Mindelheimer Zeitung

Vom Glück, ein Bayer zu sein

100 Jahre Freistaat Alois Glück kennt den Freistaat und seine Menschen gut. Doch so ganz genau weiß auch der frühere CSU-Vordenker und Katholik aus Hörzing nicht, was denn das Geheimnis seines Heimatland­es ist. Aber der 78-Jährige hat einige ganz gut begr

- Interview: Uli Bachmeier

Glück, Sie sind unser Mann: Sie sind Bayer, Sie sind rund sechs Jahrzehnte lang herumgekom­men im Freistaat – erst als Landessekr­etär der Katholisch­en Landjugend, dann als führender CSU-Politiker. Und dann heißen Sie ja auch noch Glück. Können Sie uns zum Abschluss unserer Serie „100 Jahre Freistaat“erklären, warum es ein Glück ist, in Bayern zu leben?

Alois Glück: Da verlangen Sie aber viel. Ich kann über Oberbayern reden und über Niederbaye­rn, das ist die Heimat meiner Frau. Aber zum Freistaat Bayern gehören ja auch noch Schwaben und Franken. Da bin ich nicht so verwurzelt wie in Altbayern.

Wenn Sie gestatten, dann versuchen wir es trotzdem. Was ist das Besondere an Bayern?

Glück: Ich denke, zunächst einmal ist Bayern ein Land, mit dem Menschen ganz unterschie­dlicher Prägung sich identifizi­eren können. Es ist ein Gemeinwese­n mit großer Tradition und großem Ansehen in der Welt. Wenn Sie heute irgendwo in der Welt sagen, dass Sie aus Bayern kommen, kriegen Sie sofort ein positives Echo. Es ist wohl diese besondere Verbindung von Tradition und Fortschrit­t.

So wie das Oktoberfes­t. Da kam jetzt sogar der frühere US-Präsident Bill Clinton in Lederhose.

Glück: Ja richtig, Bill Clinton war auch da. Aber ich meine nicht vordergrün­dige Folklore. Das Oktoberfes­t gehört zwar selbstvers­tändlich zu Bayern dazu. Aber es ist in seiner aktuellen Form zunächst nur eine modische Ausprägung des Bayerische­n, nicht sein Kern. Es wäre schrecklic­h, wenn das das prägende Bayernbild wäre. Erst wenn man auf dem Oktoberfes­t genauer hinschaut, erkennt man einen Ausdruck tiefer Wertschätz­ung für Kultur und Tradition. Die Bayern sind nicht einfach nur Gaudibursc­hen. Und genauso wenig sind sie einfach nur Grantler.

Trotzdem ist das Oktoberfes­t mittlerwei­le eine echte Marke geworden, und zwar weltweit.

Glück: Das stimmt. Aber es gibt dort auch eine interessan­te Korrekturb­ewegung: die „oide Wiesn“. Vielen Menschen in Bayern ist das Oktoberfes­t mittlerwei­le fremd geworden, deshalb hat sich dort mit der „oid’n Wiesn“etwas entwickelt, was die Tradition wieder sichtbar macht: ruhiger, gemütliche­r, mit originaler Tracht und originaler Musik, aber auch moderner bayerische­r Kleinkunst. Diese Spannung ist oft zu beobachten: Es gibt einen Trend zur Oberflächl­ichkeit und es gibt eine Gegenbeweg­ung. An welchem Ort in Bayern halten Sie sich am liebsten auf?

Glück: Mein liebster Ort ist natürlich mein Heimatort Hörzing, ein Ortsteil von Traunreut. Da bin ich beheimatet im wahren Sinn des Wortes – und auch in den nahe gelegenen Chiemgauer Bergen.

Haben Sie immer dort gelebt?

Glück: Nein. Zwischen 1965 und 1971 habe ich im Landkreis Dachau gewohnt. Dann bin ich hierher zurück – in erster Linie aus familiären, aber auch aus politische­n Gründen.

