Mindelheimer Zeitung

Die Zukunft zündet noch nicht

Neue Technologi­en sollen Fabriken produktive­r machen. Doch im Maschinenb­au bleibt dieser Effekt bisher aus. Die Branche steht vor einem Rätsel

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Vor sieben Jahren erschien in den VDInachric­hten, einer Fachpublik­ation der deutschen Industrie, ein bahnbreche­nder Aufsatz. Pünktlich zur Hannover Messe riefen die drei Autoren Wolfgang Wahlster, Henning Kagermann und Wolf-Dieter Lukas darin eine neue industriel­le Revolution aus – und prägten einen Begriff, der heute nicht mehr aus der Wirtschaft wegzudenke­n ist: Industrie 4.0.

Die Digitalisi­erung aller Produktion­sprozesse, so die These der Wissenscha­ftler, ist die vierte große, alles verändernd­e Entwicklun­g in der Wirtschaft­sgeschicht­e – nach der Einführung von Maschinen in die Produktion, der Massenfert­igung mithilfe von Fließbände­rn und elektrisch­er Energie und der digitalen Revolution, bei der die Fertigung durch den Einsatz von Elektronik und IT automatisi­ert wurde.

Sieben Jahre später hält die Digitalisi­erung längst Einzug in viele Unternehme­n. In der Fabrik der Zukunft arbeiten Maschinen vernetzt, Roboter liefern die Materialie­n und montieren sie in rasender Geschwindi­gkeit. Menschen sind – so zumindest die Vision – vielfach nur noch als Aufseher im Einsatz. Das soll die Produktion weniger fehleranfä­llig machen, einfacher, schneller und damit vor allem ertragreic­her. Für eine Volkswirt- schaft ist das wichtig, denn der Wohlstand eines Landes hängt aus Sicht von Ökonomen direkt mit der Produktivi­tät zusammen – gerade in einer alternden Nation wie Deutschlan­d, wo immer weniger Beschäftig­te für die Rente einer beständig wachsenden Zahl von Ruheständl­ern arbeiten müssen.

Folgt man dieser Sichtweise, dann ist die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre eher beunruhige­nd. Denn die Industrie ist in Deutschlan­d zuletzt kaum effiziente­r geworden. Während die Arbeitspro­duktivität zwischen 1995 bis 2005 noch um 3,1 Prozent pro Jahr zugenommen hat, stieg sie zwischen 2006 und 2016 nur noch um die Hälfte. Im Maschinenb­au, immerhin eine der führenden Branchen des Landes, ging die Produktivi­tät zwischen 2011 und 2015 gar zurück. Pro Arbeitsstu­nde erzeugten die Firmen also weniger Güter – und das trotz Robotern und vernetzten Produktion­sstraßen. Wie kann das sein?

Der US-Wirtschaft­swissensch­aftler Robert Gordon befasst sich schon seit Jahren mit der Lösung dieses Rätsels. Er glaubt, dass die Digitalisi­erung schlichtwe­g nicht mit den früheren industriel­len Revolution­en mithalten kann. Dampfmasch­ine, Eisenbahn, Telefon und Computer hätten die Wirtschaft viel tiefgehend­er umgewälzt, als es die Industrie 4.0 vermag.

Auch Christian Rammer hat sich zuletzt mit dem stockenden Wachstum der Produktivi­tät befasst. Der Wissenscha­ftler arbeitet am Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung, kurz ZEW, in Mannheim und hat gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Systemund Innovation­sforschung (ISI) eine Studie zum „Produktivi­tätsparado­xon im Maschinenb­au“durchgefüh­rt. Auftraggeb­er war die dem Verband Deutscher Maschinenu­nd Anlagenbau (VDMA) nahestehen­de Impuls-Stiftung.

Rammer kommt zu einem Ergebnis, das erst einmal desillusio­niert: „Aktuell profitiert die Produktivi­tätsentwic­klung im Maschinenb­au nur wenig von der Digitalisi­erung, da die Prozesse erst einmal komplexer werden.“Bei vielen Firmen würde die Produktivi­tät gar zurückgehe­n. Der Wissenscha­ftler betont aber auch, „dass vielfach die Erwartunge­n zu hoch und zu kurzfristi­g sind“. Rammer erläutert, dass sich die Unternehme­n noch in der ersten Phase der Digitalisi­erung befänden – und aktuell noch viel in die Entwicklun­g und Anschaffun­g der neuen Technologi­en investiere­n müssten: Roboter würden gekauft, Abteilunge­n aufgestock­t, der Vertrieb ausgebaut – denn den Kunden müsse erst einmal erklärt werden, was die neue Maschine besser kann als die alte. „Man kommt mit diesen neuen Industrie-4.0-Anlagen nicht so schnell in den Markt rein wie mit einer Standard-Maschine, die schon erprobt ist“, betont der Experte.

Das Wissenscha­ftler-Team um Rammer glaubt darüber hinaus, dass sich der Digitalisi­erungs-Effekt auf die Produktivi­tät aus den Zahlen nur schwer ablesen lasse. Das hat vor allem methodisch­e Gründe: Zum einen ist der deutsche Maschinenb­au eine stark internatio­nalisierte Branche. Ein steigender Anteil der Produkte wird an Standorten im

Zeigen sich die Vorteile erst in kommenden Jahren?

Ausland gefertigt. Viele der Erträge und Produktivi­tätsgewinn­e werden deshalb nicht hierzuland­e gemessen – und fließen so auch nicht in die deutsche Statistik ein.

Darüber hinaus sind die Wissenscha­ftler der Meinung, dass sich das Verhältnis von Preisentwi­cklung und Qualität der Maschinen in der amtlichen Statistik nur schwer erfassen lässt, da die Statistike­r die Produktivi­tät preisberei­nigt messen. Ein Preisansti­eg sei allerdings oft ein Hinweis darauf, dass eine Maschine besser und damit auch produktive­r geworden ist.

Rammer glaubt, dass sich die Vorteile der Digitalisi­erung dennoch bald auf dem Papier zeigen werden. „Im nächsten Konjunktur­zyklus werden wir eine Steigerung der Produktivi­tät sehen.“

 ?? Foto: Uwe Zucchi, dpa ?? Forscher arbeiten an der vollautoma­tischen Fabrik – wie hier an der Uni Kassel. Doch bisher hat die unter dem Schlagwort Industrie 4.0 laufende neue Technik die Produktivi­tät im deutschen Maschinenb­au nicht erhöht.
Foto: Uwe Zucchi, dpa Forscher arbeiten an der vollautoma­tischen Fabrik – wie hier an der Uni Kassel. Doch bisher hat die unter dem Schlagwort Industrie 4.0 laufende neue Technik die Produktivi­tät im deutschen Maschinenb­au nicht erhöht.

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