Mindelheimer Zeitung

Die Bahn berät auf Knopfdruck

In Bad Wörishofen geht ein Video-reisezentr­um in Betrieb. In Bayern gibt es davon erst wenige. Das Angebot beendet eine Hängeparti­e in Sachen Fahrkarten­schalter

- VON MARKUS HEINRICH

Der grün leuchtende Knopf soll Bahnreisen­den in Bad Wörishofen das Leben erleichter­n. Ihn müssen Kunden drücken, wenn sie im neuen Video-reisezentr­um eine persönlich­e Beratung wünschen. Monika Münsch hat das gleich ausprobier­t. Drückt man den Knopf, meldet sich normalerwe­ise eine Bahn-mitarbeite­rin oder ein Mitarbeite­r mittels Videoschal­tung auf dem Bildschirm in dem kleinen Gebäude auf dem Bad Wörishofer Bahnsteig. Bei der offizielle­n Inbetriebn­ahme am Donnerstag war allerdings just dieser Bildschirm defekt. Da konnte auch ein eiligst bestellter Techniker nicht mehr helfen. „Das kriegen wir aber schnell wieder hin“, sagte Wolfgang Jakob, der das Projekt für die Bahn von Beginn an betreut hat. Monika Münsch ist auch so zufrieden, denn die Stimme der Beraterin war immerhin zu hören.

Flott ist auf diese Weise die gewünschte Verbindung nach Leipzig zusammenge­stellt, die Reiseunter­lagen flutschen aus dem Druckersch­litz in der Multimedia­wand der Video-kabine. Bezahlt werden kann entweder bar in Münzen und Scheinen oder per EC- oder Kreditkart­e. „Das hat wirklich gut funktionie­rt“, lobt Monika Münsch. „Das ging viel leichter als gedacht.“

Dass eine einfache Bedienung das oberste Ziel bei der Überlegung war, ein Video-reisezentr­um in Bad Wörishofen zu bauen, betonte Bürgermeis­ter Paul Gruschka. Er selbst sei nach einem Ortstermin gemeinsam mit Wolfgang Hützler, dem Fraktionsv­orsitzende­n der Freien Wähler im Stadtrat, vom Projekt Reisezentr­um überzeugt gewesen. Gruschka hatte auch die Zentrale in Kempten besichtigt, wo die Berater sitzen, mit denen man sich von Bad Wörishofen aus verbinden lassen kann. Deren Dienste nahm gestern auch Ina Zimdars gleich in Anspruch. Auch sie ist schnell überzeugt von dem Angebot. „Das war einfach“, sagt sie, nachdem die Mini-konferenz mit der Bahn-beraterin beendet ist. „Da ist es am Fahrkarten­automat schon schlimmer.“

Auch Bürgermeis­ter Gruschka berichtete von zumeist älteren Bürgern, die oft Probleme mit dem Kartenauto­maten hatten. Bereits seit einem Jahr gibt es in der Tourismush­ochburg Bad Wörishofen keinen Fahrkarten­schalter für Bahn-tickets mehr. Der Videoschal­ter mache jetzt wieder eine persönlich­e Beratung möglich, hieß es bei der Eröffnung. „Das System ist selbsterkl­ärend auch für Menschen, die sich nicht so oft mit der Bahn beschäftig­ten“, sagte Reinhold Pohl, der Regional-vertriebsl­eiter der Bahn.

Die Bahn hatte auch nach längerer Suche keinen privaten Betreiber mehr für einen Fahrkarten­schalter in Bad Wörishofen gefunden. Angesichts der Fülle an Fragen, die im Zusammenha­ng mit einer Bahnreise be- werden müssten, könne er sich nun auch vorstellen, warum das so sei, sagte Bürgermeis­ter Gruschka in Erinnerung an seinen Besuchster­min in der Video-zentrale Kempten. Der Beratungsb­edarf ist vor allem bei älteren Reisenden groß. Er habe viele Briefe erhalten von Menschen, die einen Fahrkarten­schalter in Bad Wörishofen vermissen. „Eine Auskunft hat hier einfach gefehlt“, sagte auch Monika Münsch.

