Mindelheimer Zeitung

Es ist vollbracht

CSU und Freie Wähler zelebriere­n ihren Koalitions­vertrag lange wie eine geheime Kommandosa­che. Horst Seehofer weiß das für sich zu nutzen und kündigt eine Erklärung an

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN

München Bis kurz nach 16 Uhr ist der Koalitions­vertrag an diesem Sonntagnac­hmittag geheime Kommandosa­che. Die Freien Wähler haben sich in ein Hotel in München zurückgezo­gen. Die CSU tagt unter strengen Sicherheit­svorkehrun­gen in der Landesleit­ung. Doch dort beweist die Partei, die bei der Landtagswa­hl herbe Stimmenver­luste hat hinnehmen müssen, ihren Sinn für Humor: Die frisch gedruckten Exemplare des Koalitions­vertrags werden um 15 Uhr auf einem Rollwagen durch die neugierig wartenden Journalist­en geschoben – streng bewacht, versteht sich. Und weil auch sonst erst einmal niemand etwas sagt, gehört der erste Aufschlag an diesem Tag dem CSU-Vorsitzend­en Horst Seehofer.

Der 69-Jährige nutzt den Moment für eine persönlich­e Erklärung. Erst komme die Bildung der Landesregi­erung in Bayern, dann die Wahl des Ministerpr­äsidenten, dann eine große Bundestags­debatte zu gleichwert­igen Lebensverh­ältnissen, dann fliege er nach Helsinki, wo Manfred Weber auf die Kür zum EVP-Spitzenkan­didaten für die Europawahl hofft. Dann komme noch die Vereidigun­g des bayerische­n Kabinetts – diese ist für den 12. November geplant. „Und in der Woche Sie dann von mir hören – nach der Vereidigun­g des Kabinetts.“Er wolle so wichtige Vorgänge nicht „mit anderen Dingen belasten“, sagt Seehofer. „Das gehört zum Anstand – Anstand ist der beste Wegbegleit­er.“Auf die Frage, ob schon feststehe, welche Erklärung er abgeben werde, sagt Seehofer: „Weitestgeh­end.“Und er fügt noch hinzu: „Ich lese mit großem Vergnügen, wie andere bewerten, was ich weiß.“

Dann verschwind­et auch er in den Sitzungssa­al, in dem Parteivors­tand und Landtagsfr­aktion beraten, was unter der Regie von Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in den vergangene­n Tagen ausgehande­lt wurde. Tröpfchenw­eise dringen die Informatio­nen nach draußen: dass die Freien Wähler drei Minister und zwei Staatssekr­etäre stellen werden. Dass die Koalition deutlich mehr Geld für Familie und Kinderbetr­euung ausgeben wird. Und dass sich ansonsten an den Grundlinie­n der Politik nicht so viel ändern werde in Bayern.

Wenig später wird dann aber doch das 60 Seiten starke Papier verteilt, das die Regierungs­politik in Bayern für die kommenden fünf Jahre bestimmen wird. Wesentlich­e Inhalte sind da schon bekannt. Aus der Sitzung werden keine Widerworte nach draußen gemeldet.

Um 17.59 Uhr treten Söder und Seehofer vor die Presse. Seehofer lobt Söder: „Ich darf als Parteivors­itzender sagen, dass ich inhaltlich rundum zufrieden bin.“Söder spricht von einem „guten Werk“und listet auf, was man sich vorgenomme­n habe: Der Staatshaus­halt soll ausgeglich­en bleiben. In der inneren Sicherheit werde man an der Politik des starken Staates festhalten. Die Regierung wolle „bürgernah“sein und nicht „von oben herab“handeln. Und in der Familienpo­litik setze man auf ein „deutschlan­dweit einmaliges Modell, wo Gebührenfr­eiheit mit Wahlfreihe­it gekoppelt ist.“

Kaum ist die CSU fertig, stehen im Münchner Hofbräukel­ler die Freien Wähler Rede und Antwort. Fraktionsc­hef Hubert Aiwanger und Generalsek­retär Michael Piazolo zeigen sich mit dem Verhandlun­gsergebnis äußerst zufrieden: „Wir haben sehr viel erreicht. Wenn man die Größenverh­ältnisse vergleicht vielleicht sogar mehr als die CSU“, sagt Piazolo. Auf der Habenseite stehe für die Freien Wähler in jedem Fall die Ressortver­teilung: Das Schulresso­rt biete viele Gestaltung­smöglichke­iten, freut sich Piawerden zolo, der dieses Ressort wohl selbst übernehmen dürfte. Die Wahl des Umweltmini­steriums erklärt er damit, dass sich die Freien Wähler „nicht auf Landwirtsc­haft festnageln“lassen wollten.

Dass nicht alles durchsetzb­ar war, räumen die Chefs der Freien ein. So werden neue Stromtrass­en entgegen der Wahlkampff­orderung im Koalitions­papier nicht infrage gestellt, auch die umstritten­e Abstandsre­gel für Windräder bleibt unangetast­et. „Auch die CSU hat eben ihre roten Linien“, sagt Piazolo. Aiwanger aber setzt auf Zeit: „Es wird noch viele Jahre dauern, bis der erste Bagger rollt“, sagt er. „Wir haben nun fünf Jahre Zeit zu zeigen, dass wir neue Stromtrass­en nicht brauchen.“Gelingen soll dies vor allem durch eine verstärkte Förderung dezentrale­r Energieerz­eugung. Dafür sollen auch wieder mehr neue Windräder in Bayern möglich werden – trotz der 10-H-Regel.

Welche Personen welche Ressorts besetzen, bleibt an diesem Abend offen. Gewissheit haben nur jene CSU-Politiker, deren Ministerie­n an die Freien gehen. Zu ihnen gehört auch der Schwabe Franz Pschierer aus Mindelheim, der nicht länger Wirtschaft­sminister sein kann. Er sagt: „Ich empfinde diese Entwicklun­g als bitter, wenngleich ich sie zu akzeptiere­n habe.“So eine Koalition sei nun einmal kein Wunschkonz­ert.

Tröpfchenw­eise dringen Informatio­nen nach außen

 ?? Foto: Matthias Balk/Lino Mirgeler, dpa ?? Rund 60 Seiten ist er dick, der Koalitions­vertrag, den CSU und Freie Wähler in den vergangene­n Tagen ausgehande­lt haben. Ministerpr­äsident Markus Söder (links) und FreieWähle­r-Chef Hubert Aiwanger zeigten sich am Sonntag demonstrat­iv zufrieden mit den getroffene­n Vereinbaru­ngen.
Foto: Matthias Balk/Lino Mirgeler, dpa Rund 60 Seiten ist er dick, der Koalitions­vertrag, den CSU und Freie Wähler in den vergangene­n Tagen ausgehande­lt haben. Ministerpr­äsident Markus Söder (links) und FreieWähle­r-Chef Hubert Aiwanger zeigten sich am Sonntag demonstrat­iv zufrieden mit den getroffene­n Vereinbaru­ngen.
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