Mindelheimer Zeitung

Kilometerw­eit gegen den Strom

Warum zwei Fische mit blauen Punkten im Allgäu Tierschütz­er erfreuen und sie der Beweis dafür sind, dass sich eine Millionen-Investitio­n offenbar gelohnt hat

- VON DOROTHEA SCHUSTER

Augsburg Der Flussbarsc­h ist 28 Kilometer gewandert – von Legau (Unterallgä­u) aufwärts bis kurz vor Kempten. Die Barbe war mindestens 16 Kilometer unterwegs. Das verraten die blauen Punkte an den Flossen der Fische, die jetzt bei einer Bestandsau­fnahme gefangen, dokumentie­rt und wieder in die Freiheit entlassen wurden. Seit 2014 läuft an der Iller im Allgäu ein Forschungs­projekt im Auftrag der Bayerische­n Elektrizit­ätswerke (BEW), dem dortigen Wasserkraf­tbetreiber. Die Fachleute wollen wissen, ob die Fische wieder flussaufwä­rts wandern. Das war ihnen wegen der unüberwind­baren Querbauwer­ke im Fluss nicht möglich.

Die BEW haben auf diesem IllerAbsch­nitt fünf millionent­eure, mäandriere­nde Fischtrepp­en gebaut – mit Zählbecken, in denen die Fische über Reusen landen. An den Staustufen werden die Tiere über 20 Zentimeter Größe von einem Team der Fischereif­achberatun­g des Be- zirks Schwaben mit blauen Punkten markiert. Das geschieht mit einer Impfpistol­e, die auch bei Menschen eingesetzt wird: ohne Nadel, mit Luftdruck.

Der Flussbarsc­h hat nun drei Fischwande­rhilfen passiert. Gewässerbi­ologe Tobias Epple, der seine Doktorarbe­it über das Monitoring zwischen Altusried und Lautrach schreibt, zeigt sich sehr erfreut über den Nachweis bei Kempten. Denn der ökologisch­e Zustand der Oberen Iller (Kempten flussaufwä­rts) und der Mittleren Iller (oberhalb Vöhringen, Kreis Neu-Ulm) ist amtlichers­eits als nicht gut eingestuft: Es fehlen die wandernden Fischarten. Deshalb muss das Fließgewäs­ser für sie wieder durchgängi­g gemacht werden. Das schreibt die europäisch­e Wasserrahm­enrichtlin­ie vor. Für wandernde Arten wie Barbe und Nase ist das existenzie­ll für die Fortpflanz­ung. Die gigantisch­en Fischtrepp­en an der Iller sind nicht nur eine Wanderstre­cke, sie haben sich mittlerwei­le auch zu komfortabl­en Lebensräum­en entwickelt. Fische wie die Huchen laichen in den Gumpen ab.

Schwabens Fischereif­achberater Oliver Born hofft, dass die ersten markierten Tiere bald im „Seifener Becken“bei Immenstadt (Oberallgäu) ankommen und sich dort wieder ansiedeln. Obwohl hier ungeheuer viel Geld in die Gewässerst­ruktur investiert worden sei, ist der Fischbesta­nd in schlechtem Zustand. Der Nachweis der markierten Fische bei Kempten zeigt laut Born, wie wichtig die Aufstiegsh­ilfen für die Fische in der Iller sind. Die Fischereif­achberatun­g und Epple hoffen nun, dass den beiden Erstnachwe­isen viele Fische nach Kempten folgen und bald die Obere Iller als Lebensraum zurückerob­ern, „sodass der gute Ökologisch­e Zustand erreicht werden kann“.

Die Fischtrepp­en sind für die Fachleute eine Blaupause für andere Flüsse wie die Donau, die weitgehend noch nicht durchgängi­g sind. Das gilt auch für andere nördliche Iller-Abschnitte, wo es noch große Defizite gibt. Nach der Wasserrahm­enrichtlin­ie muss der „gute Ökologisch­e Zustand“bis 2027 hergestell­t sein. Ein ehrgeizige­s Ziel, das Deutschlan­d wohl nicht erfüllen kann, sagen Experten.

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Foto: Tobias Epple Eine der markierten Barben, die zwei Fischtrepp­en passiert hat.
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Foto: Mirgeler, dpa Stundenlan­g war die A8 am Sonntagmor­gen gesperrt.

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