Am Video-reisezentr­um hatte es vor der Eröffnung Kritik gegeben. Peter Stumm, Leiter der Kontaktste­lle Selbsthilf­e Körperbehi­nderter aus Buchloe, sprach von einer „Art größere Telefonzel­le für Behinderte.“Für Rollstuhlf­ahrer sei das nicht erreichbar. Auch gehe die Tür nach außen auf.

Im Kreistag war Bad Wörishofen­s Bahnsteig ebenfalls Thema. Kritisiert wurde eine Verschlech­terung der Barrierefr­eiheit

Dabei ging es allerdings das Reisezentr­um.

Wolfgang Jakob von der Bahn wiederum versichert­e auf Nachfrage

(siehe Seite 22).

nicht um gegenüber unserer Zeitung, die Video-kabine sei barrierefr­ei. „Sie wurde gemeinsam mit Rollstuhlf­ahrern entworfen, Rollstühle können sich darin drehen“, sagt Jakob. Die Kabine sei ebenerdig und ohne Absatz befahrbar. Die Bedienelem­ente seien so angebracht, dass Rollstuhlf­ahrer sie gut erreichen können. Auch würde die Videokamer­a den gesamten Raum erfassen, sodass jeder Gesprächsp­artner in der Zentrale in Kempten gut zu sehen sei.

Es ist erst das 20. Video-reisezentr­um in Bayern, berichtet Jakob. In der Zentrale in Kempten sind vier Arbeitsplä­tze besetzt.

Bundesweit betreibt die Deutsche Bahn seit dem Start vor fünf Jahren mittlerwei­le 44 Video-reisezentr­en. Kunden können in der Kabine auf einem zweiten Bildschirm die Arbeitssch­ritte des Reiseberat­ers verfolgen, etwa die Suche nach einer passenden Verbindung oder einem günstigen Fahrpreis.

Fahrkarten, Reservieru­ngen und Bahn-cards werden direkt in der Kabine erstellt. Der Fahrkarten­auantworte­t tomat am Bahnsteig bleibt zusätzlich bestehen. Bürgermeis­ter Gruschka erinnerte in seiner Rede an die nicht einfache Suche nach einem Standort, weil nur ein Teil des Bahnsteigs der Bahn gehöre. Der Rest ist bekanntlic­h in Privatbesi­tz, gemeinsam mit dem Bahnhofsge­bäude.

„Die Ungeduld war groß, aber manchmal gehen Dinge nicht so schnell“, so Gruschka. „Die Umsetzung war für Bahnverhäl­tnisse aber unheimlich schnell“, kommentier­te Fw–fraktionss­precher Hützler.

Bürgermeis­ter Gruschka hofft nun, dass das neue Angebot gut angenommen wird. „Jetzt müssen alle nur noch diese klitzeklei­ne Angst vor der Technik überwinden und den grünen Knopf drücken“, fasste er zusammen.

» Öffnungsze­iten Das Video-reisezentr­um ist geöffnet: montags von 7 bis 18 Uhr, dienstags bis freitags von 7.30 bis 19 Uhr, samstags von 8.15 bis 14.45 Uhr, sonn - und feiertags von 8.15 bis 13.45 Uhr.

 ?? Foto: Markus Heinrich ?? Ein Knopfdruck reicht, dann kommt die Video-verbindung mit Bahn-beratern zustande. Wolfgang Jakob demonstrie­rte Monika Münsch (links) und Ina Zimdars das System. Zwar war am Eröffnungs­tag der Monitor defekt, die ersten Kunden waren von der einfachen Bedienung aber angetan.
Foto: Markus Heinrich Ein Knopfdruck reicht, dann kommt die Video-verbindung mit Bahn-beratern zustande. Wolfgang Jakob demonstrie­rte Monika Münsch (links) und Ina Zimdars das System. Zwar war am Eröffnungs­tag der Monitor defekt, die ersten Kunden waren von der einfachen Bedienung aber angetan.
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