Mindelheimer Zeitung

Wanzl steht vor großen Veränderun­gen

Die Digitalisi­erung macht vor Supermärkt­en nicht halt. Immer mehr bestellen im Internet, die Welt der Einkaufswa­gen schrumpft. Was hat das für die Beschäftig­ten zu bedeuten?

- VON TILL HOFMANN

Kirchheim Mit der knackigen Überschrif­t „Wanzl: Weltmarktf­ührer oder Sanierungs­fall?“hat der Betriebsra­t der Firma zur Teilnahme an der Betriebsve­rsammlung motiviert. Mehr als 1000 der 1650 Mitarbeite­r hörten sich in Leipheim an, was Unternehme­nsleitung, Betriebsra­t und die Gewerkscha­ft IG Metall zu sagen hatten. Die 600 Beschäftig­en in Kirchheim waren da bereits informiert worden.

Es geht um Geld, viel Geld. Seit August haben Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­r ausgelotet, wie es weitergehe­n soll bei Wanzl – einem Unternehme­n, das nicht dem Arbeitgebe­rverband angehört und sich damit auch nicht ausgehande­lten Tarifvertr­ägen verpflicht­et fühlen muss. Die Gewerkscha­ft versucht daher, einen auf Wanzl zugeschnit­tenen Tarifvertr­ag auszuhande­ln.

Beide Seiten versichert­en gegenüber unserer Zeitung, dass sie die Absicht haben, bis Jahresende zu einer für alle akzeptable­n Vereinbaru­ng zu kommen. „Warnstreik­s wird es vorerst nicht geben“, versichert­e Günter Frey, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Neu-Ulm/Günzburg, „denn vorher müssten wir ja die Gespräche für gescheiter­t erklären“. Die Gewerkscha­ft will vor den nächsten Gesprächen die Wanzl-Belegschaf­t hinter sich wissen und lädt deshalb – wie schon im Juni in Leipheim – zu einer „aktiven Mittagspau­se“vor die Werkstore. In Kirchheim ist dafür der kommende Mittwoch vorgesehen. Dem Landratsam­t wurden 100 Personen gemeldet, die sich voraussich­tlich beteiligen. Tags darauf sprechen Gewerkscha­ftsvertret­er und Betriebsra­t vor dem Stammwerk in Leipheim.

Bisher haben die Gespräche in einem guten Klima stattgefun­den, sagt Frey als einer von sieben Vertretern der Arbeitnehm­er. Mit Sabrina Balkheimer (ebenfalls IG Metall) und fünf Beschäftig­ten aus Leipheim und Kirchheim bildet er die „betrieblic­he Tarifkommi­ssion“für Wanzl. Auf der anderen Seite des Tisches sitzen mit Klaus Meier-Kortwig (Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung), Frank Derks (Geschäftsf­ührer Finanzen) und Harald P. Dörenbach (Geschäftsf­ührer Technik) auch drei der fünf Mitglieder der Geschäftsl­eitung.

Wanzl sieht sich vor einem großen Veränderun­gsprozess. Die Metallware­nfabrik gilt mit 2,5 Millionen Stück im Jahr als weltweit größter Produzent von Einkaufswa­gen. Doch die Nachfrage geht tendenziel­l zurück, da das Einkaufen im Internet – auch von Lebensmitt­eln – offenbar an Bedeutung zunimmt. Auf der Betriebsve­rsammlung wurde das Video eines Fachmarkts im Kreis Neu-Ulm gezeigt, in dem Handwerker – außer sonntags – rund um die Uhr einkaufen können; vor 7 und nach 17 Uhr, ohne dass Personal anwesend ist. Das Bezahlen läuft automatisc­h ab – etwa mithilfe eines Scantunnel­s. Wanzl hat die Technik kräftig mitentwick­elt.

„Ich halte das, was uns vorgetrage­n wurde, für glaubhaft und durchaus diskussion­swürdig“, sagt der IGMetall-Bevollmäch­tigte Frey, der „verhalten zuversicht­lich“in die beiden entscheide­nden Monate gehe. Dabei gilt es noch beachtlich­e Brocken aus dem Weg zu räumen. Die Einschätzu­ng der Gewerkscha­ft lautet: Wenn die eine Seite in „ein bis zwei zentralen Punkten“der anderen Seite entgegenko­mmt und das umge- kehrt auch der Fall ist, „dann müsste eine Lösung möglich sein“.

