„Was muss denn noch passieren?“
Arbeitswelt Hubert Rau ist wegen einer Autoimmunkrankheit arbeitsunfähig. Der Rententräger verweigert ihm eine Frührente
Sontheim Seit zehn Jahren leidet Hubert Rau aus Sontheim an einer schweren Autoimmunkrankheit. Sein Körper bekämpft die eigenen Thrombozyten, also die Blutplättchen, die für die Blutgerinnung zuständig sind. Hat er eine Wunde, hört die bei ihm lange nicht auf zu bluten. Auch sein Immunsystem ist dadurch sehr geschwächt. Seinen Job als Bauarbeiter kann der 54-Jährige daher schon seit vier Jahren nicht mehr ausüben. Das haben ihm auch mehrere Ärzte bestätigt. Dennoch will die deutsche Rentenversicherung Schwaben dem 54-Jährigen keine Frührente – im Fachjargon Erwerbsminderungsrente – ausbezahlen. Das Ehepaar klagt gegen diese Entscheidung vor Gericht.
Dass Bürger um ihre Frührente kämpfen müssen, sei kein Randphänomen, sagt Claudia Spiegel vom Sozialverband VdK Bayern. 2016 wurden nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung deutschlandweit etwa 358000 Anträge gestellt. Davon wurden über 150000 abgelehnt.
Die Rente braucht das Ehepaar Rau dringend, um monatlich über die Runden zu kommen. Annette Rau arbeitet zwar
Vollzeit als Bürokauffrau. Miete und Lebenshaltungskosten kann sie aber kaum allein stemmen. „Wir haben im Monat selten mehr als 50 Euro übrig“, sagt die 47-Jährige. Kommen eine unerwartete Autoreparatur oder zusätzliche Spritkosten dazu, seien die beiden auf die finanzielle Unterstützung des Schwiegervaters angewiesen. „Wir haben alles, was wir für unsere Rente gespart haben, aufgebraucht.“
Die Rentenversicherung begründet die Ablehnung des Antrags von Hubert Rau auf eine Erwerbsminderungsrente wie folgt: „Nach unserer medizinischen Beurteilung können Sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.“Dazu zählen auch Jobs, wie Kugelschreiber zusammenbauen und Arbeiten an der Pforte. Zusätzlich gilt: Wer eine Erwerbsminderungsrente beziehen will, muss mindestens drei Jahre Versicherungsbeiträge eingezahlt haben.
Hubert Rau hat etwa 40 Jahre gearbeitet und eingezahlt. Die Begründung, ihr Mann „sei zu gesund“, kann Annette Rau nicht nachvollziehen. Im Moment liegt ihr Mann wieder im Krankenhaus wegen einer schweren Blutvergiftung, die aufgrund seiner Autoimmunkrankheit entstanden ist. „Ich weiß nicht, was noch alles passieren muss“, sagt Annette Rau.
„Es kann durchaus sein, dass bestimmte gesundheitliche Einschränkungen vorliegen, aber diese dennoch nicht für eine Leitungsgewährung ausreichen“, sagt Ingrid Högel, Sprecherin der Deutschen Rentenversicherung Schwaben, auf Nachfrage unserer Zeitung.
Annette Rau kritisiert zudem, dass die Ärzte, die den Gesundheitszustand ihres Mannes im Auftrag der Rentenversicherung geprüft haben, ihn nicht einmal untersucht hätten. Högel weist darauf hin, dass die „bei uns beschäftigten Prüfärzte, die über die Zusatzqualifikation Sozialmedizin verfügen, zunächst die vorgelegten Unterlagen auswerten“. Erst wenn diese nicht ausreichen, fordern sie Befund- und Entlassberichte an oder untersuchen selbst.
Raus Ärzte bescheinigen eine Erwerbsminderung, die Rentenversicherung stellt das Gegenteil fest. „Das ist der Klassiker. Das kommt immer wieder vor“, sagt Claudia Spiegel vom VdK. Hier sei oft ein Widerspruch oder gar eine Klage sinnvoll. Der Sozialverband unterstützt in solchen Fällen. Früher bekam jeder eine Frührente, der seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte.
„Heute ist das weitaus schwieriger“, sagt Spiegel. Die Rentenreform Anfang der 90er Jahre sei dazu gedacht gewesen, die vorzeitigen Renten zu reduzieren. Der Sozialverband fordert zudem, dass die Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten wegfallen.
„Die Menschen gehen ja nicht freiwillig vorzeitig in Rente. Sie müssen es wegen ihrer Gesundheit tun“, sagt Spiegel.