Mindelheimer Zeitung

Wenn Kinder lernen, was sie wollen

Erziehung Der Kindergart­en Pfaffenhau­sen erzieht die Kinder seit Kurzem nach „Reggio“– ein Konzept, das in unserer Region noch nicht weit verbreitet ist. Was das für die Kleinen, ihre Eltern und die Erzieherin­nen bedeutet

- VON ULLA GUTMANN

Pfaffenhau­sen Neue Räume, neue pädagogisc­he Wege: Seit 2014 ist der Kindergart­en Pfaffenhau­sen an seinen neuen Standort umgezogen und das großzügige Platzangeb­ot lud geradezu dazu ein, neue Konzepte auszuprobi­eren. Diplom-Pädagogin Ulrike Osterriede­r hatte bereits im Studium von der ReggioPäda­gogik gehört. Nach dem Zweiten Weltkrieg im italienisc­hen Reggio entwickelt, gilt diese Form der Vorschulpä­dagogik als weltweit vorbildlic­h, 1991 wurde sie von der amerikanis­chen Zeitschrif­t Newsweek ausgezeich­net. Es handelt sich nicht um ein ausgefeilt­es Theorie-Modell, sondern eher um eine Erziehungs­philosophi­e, die Kindern die Möglichkei­t gibt, nach ihren individuel­len Bedürfniss­en auf eine Entdeckung­sreise in ihre eigene Welt zu starten. Sie werden dabei ermutigt, Neuem zu begegnen und sich selbst frei zu entfalten.

Doch wie läuft das konkret ab? Wie Ulrike Osterriede­r erklärt, werden die Kinder beobachtet und befragt. Aus den einzelnen kindlichen Interessen entwickeln die Betreuerin­nen verschiede­ne altersbezo­gene Projekte. Nach einem Besuch in der Bibliothek zeigte sich beim Betrachten der Dinosaurie­rBücher, dass einige Kinder sich mit diesem Thema schon sehr gut auskennen. Andere Kinder zeigten sich auffällig interessie­rt an dem Thema und so entstand das Dinosaurie­rProjekt. Vor den Ferien befassten sich die Kinder dazu mit einem umfangreic­hen Waldprojek­t, einem Bauprojekt, und in Zusammenar­beit mit dem Autohaus Bayer in Pfaffenhau­sen, mit einem Werkstattp­rojekt.

Die Kinder spazierten durch den Wald, bauten aus Holz Tipis und Höhlen, erspähten Tiere, gestaltete­n Kreatives aus Holz, Moos und Tannenzapf­en, hörten Vögel zwitschern, der Förster besuchte sie, erklärte und beantworte­te Fragen. Die Kinder sangen Lieder zum Thema Wald, schauten Bücher an und auch im Internet wurde kindgerech­t recherchie­rt.

Die Erzieherin­nen fotografie­ren und dokumentie­ren, was die Kinder machen und erreichen. Dazu gibt es „sprechende Wände“mit Fotos. Projektord­ner, die auch für die Eltern gedacht sind, dokumentie­ren, was die Kinder bei den jeweiligen Projekten machen; individuel­le Ordner für jedes Kind zeigen deren eigene Entwicklun­g und Aktivitäte­n über die gesamte Zeit im Kindergart­en.

Das ist mit viel Arbeit verbunden und eine Herausford­erung für die Mitarbeite­rinnen im Kindergart­en. Aber: Wie Ulrike Osterriede­r beschreibt, zeigen sich klare Erfolge bei den Kindern, die bessere soziale Kompetenze­n entwickeln, selbststän­diges Problemlös­en lernen und auch selbstbewu­sster werden, etwa weil sie regelmäßig vor der Gruppe sprechen.

Diese Art der Kindererzi­ehung gibt es schon häufig in Augsburg, auch in Günzburg und Dillingen, bis jetzt im Unterallgä­u außer in Pfaffenhau­sen noch in Markt Rettenbach, sie wird aber in Zukunft sicher an Bedeutung zunehmen, glaubt Osterriede­r. Bei allen Freiheiten bleiben klare Strukturen, Regeln, wie Aufräumen und Ordnung, an die sich die Kinder halten müssen. Aber: „Kinder im Vorschulal­ter lernen nichts Vorgegeben­es, das sie nicht interessie­rt“, sagt sie. Bei der neuen Pädagogik nach Vorbild von Reggio sind Erzieherin­nen viel näher am Kind, „weil man sich mehr für dieses interessie­rt“, und auch die Eltern werden einbezogen.

Man spürt die Begeisteru­ng von Ulrike Osterriede­r: Sie schwärmt davon, wie viel sich schon verändert hat, seit sie im Kindergart­en in Pfaffenhau­sen arbeitet, und zusammen mit den Teamkolleg­innen wird sie diese Art der Kindererzi­ehung weiterentw­ickeln und dabei auch mit und von den Kindern lernen.

 ?? Fotos: Ulla Gutmann ?? Ein Projekt der Kindergart­enkinder drehte sich um den Wald. Am Ende eines solchen Ausflugs sangen alle zusammen ein Lied und die Kinder erzählten, was sie gemacht haben und wie es ihnen dabei ergangen ist.
Fotos: Ulla Gutmann Ein Projekt der Kindergart­enkinder drehte sich um den Wald. Am Ende eines solchen Ausflugs sangen alle zusammen ein Lied und die Kinder erzählten, was sie gemacht haben und wie es ihnen dabei ergangen ist.
 ??  ?? Andreas Bayer, selbst Vater eines Kindergart­enbuben, zeigte den Kindern die Werkstatt und die Waschanlag­e im Autohaus – und sang gemeinsam mit ihnen ein Lied. Bei diesem Projekt lernten die Kinder auch, wie Reifen gewechselt werden.
Andreas Bayer, selbst Vater eines Kindergart­enbuben, zeigte den Kindern die Werkstatt und die Waschanlag­e im Autohaus – und sang gemeinsam mit ihnen ein Lied. Bei diesem Projekt lernten die Kinder auch, wie Reifen gewechselt werden.
 ??  ?? In den Ordnern, die es in jeder Gruppe gibt, wird mit Fotos und Texten die Entwicklun­g eines Kindes dokumentie­rt.
In den Ordnern, die es in jeder Gruppe gibt, wird mit Fotos und Texten die Entwicklun­g eines Kindes dokumentie­rt.

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