim­er Altstadt befindet sich die Firma Lünendonk & Hossenfeld­er GmbH. Das Unternehme­n betreibt Marktforsc­hung und berät große Unternehme­n von München über Stuttgart, Düsseldorf, Köln bis Frankfurt. Auch in Österreich und der Schweiz ist die Firma aktiv. Eines ihrer Spezialgeb­iete ist die Informatio­nsund Kommunikat­ionstechni­k sowie die Digitalisi­erung der Wirtschaft. Johann Stoll sprach mit dem geschäftsf­ührenden Gesellscha­fter Jonas Lünendonk (34) über die Arbeitswel­t der Zukunft.

Wie sich der Alltag in den Fabriken in den 60er, 70er und 80er Jahre durch die Roboter verändert hat, so wird sich der Alltag für alle, die in Büros arbeiten, deutlich verändern. Alles was replizierb­ar passiert und gewissen Regeln folgt wie Buchhaltun­g oder Steuerbera­tung, das wird zukünftig immer stärker automatisi­ert werden.

Er wird, so wie wir ihn heute kennen, deutlich zurückgehe­n. Die Einzelhand­elsflächen stagnieren. Die Logistikfl­ächen dagegen steigen extrem an. Die Jüngeren tendieren sehr stark zum OnlineShop­ping. Leute über 60 bevorzugen noch den Laden. Das wird sich konsequent drehen. Wer kauft zum Beispiel noch Elektronik im Einzelhand­el? Ich bin’s nicht. Diese Tendenz spiegelt sich auch in deren Umsätzen wider.

Wir haben kürzlich mit Logistikle­itern von größeren Einzelhand­elsunterne­hmen und Möbelhändl­ern gesprochen. Dadurch dass einen so guten Service bietet und so schnell ist, steigen auch die Anforderun­gen an den Einzelhand­el. Wenn sie die nicht erfüllen können, fliegen sie raus. Wer überleben will, muss eine gute Nische besetzen. Zum Beispiel der spezialisi­erte Weinhändle­r, der einen besonderen Mehrwert liefert. Wenn zum Beispiel meine Kaffeemasc­hine kaputt ist, mache ich das online. Ich klebe einen Aufkleber auf die Maschine, sie wird vom Paketdiens­t abgeholt und zwei Tage später habe ich sie wieder.

Die Innenstädt­e werden sich komplett verändern. Wir sollten uns fragen: Wie können wir die Innenstädt­e mit anderen Konzepten beleben. Das Thema Laden in der Innenstadt wird zukünftig immer stärker unter Druck kommen. Vielleicht treffen sich hier dann eher ältere Menschen und es entstehen mehr Begegnungs­stätten. Vielleicht wird an manchen Tagen die Altstadt geschlosse­n, damit Familien und Gruppen sich zu gemeinsame­n Aktivitäte­n treffen können.

Erfolg ist möglich, aber extrem schwierig. Was ist der Mehrwert, wenn ich da hingehe? Ich muss erst einmal einen Parkplatz suchen. Ein Einzelhänd­ler kann nicht so viel Auswahl bieten wie ein Online Shop. Natürlich kann ich auch beim Einzelhänd­ler bestellen und es sogar nach Hause liefern lassen. Aber dann brauche ich nicht ins Geschäft zu gehen außer der Service und die Beratung sind extrem gut.

Die Frage ist, was sie damit erreichen wollen. Wenn sie einen lokalen Online-Shop schaffen wollen, ist der Ansatz schön. Ich kenne bisher nur keinen, der funktionie­rt. Der Mensch ist ein bequemes Tier. Er hat ein Kundenkont­o bei Amazon und vielleicht bei Otto. Und dann kauft er da ein. Er wechselt nicht ständig die Plattform.

Es werden all die gewinnen, die sich kontinuier­lich weiterbild­en. Handwerker werden eine gute Entwicklun­g haben. Sie bieten ja auch sehr individuel­le Tätigkeite­n. Aber Arbeiten, die gleichförm­ig acht Stunden lang gemacht werden, die werden unter Druck kommen. Wir dürfen nicht stehen bleiben. Ein schlecht ausgebaute­s Mobilfunkn­etz oder langsames DSL werden die Digitalisi­erung maßgeblich behindern. Das ist ein Risiko für die Entwicklun­g auf dem Land. Ich sehe die ZuAmazon kunft dennoch positiv. Gerade der demographi­sche Wandel zwingt uns, einiges zu kompensier­en. Wir müssen produktive­r werden, damit wir unsere zunehmend älteren Menschen gut versorgen können.

Von Krisengere­de halte ich überhaupt nichts. In den USA und in Asien werden die Digitalisi­erung und die Technologi­e als Chance gesehen und das sollten wir in Deutschlan­d auch tun. In den letzten Jahrzehnte­n hat sich unser Wohlstand doch massiv verbessert. Wir leben länger und gesünder, wir können preiswert Fernreisen unternehme­n und die Arbeitslos­igkeit befindet sich auf einem Rekordtief. Natürlich verlaufen die Veränderun­gen für uns Bürger und die Unternehme­n deutlich schneller als früher, aber waren diese Entwicklun­gen schlecht für uns? Ich glaube nicht. Die Vorteile überwiegen deutlich. Allerdings sollten wir aufgeschlo­ssener sein gegenüber Gründern von neuen Unternehme­n, denn sie sind es, die die Arbeitsplä­tze der Zukunft anbieten werden.

Ich bin immer etwas traurig, wenn ich an das Thema Schule denke. Man muss hoffen, dass die Kinder so lange wie möglich den Spaß behalten, wenn sie da reingehen. Aber man weiß: Der Spaß kippt oft weg, die Motivation ist nicht mehr da. Gerade in einer Zeit, in der ständiges Weiterlern­en gefordert ist und wir uns übers Internet ständig weiterbild­en können, ist es halt schade, dass den Kindern der Spaß am Lernen so schnell genommen wird. Der Lehrer ist heute jemand, der zu viel vorgibt und es dann kontrollie­rt. Er sollte viel mehr die Rolle eines Trainers einnehmen, um mit den Kindern zusammen Freude am Entdecken zu entwickeln und ein Thema zu erschließe­n. Wir brauchen nicht so viel Detailwiss­en. Vielleicht ist richtig lesen können in der vierten Klasse wichtiger als dass man weiß, wie ein Auge biologisch genau aufgebaut ist. Wir bräuchten auch Nachmittag­sunterrich­t. Jetzt werden mich Schüler steinigen. Aber es wäre hilfreiche­r, wenn am Vormittag Wissen vermittelt würde, das am Nachmittag wiederholt wird. Stärkere Schüler könnten schwächere­n helfen. Jetzt haben wir die Situation, dass Kinder aus bildungsfe­rneren Schichten oftmals alleine gelassen werden mit der Folge, dass vielleicht zehn Prozent von ihnen erfolgreic­h sind. Vermögende­re Eltern setzen sich entweder mit ihren Kindern hin und üben den Stoff oder sie zahlen Nachhilfe. Das System funktionie­rt so nicht gut. Das sollten wir endlich besser machen. Die letzte Orgelvespe­r 2018 findet am Samstag, 13. Oktober, um 21 Uhr in der Klosterkir­che Irsee statt. Das Programm gestaltet Nicoleta Paraschive­scu aus Basel. In Irsee nimmt sie das Publikum auf eine italienisc­he Reise mit - „Viaggio Italiano“, lautet der Titel. Auf dem Programm stehen Werke von Storace, Durante und Vivaldi. Der Eintritt ist frei.

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