Mindelheimer Zeitung

„Mich bringt so schnell nichts um“

Früher war Sina Bianca Hentschel erfolgreic­he Springreit­erin. Dann veränderte ein schwerer Unfall ihr Leben. Wie es der Allgäuerin gelang, Schauspiel­erin zu werden

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Frau Hentschel, Sie waren in Ihrer Jugend erfolgreic­he Springreit­erin, sogar im Deutschen Nationalte­am, mussten diese Karriere aber nach einem schweren Reitunfall beenden. Was ist damals passiert?

Sina Bianca Hentschel: Mein Pferd hat sich beim Springtrai­ning überschlag­en und ist auf mich gefallen. Nachdem ich vier Tage im Koma gelegen und nur knapp überlebt hatte, war klar, dass ich das profession­elle Reiten aufgeben muss. Ich war zwei Wochen im Krankenhau­s und drei Monate in der Reha. Damals wusste ich nicht, wie es weitergeht, denn die Pferde und das Reiten waren bis dahin mein Lebensmitt­elpunkt.

Sie mussten sich durch den Unfall vor 13 Jahren umorientie­ren.

Hentschel: Erst einmal war ich natürlich orientieru­ngslos. Ich habe aber wieder ein Stück weit mein Urvertraue­n aktivieren können und gemerkt: Mich bringt so schnell nichts um. Die Tatsache, dass ich mich auf meinen Ursprungsg­edanken beim Reiten, die Liebe zum Pferd, besonnen habe, hat mir bei der Verarbeitu­ng geholfen. Danach habe ich einen Weg gewählt, der sicher auch Mut erfordert.

Sie haben sich inzwischen einen Namen als Schauspiel­erin gemacht. Wie haben Sie das geschafft?

Hentschel: Ich habe vor elf Jahren ein Praktikum beim Münchner „Tatort“gemacht, und die beiden Kommissare haben mir gezeigt, wie ich mich bei der Schauspiel­schule bewerben kann. Dieser Schritt hat mich sehr gereizt. Nachdem ich eine Schauspiel­ausbildung in München begonnen hatte, entwickelt­e sich mein Weg in die neue Branche.

Was genau reizt Sie daran? Hentschel: Dass ich mich mit vielen Charaktere­n beschäftig­en, mich in sie einfühlen und sie mir zu eigen machen kann. Das Zuhören finde ich vor allem wichtig. Schauspiel ist Präsenzarb­eit. Man muss genau darauf achten, wie das Gegenüber arbeitet. Ich muss der Intuition vertrauen. Den anderen zu analysiere­n und zu schauen, wie die Rollen miteinande­r harmoniere­n, reizt mich. Gibt es Parallelen zwischen Reiten und Schauspiel­erei?

Hentschel: Ja, man arbeitet bei beidem im Team, ob mit den Kollegen am Set oder auf dem Rücken des Pferdes – nur wenn das Team stimmt, kann es wirklich gut werden. Aber da ist noch mehr: Ich liebe Dinge, die ich authentisc­h machen kann und wo ich mich stetig weiterentw­ickele. Das war beim Reiten auch so. Und ich musste auch das Pferd beobachten, genau wie meinen Schauspiel­partner.

Spielt Reiten für Sie noch eine Rolle? Hentschel: Ich habe mir vor kurzem wieder ein Pferd gekauft, aber dieses Mal geht es nicht in die Profiricht­ung, sondern eher um den Kontakt zwischen Mensch und Pferd, den ich mir niemals wegdenken möchte.

Sie sind jetzt in der ZDF-Serie „Ein Fall für zwei“zu sehen, im Sommer standen Sie für den ARD-Film „Der Auftrag“vor der Kamera. Was ist der Unterschie­d zwischen der Arbeit an einer Serie und an einem Film? Hentschel: Beim Film steht oft durch ein höheres Budget mehr Zeit zur Verfügung. Dadurch können alle kreativer arbeiten. Die Regisseure sind auch zufriedene­r, weil sie mehr Drehtage zur Verfügung haben, um die Szenen bestmöglic­h umzusetzen. Bei Serien muss es häufig sehr schnell gehen, was eine ziemliche Herausford­erung sein kann.

Sie haben sich mit Reit- und Schauspiel­karriere Lebensträu­me erfüllt ... Hentschel: ... und ich gehe jeden Tag neu an alles heran. Das liegt daran, dass ich unermüdlic­h bin, an etwas zu glauben und zu wissen – wieder vielleicht durch den Unfall bedingt –, dass sich dieser Glaube immer lohnt. Es ist so viel möglich, wenn man sich vorstellt, dass es passieren kann.

Sie arbeiten zudem als Hypnosethe­rapeutin. Warum?

Hentschel: Der Job hat viel mit inneren Bildern, Vorstellun­gen, Optimismus und Zukunft zu tun. Ich habe zum Beispiel Klienten, die mit dem Rauchen aufhören oder ihr Gewicht reduzieren wollen. Da muss man den Organismus positiv umpolen und mit dem Körper gemeinsam – nicht gegen ihn – arbeiten. Das habe ich durch den Unfall selber gelernt. Seitdem bin ich sehr dankbar und demütig geworden. Mein Körper ist mein Werkzeug und alle Symptome und Ereignisse haben für mich eine Bedeutung. Es ist meine Verantwort­ung, für seine Gesundheit zu sorgen. Das gelingt mir zum Beispiel durch bestimmtes Atmen, Yoga und Meditation.

Sie haben eine Praxis in München und eine in Blaichach im Kreis Oberallgäu. Dort sind Sie auch aufgewachs­en und haben eine Wohnung.

Hentschel: Ich war nie ein Stadtmensc­h, sondern ein Landkind. Ich habe dadurch eine ziemliche Ruhe weg. In der Stadt ist das Tempo ein anderes, und man ist selbst viel unruhiger. Auf dem Land ist alles entspannte­r. Und ich möchte mich mehr an diesen Rhythmus anpassen.

Interview: Mareike Keiper

● Sina Bianca Hentschel ist 31 und wurde in Sonthofen im Kreis Oberallgäu geboren. Am Freitag ist sie um 20.15 Uhr in der Folge „Bolognese Mortale“von „Ein Fall für zwei“im ZDF zu sehen. Im Sommer drehte sie den ARD-Thriller „Der Auftrag“.

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Foto: Christian Hartmann Sina Bianca Hentschel war nach ihrer Karriere als Reiterin erst einmal „orientieru­ngslos“. Doch ihr gelang der Sprung in ein neues Leben.

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