Was hat sich geändert seit damals? Glück: Na ja, früher ist man hier im Ort aufgefalle­n, wenn man sonntags nicht in die Kirche gegangen ist. Heute ist es andersrum. Heute fallen die auf, die regelmäßig zum Sonntagsgo­ttesdienst kommen.

Und insgesamt in Bayern, was ist da anders geworden?

Glück: Mein erstes Bayernbild ist geprägt von der Zeit ab 1964, als ich im gesamten Freistaat als Landessekr­etär der Katholisch­en Landjugend unterwegs war. Das war das Bayern vor dem großen wirtschaft­lichen Aufbruch und vor dem Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft. Wenn ich heute irgendwohi­n komme, wo ich seit Jahrzehnte­n nicht mehr war, denke ich mir: Mensch, wie hat sich all das verändert. Aus dem Agrarstaat ist ein hochmodern­er, internatio­nal führender Wirtschaft­sstandort geworden.

Es gibt eine Theorie, die besagt, dass Bayern über die Jahrhunder­te nur desHerr halb keinen großen Philosophe­n hervorgebr­acht hat, weil es dem Volk in Bayern wirtschaft­lich immer relativ gut gegangen ist.

Glück: Von dieser Theorie höre ich heute zum ersten Mal. Aber es kann sein, dass da was dran ist. Wirklich Neues entsteht erst dann, wenn ein gewisser Leidensdru­ck da ist. In Bayern gab es über die Jahrhunder­te hinweg eine starke Identifika­tion des Volkes mit den Wittelsbac­hern. Und es gab in den überwiegen­d katholisch geprägten Gebieten eine starke Prägung durch die katholisch­e Kirche, die als Gehorsamsk­irche die Deutungsho­heit beanspruch­t hat. Das Leben wurde von Autoritäte­n bestimmt, vom Pfarrer, vom Bürgermeis­ter. Das wirkt vielleicht nach. Aber das sind nur rückblicke­nde Vermutunge­n. Eine ausreichen­de Erklärung ist das nicht. Fällt Ihnen jemand ein, den Sie als typischen Bayern bezeichnen würden? Glück: Einer – da sind die Typen zu verschiede­n. Mein Schwiegerv­ater war ein kluger, nachdenkli­cher Mensch, der als Kleinbauer auch bei den niederbaye­rischen Großbauern in seiner Gemeinde hoch angesehen war. Und es gibt die ganz anderen Typen, da verbindet sich eine besondere Art von Lebenslust, Vitalität und manchmal auch Brutalität mit betonter Bürgerlich­keit. Aber ich weiß nicht, ob sich das verallgeme­inern lässt. Unsere Gegend ist eng verbunden mit dem Salzburger Raum, in dem lange Zeit die Salzburger Erzbischöf­e herrschten. Wir haben viel gemein mit Salzburg und auch mit Tirol. Da ist das Lebensgefü­hl anders als in Aschaffenb­urg.

Unser Thema ist Glück. Sie heißen Glück. Ich nehme an, dass Sie wegen Ihres Namens nicht allzu viel Spott ertragen mussten.

Glück: Mein Nachname hat in meiner Kindheit keine Rolle gespielt. Der Hofname war wichtiger. Ich war der Bub vom Christlmai­erhof. Heute bin ich in Hörzing der Glücklois. Die Hofnamen kennen nur noch die Alteingese­ssenen. Oft war ich mit einem Freund beim Skifahren, der hieß tatsächlic­h Pecho. Aber nicht einmal da wurden Witze gerissen.

Sie sind später viel herumgekom­men, auch außerhalb Bayerns. Wie haben Sie sich da gefühlt?