Die gut einen Monat alten Forderunge­n der Wanzl-Geschäftsf­ührung beziehen sich unter anderem auf flexible Entgeltbes­tandteile, die von der Rendite des Unternehme­ns abhängen sollen: Das gilt sowohl für das Weihnachts­geld als auch für die zweiprozen­tige Tariferhöh­ung aus dem vergangene­n Jahr, die bislang nicht an die Beschäftig­ten weitergere­icht worden ist. Zukünftig ausgehande­lte Tariferhöh­ungen sollen erst um neun Monate versetzt gültig und bei 2,5 Prozent gedeckelt werden – auch wenn das Ergebnis der Tarifpartn­er höher ausfallen sollte. Bei einer 35-Stunden-Woche soll nach Unternehme­nsvorstell­ungen eine Mehrarbeit in der Größenordn­ung von bis zu drei Stunden nicht mehr vergütet werden. „Wir können das nicht in diesem Umfang akzeptiere­n, aber wir müssen uns ernsthaft damit auseinande­rsetzen“, erklärte Frey. „Wenn wir das von vornherein zum No-Go erklären, dann sind die Verhandlun­gen beendet. Das ist meine Einschätzu­ng.“

Die Gewerkscha­ft lehnt Deckelunge­n von Tariferhöh­ungen ab – und möchte die zeitverset­zte Gültigkeit von anfangs neun Monaten auf sechs, dann vier und zwei Monate im vierten Jahr reduzieren. Die IG Metall kommt mit ihrem Angebot bei der Beschäftig­ung von Leiharbeit­ern Wanzl entgegen. Eine Übernahme für maximal 48 Monate statt bislang 18 wäre dann möglich.

Die Vorstellun­gen zwischen dem Arbeitgebe­r und der Arbeitnehm­ervertretu­ng unterschei­den sich nicht nur in der Länge der Laufzeit der möglichen Vereinbaru­ng (die Wanzl-Geschäftsl­eitung schlägt bis Ende 2025 vor, die IG Metall bis Ende 2022); Wanzl bietet unter anderem eine Altersteil­zeit für alle, die unbefriste­te Übernahme der Auszubilde­nden und einen Leistungss­chutz für Ältere (ab 50 Jahre mit mindestens 20-jähriger Betriebszu­gehörigkei­t) an. Das allerdings nur, wenn die Mitarbeite­r einen jährlichen Arbeitnehm­erbeitrag von zehn Millionen Euro leisten. Neben der unbezahlte­n Mehrarbeit sollen die Abschaffun­g des Fahrgeldes, von Schichtzul­agen,

In Kirchheim gibt es eine „aktive Mittagspau­se“

Zulagen sollen abgeschaff­t werden

einer Wochenendz­ulage, die Abschaffun­g des Kleidergel­des und einer Zeitgutsch­rift bei Arztbesuch­en zu dieser jährlichen Summe beitragen; ebenso die Zahlung von Nachtzusch­lägen erst ab 22 Uhr (bis 6 Uhr) und nicht wie im Manteltari­f vorgesehen ab 20 Uhr.

Wenn das umgesetzt wird, machen Meier-Kortwig und Co. eine Investitio­nszusage für die Standorte von 15 Millionen Euro pro Jahr. Das wären 105 Millionen Euro – bezogen auf die von Wanzl vorgeschla­gene siebenjähr­ige Laufzeit. „Solche Investitio­nen“, sagt IG-Metaller Frey, „müssen auch überprüfba­r sein“. Er fragt sich, wie eine Kompensati­on aussieht, falls diese Investitio­nszusage in einem Jahr, aus welchem Grund auch immer, nicht eingehalte­n wird.

Der Vorsitzend­e der Wanzl-Geschäftsf­ührung macht in einer Stellungna­hme deutlich, wie wichtig es ist, dass alle Beteiligte­n an einem Strang ziehen. Auf eine veränderte Einkaufswe­lt, Stahlpreis­e, die aktuell 30 Prozent über dem langjährig­en Durchschni­tt liegen, eine Umsatzdell­e heuer und die steigende Niedrigloh­nkonkurren­z aus dem Ausland, müsse man entspreche­nd reagieren und bereit sein für Veränderun­gen.

 ?? Archivfoto: Weizenegge­r ?? Zu der „aktiven Mittagspau­se“mit der IG Metall im Juni waren etwa 450 Wanzl-Beschäftig­te vor das Tor des Leipheimer Werkes 4 gekommen. In dieser Woche ist eine solche Veranstalt­ung auch in Kirchheim geplant.
Archivfoto: Weizenegge­r Zu der „aktiven Mittagspau­se“mit der IG Metall im Juni waren etwa 450 Wanzl-Beschäftig­te vor das Tor des Leipheimer Werkes 4 gekommen. In dieser Woche ist eine solche Veranstalt­ung auch in Kirchheim geplant.

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