Ein Philosoph träumt an der Front schon vom Führer
Als Heidegger Ende seiner Frau Elfriede von der Front schreibt, zeichnet sich seine neue Mission bereits ab.
Erst am 8. Juli hatte der Philosoph – da bereits 29 Jahre alt und zunächst wegen des nervösen Herzleidens Neurasthenie zurückgestellt – doch noch den Einberufungsbefehl erhalten. Er sollte zunächst bei der Meteorologie in Berlin mitwirken, um den deutschen Giftgaseinsatz an der Westfront mit Wettervorhersagen zu unterstützen. Aber nach dem Scheitern aller deutschen Pläne war er am 23. August an die Front versetzt worden. Doch so, dass er da, aus der Nähe von Verdun, schon Elfriede berichten konnte: „Gefahr besteht für uns wohl kaum“– jeden vierten Tag frei, die Pflichten nicht allzu anstrengend, sein eben erst promovierter Leutnant ermögliche ihm gutes Arbeiten. Was hieß: Über die philosophische Bedeutung des Todes für das Dasein des Menschen nachdenken, während seine viele Kameraden die leibhaftige Begegnung mit ihm machten.
Das sah der Landsturmmann Martin Heidegger dann zwar auch, als er sich im Oktober auf die Suche nach Gerhard, dem Sohn des Kollegen Husserl, durch die Lazarette machte und reichlich menschlichen Verheerungen begegnet. Wovon er Elfriede aber schrieb, war dies: „Wir haben uns in eine erschreckende Mißkultur und Scheinlebendigkeit hinein verrannt – alle Wurzelfäden mit den Grundquellen wehrhaften Lebens sind bei der Großzahl der Menschen abgestorben – Oberflächendasein ist herrschend.“Vor allem fehle dem Leben, so Heidegger, „der große Enthousiasmus der Seele und des Geistes für wahrhaftes Leben.“Seine Kriegskameraden seien von der regierenden Elite furchtbar verraten worden und wüssten mangels fehlender patriotischer Gefühle nicht mehr, wozu sie kämpften. Seele und Geist des Menschen seien in den letzten Jahren verkümmert; Ziellosigkeit und Hohlheit bestimmten dieses falsche, sinnlose Leben. Woher der notwendige Wandel zum Besseren kommen könnte? „Da helfen nur neue Menschen, die eine ursprüngliche Verwandtschaft mit dem Geist und seinen Forderungen in sich tragen, und ich erkenne selbst immer dringender die Notwendigkeit der Führer – nur der Einzelne ist schöpferisch (auch in der Führerschaft), die Masse nie.“
Er sollte später, da schon Star der deutschen Philosophie, in Hitler den letzten möglichen Retter des Abendlandes sehen. Von hier an aber bereits verknüpfte er sein persönliches Schicksal als Philosoph mit dem kollektiven Schicksal Deutschlands. Heidegger wollte geistiger Führer zur ersehnten Erneuerung des Daseins werden. Ein Soldat des Geistes rüstete sich am Rande der Schützengräben – gegen die Verkommenheit der Moderne, für die eigene Nazi-Karriere.