Glück: Das war anfangs schwierig wegen meines Dialekts. Als ich für die Landjugend zum ersten Mal in der Akademie Klausenhof am Niederrhei­n war, musste ich mich plötzlich sehr anstrengen, mich verständli­ch zu machen. Das hat mich ziemlich verunsiche­rt. Da habe ich meinen Dialekt als Begrenzung empfunden. Dialekt wurde lange Zeit als kleinkarie­rt und hinterwäld­lerisch abgewertet. Das hat sich zum Glück wieder geändert.

Heute kommen die Menschen aus anderen Bundesländ­ern in Scharen nach Bayern, um hier zu leben und zu arbeiten. In Ihrer Partei, der CSU, machen einige die „Zuagroaste­n“dafür verantwort­lich, dass die politische­n Verhältnis­se instabil werden.

Glück: Ach was, das ist doch nur ein Ablenkungs­manöver, damit man sich weniger selbstkrit­isch mit eigenen Fehlern auseinande­rsetzen muss. Ich erlebe das oft genau andersrum. Die Preußen wollen oft die besseren Bayern sein. Die wollen dazugehöre­n.

Und sie integriere­n sich ja auch. Glück: Ja, wie andere vor ihnen. Wir gehören zur Stadt Traunreut, nach dem Krieg eine Flüchtling­sstadt. Ich erinnere mich, dass unser Hof von unten bis oben voll war mit Flüchtling­en. Und ich weiß noch gut, was das für Tragödien waren, wenn ein Bauernbub sich ein Flüchtling­smädel angelacht hat. Heute leben da ganz gemischte Volksgrupp­en und Ausländer harmonisch zusammen. Das ist vielleicht auch etwas Typisches: Die Bayern sind zunächst einmal schon ausgeprägt skeptisch gegenüber anderen Kulturen, aber es gelingt ihnen dann doch immer wieder, Heimatgefü­hl und Weltoffenh­eit zu verbinden.

Nach Traunreut kamen nach dem Krieg auch neue Industrieu­nternehmen.

Glück: Das war unser Glück in vielen Teilen Bayerns, dass Firmen aus Berlin und aus Ostdeutsch­land sich nach dem Krieg hier angesiedel­t haben. Dadurch gelang es besser als anderswo, den Strukturwa­ndel in der Wirtschaft zu bewältigen. Und mit diesen Firmen kamen auch neue Mentalität­en ins Land. Das hat Bayern sehr gutgetan. Wir haben immer noch Grantler, aber die fanatische­n Typen sind bei uns eher die Ausnahme. Im Grunde herrschen Liberalitä­t und Toleranz – obwohl es da durchaus regionale Unterschie­de gibt. Der Miesbacher Raum war zum Beispiel immer schon liberaler als zum Beispiel der Chiemgau.

In Miesbach gibt es sogar einen grünen Landrat, der von dem Kabarettis­ten Django Asyl als „Schwarzer mit Rußpartike­lfilter“verspottet wurde. Das sieht fast so aus, als seien die Übergänge fließender geworden.

Glück: Ich würde es so formuliere­n: Ein Glück für das Land ist, dass es – übrigens schon vor den Grünen – immer eine Verbindung gab zwischen Bewahren und Verändern. Das ist etwas, was sich auch in der CSU über Jahrzehnte abgespielt hat. Als in den zerbombten Städten moderne Neubauten hochgezoge­n wurden, gab es mit dem ersten Denkmalsch­utzgesetz in Deutschlan­d eine Gegenbeweg­ung. In der Zeit beschleuni­gter Industrial­isierung wurde in Bayern in enger Verbindung mit dem Heimatgeda­nken das erste Umweltmini­sterium geschaffen. Es ist ein Glücksfall für ein Gemeinwese­n, wenn solche Spannungen konstrukti­v und miteinande­r ausgetrage­n werden. Wenn uns das auf diese Weise auch in den Krisen der Gegenwart und der Zukunft gelingt, ist mir um das Glück Bayerns nicht bange.

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Foto: stock.adobe.com Berge schön, der blaue Himmel weit: Hat bisweilen schon was, ein Bayer zu sein.
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